»Gebratene Störche« von Toni Mahoni

Optionsscheine, vastehste?

Toni Mahoni erzählt in seinem Debüt »Gebratene Störche« von Menschen und Tieren, die man direkt auf dem Bürgersteig vor der Haustür einsammeln und auf ein Bier in die nächste Kneipe einladen könnte.

War es lange Zeit das Gefasel von Berlin als der megatrendigen Vibe-Sonstwas-City, das einen in die blanke Verzweiflung treiben und zu ­einem aktiven Berlin-Beschimpfer machen konnte, selbst wenn man langjährig und gern ebendort wohnte, nervt nun auch schon wieder eine Weile das lustvolle Berlin-Bashing, aber gehörig, vor allem als Ausdruck einer zunehmenden westerwelligen Unterschichtsverachtung und stillen Sehnsucht nach aufgeräumten Einkaufspassagen mit Kö-ähnlichen Exklusivläden, bei gleichzeitigem Abwatschen all dessen, was man mühsam einem kriegsgeilen Rassistenvolk abgerungen hatte und was sich heute als Gutmenschentum oder Political Correctness so leicht denunzieren lässt, wie beispielsweise Toleranz, ein wenig Gelassenheit, ein kleines bisschen soziale Verantwortung oder Abkehr von primärtugendlicher Ordnungpünktlichkeitgehorsamkeit. Wenn die Don Alphonsos, Judith Luigs, Thilo Sarrazins und David Harnaschs sich also heute so gern über das schmuddelige, verwahrloste, bankrotte, kaputte, ausländerüberflutete und subventionsempfangende Berlin ereifern, dann möchte man der Stadt gern freundlich in die Seite knuffen und ihr ins Ohr tuscheln: »Haste jut jemacht, wa!«
Da man Städte aber nicht gut knuffen kann, sollte man stattdessen lieber Toni Mahoni nehmen. Den kann man freundlich knuffen, und man sollte von dieser Möglichkeit reichlich Gebrauch machen. Der anfangdreißigjährige Ostberliner ist Liederschreiber und -sänger, Videoblogger, Gelegenheitsjobber und seit neuestem auch Schriftsteller. Sein Buch heißt »Gebratene Störche« und handelt von einem anfangdreißigjährigen Ostberliner, der Liederschreiber und -sänger, Videoblogger und Gelegenheitsjobber ist. Sein Debüt pendelt zwischen Kurzgeschichten und Roman, weshalb der Verlag auf eine diesbezügliche Festlegung lieber gleich verzichtet hat. Ist halt ein Buch. Und das besteht aus 16 recht abgeschlossenen Texten, die aber auf­einander Bezug nehmen und chronologisch sortiert sind, ohne dass eine allzu stringente durchgängige Handlung dabei entworfen würde. Vielmehr erleben wir, wie Mahoni sich durch sein Leben und durch die Stadt berlinert, mal einen Job annimmt, um ihn dann bald da­rauf, sobald er ein bisschen Kohle beisammen hat, wieder freudvoll zu kündigen, wie er sich mit seinen Kumpels und seiner WG herumtreibt und durchschlägt, wie er und seine Freunde einfach ein entspanntes, gutes und lustiges Leben mit reichlich Alkohol, Zigaretten, Musik, Aktionskunst und ganz viel Herzenswärme führen und versuchen, im sie umgebenden Wahnsinn, so gut es geht, mit Humor zu bestehen. Als praktisch interner Gegenpol wirkt dabei Mahonis Freundin, die er im ersten Kapitel kennen lernt: Als er sich nämlich, da pleite, im KaDeWe ein bisschen von den Probierhäppchen nähren will, denn der Mann legt Wert auf gutes Essen, trifft er auf eine Frau im Bademantel, die auf genau jene Häppchen draufsabbert, als irgendwie luxus- und kapitalismuskritische Protestform. Da haben sich zwei gefunden, während sie vom Wachschutz vor die Tür gesetzt werden. Peggy, so heißt die Dame, ist eine linksradikale Vegetarierin mit konsumkritischem Tourette-Syndrom, und die Beziehung des ungleichen Paars bildet den romantischen Unterbau des Buches.
