Die islamischen Verbände und die Islamkonferenz

Milli Görüs geht voran

Die islamischen Verbände diskutieren über einen Ausstieg aus der Islamkonferenz. Sollten sie sich tatsächlich dazu entschließen, stünde das Projekt vor dem Aus. Ihr Verbleib würde die Fortführung der Veranstaltung allerdings auch nicht sinnvoller machen.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hat sich viel vorgenommen: Um dem »Dialog mit den etwa vier Millionen Muslimen in Deutschland« eine »neue Grundlage« zu geben, will er die Deutsche Islamkonferenz, die sein Vorgänger Wolfgang Schäuble 2006 ins Leben rief, »völlig umgestalten« und künftig »stärker praktisch ausrichten«. Konkrete Vorhaben wie die Konzeptionalisierung islamischen Religionsunterrichts und die Aus- und Fortbildung von Imamen sollen dabei in den Mittelpunkt gestellt werden. Zu diesem Zweck tauschte de Maizière die 30 Teilnehmer der Konferenz, dies sich aus Vertretern des Staats und der Muslime zusmmen setzt fast komplett aus.
Neu berufen wurden unter anderem Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU), der nordrhein-westfälische Minister Armin Laschet (CDU) als derzeitiger Vorsitzender der Integrationsministerkonferenz sowie die Oberbürgermeister von Nürnberg, Duisburg und Göttingen, Städten mit einem hohen Anteil an Muslimen also. Der Innenminister besetzte zudem die Positionen der zehn muslimischen Einzelpersonen mit anderem Personal, um »die Vielfalt der Muslime in ethnischer und religionspolitischer Hinsicht noch stärker zu berücksichtigen«. Außerdem suspendierte er den Islamrat bis auf Weiteres von der Teilnahme an der Islamkonferenz, denn es laufen seit einem Jahr Ermittlungsverfahren gegen mehrere Funktionäre der Milli Görüs, der größten Mitgliedsorganisation des Islamrats. Sie steht unter dem Verdacht der Bildung einer kriminellen Vereinigung, Veruntreuung und Steuerhinterziehung.

Nun gibt es Ärger um genau diesen Ausschluss, der nach de Maizière eine »ruhende Mitgliedschaft« bis zum Abschluss der Ermittlungen bedeutet. Es ist deswegen nicht sicher, ob die nächste Plenumssitzung der Islamkonferenz am 17. Mai überhaupt stattfinden wird. Denn die übrigen in der Konferenz vertretenen islamischen Verbände erwägen eine Solidarisierung mit dem Islamrat und drohen mit Austritt. Auf einem Treffen am Freitag voriger Woche diskutierten der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD), der Verband Islamischer Kulturzentren (VIKZ) und der deutsche Ableger des türkischen Amts für religiöse Angelegenheiten (Ditib) – die sich 2007 gemeinsam mit dem Islamrat zum Koordinationsrat der Muslime (KRM) zusammengeschlossen hatten – acht Stunden lang darüber, ob sie weiterhin an den Tagungen des Gremiums teilnehmen sollen. Die Entscheidung wurde zwar vertagt, doch sparte die Runde nicht mit Vorwürfen. Es stelle sich die Frage, »ob wir in der Islamkonferenz fehl am Platz sind«, klagte beispielsweise der ZMD-Vorsitzende Ayyub Axel Köhler. Zudem fehlten auf der Tagesordnung »Themen wie Islamophobie und Diskriminierung«, wozu auch deutsche Kopftuchverbote zu zählen seien. Darüber hinaus fühle man sich »gegenüber zehn allein durch das Innenministerium legitimierten Einzelpersonen eindeutig unterrepräsentiert«.

De Maizière hält dagegen: Man dürfe nicht vergessen, »dass die Verbände nur etwa ein Viertel der in Deutschland lebenden Muslime repräsentieren«, sagte er in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Deshalb bilde die Zusammensetzung der Konferenz mit den muslimischen Einzelpersonen »ein sehr kluges Mobile, das die Breite des muslimischen Lebens in Deutschland widerspiegelt«. Zu diesen unabhängigen Muslimen zählen unter anderem der aus Ägypten stammende islamkritische Politologe und Publizist Hamad Abdel-Samad sowie der Osnabrücker Professor für Islamische Religionspädagogik Bülent Ucar, der kürzlich das Vereinslied des FC Schalke 04 gegen den von muslimischen Funktionären erhobenen Vorwurf, es sei islamfeindlich, verteidigt hatte (Jungle World 33/09). Die bisher in der Konferenz vertretenen prominenten Islamkritikerinnen Necla Kelek und Seyran Ates will de Maizière künftig als persönliche Beraterinnen anhören.
Ob die islamischen Verbände tatsächlich aus der Konferenz aussteigen, ist fraglich. Denn an weiteren Gesprächen mit dem Innenminister hat der Koordinationsrat durchaus ein handfestes Interesse. Er will so bald wie möglich den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts bekommen, der es ihm beispielsweise ermöglichen würde, an deutschen Schulen islamischen Religionsunterricht nach seinen Vorstellungen zu erteilen.
Gleichzeitig ist de Maizière zweifellos daran gelegen, den Rat weiterhin zu integrieren. Die KRM-Organisationen vertreten zwar nur einen Teil der in Deutschland lebenden Muslime, aber es wäre vermutlich das Aus für die Konferenz, sollten sie sich wirklich für einen Boykott dieses Gremiums entscheiden. Ihren Verbleib könnten sie sich nun durch ein Entgegenkommen des Ministers entgelten lassen, der seine Bereitschaft dazu auch sogleich erklärte. »Ich bin für thematische Anregungen der muslimischen Verbände selbstverständlich offen«, entgegnete er auf deren Einwand, die Sitzungen vernachlässigten den Rassismus gegen Muslime.
Es ist somit denkbar, dass sich die islamischen Vereinigungen trotz des Ausschlusses des Islamrats weiterhin an der Konferenz beteiligen und dort versuchen, die ihres Erachtens grassierende »Islamophobie« ins Zentrum der Diskussionen zu rücken. Damit geriete aber womöglich aus dem Blick, dass längst nicht nur die den Islamrat dominierende Organisation Milli Görüs eine mehr als bedenkliche Agenda verfolgt. Auch die über den ZMD in der Konferenz vertretene Islamische Gemeinschaft Deutschlands (IGD) wird vom Verfassungsschutz als islamistisch eingestuft. Ihr Vorsitzender, Ibrahim al-Zayat, gilt als Kopf des politischen Islam in Deutschland. Er verwaltet über 600 Moscheen in Eu­ropa, betreut die Immobilien von Milli Görüs, ist in mehreren, teilweise offen antisemitischen Zusammenschlüssen tätig – und ist einer der Hauptbeschuldigten in den seit März 2009 laufenden Ermittlungsverfahren. Unter anderem soll al-Zayat an der Finanzierung terroristischer Organisationen beteiligt gewesen sein (Jungle World 15/2009). Trotzdem wird die Konferenzteilnahme des Zentralrats nicht in Frage gestellt.

Nicht nur deshalb wirkt die Islamkonferenz reichlich planlos – auch nach ihrer Umstrukturierung. Sie hat Mühe, ihre Legitimation zu begründen, und sie scheint über den Status eines reinen Debattierzirkels einfach nicht hinauszukommen. Relevante Angelegenheiten wie der Islam-Unterricht und die Imam-Ausbildung sind ohnehin Ländersache. Bliebe noch das Thema »Islamophobie«, das die islamischen Verbände gern zur Hauptsache machen würden. Die Konferenz wäre gut beraten, sich in dieser Hinsicht die Worte ihres neuen Mitglieds Hamad Abdel-Samad zu Herzen zu nehmen, der kürzlich in einem Interview mit dem Online-Magazin Telepolis sagte: »Erst wenn die etablierten politischen Parteien sich ungehemmt kritisch zum Islam und zu jeder anderen Religion äußern können, werden die Rechtspopulisten keine politischen Argumente mehr finden, um Wählerstimmen zu mobilisieren. Der radikale Islam ist der beste Freund dieser Strömungen, denn er bietet ihnen täglich Vorlagen für ihre Kritik.« Und er fügte hinzu: »Für mich ist die Islam-Kritik aber viel zu wichtig, um sie in Emotionen zu verwandeln. Diese Kritik darf hart sein, muss aber ohne Ressentiment daherkommen. Wenn Muslimen diese westliche Islam-Kritik zu scharf erscheint, sollten sie das Heft in die Hand nehmen und diese Kritik selbst üben.« Genau das aber werden die islamischen Verbände zu verhindern versuchen.