Das ist alles unglaublich charmant und so vollkommen wahrhaftig, unprätentiös und dabei weltklug, dass man auf Jahre versöhnt ist mit Berlin, so lange es solche Menschen hervorbringt, und ich kann als Kronzeuge beschwören, dass es das immer noch kann, denn die Figuren aus Mahonis Kosmos sind so originalgetreu gezeichnet, dass man sie direkt auf dem Bürgersteig vor der Haustür einsammeln und auf ein Bier in die nächste Kneipe einladen könnte, ganz unabhängig davon, dass die Geschichten sicher einen beachtlichen Literari­sierungsgrad aufweisen. Trotzdem wirken sie wie eins zu eins aus dem echten Leben abgeschrieben, und das ist eine wahre Freude.
Weder das Schlurfleben der digitalen Boheme noch die Berlin-Rehabilitation aber sind es, die aus den »Gebratenen Störchen« das wunderbare Buch machen, das es ist, sondern die Fallhöhe zwischen diesem Fundament und einerseits dem Weltenwahnsinn, der sich nun einmal in Berlin auch an jeder Ecke zeigt, und andererseits der schönen Alltagsphilosophie, die hier ausgiebig verhandelt wird. Mahoni ist ein Genussmensch. Im Buch geht es, ein schönes Leitmotiv, um Tiere. Und zwar in ­jeder Form: als knuddelige, aber das Umfeld spaltende Haustiere, als lebende Botschafter der Natur, vor allem aber gefüllt, gestopft und knusprig gebraten, mit Speck ummantelt, als Häppchen, als Lederschuh oder als madiger Endverwerter der Nahrungskette. Jedes Kapitel hat seine eigene Tierthematik, dezent im Hintergrund oder als Hauptthema. Und Mahoni kostet die unlösbaren Widersprüche zwischen der Tierliebe des modernen Menschen und seiner naturentfremdeten Lebensweise in vollen Zügen aus. Sei es der ins Pathologische gesteigerte Wunsch eines ins Umland ausgewanderten Freundes, einen Klapperstorch auf sein Gehöft zu locken, sei es ein Schwein, das für ein zünftiges Grillfest geschlachtet werden soll, oder ein Huhn, das eine Liebesbeziehung zu einem Musikproduzenten eingeht. Mahoni destilliert aus den sich daraus ergebenden Dilemmata ebenso viel Komik wie Weisheit.
Und ganz nebenbei wird aus der Perspektive der Berliner Underdogs noch hübsch die Restwelt abgehandelt: die Verlogenheit verspießerter Grüner ebenso wie die Nerverei machohafter Migrationshintergrundskids, die neue schöne Mitte ebenso wie, ungeahnt aktuell, die Bigotterie der katholischen Kirche und ihr ambivalentes Verhältnis zur Sexualmoral. All diese großen Themen werden mit wenigen Federstrichen nonchalant am Rande, aber dafür umso wirkungsvoller erledigt, hier diene nur ein Beispiel als Beleg:
»›Ja, Mann, Scheißkrise, verdammt noch mal! Hab ’n Put auf ’ne Scheiß-Ami-Energiekette gemacht und dann steigt die plötzlich. Aber so richtig! Geht voll ab!‹
Ich wunderte mich. ›Na, is doch jut, wenn deine Aktie steigt! Oder wie?‹
›Nee, Mann! ’n Put! Keen Call!‹
›Wie bitte?‹
›Ein Put. Dit is wie ’ne Wette, dass die Aktie sinkt. Optionsscheine, vastehste? Du setzt Kohle drauf, dass die verdammte Aktie einbricht. Und wat passiert: Die geht voll ab!‹
›Ach! Und wie viel hattest de gewettet?‹ Für Wetten war ich immer zu haben.
›Hundertfünfzich!‹ Mommsen trank einen langen Schluck aus der Pulle.
›Tausend?‹ fragte ich ungläubig. Mommsen nickte leicht.
›Hä? Ey, warum machst ’n sowat?‹ fassungslos zerfratzte ich mein Gesicht. Mommsen schniefte. ›Wat denkste, wie du die fetten Gewinne machst? Auf jenau die gleiche Weise! Weil dit so läuft. Wat denkste, wo die Kohle herkommt, wenn de Gewinn machst? Jenau so ’n Schwachsinn is dit!‹
›Du bist ’n verdammter Spekulant, Alter! Du bist zwar janz cool und meen Freund und allet, aber du bist ’ne Heuschrecke! Ick gloob es nich!‹
Der Spekulant im Unterhemd zuckte mit den Schultern. Ich sah nach dem Hühnchen und gab ihm noch eine Viertelstunde.«
Komischer und klüger ist über den Wahnsinn der globalen Finanzsysteme wohl selten geschrieben worden.
Für Berlin-Hasser ist das Buch zweifellos schwer erträglich, schon wegen der ausufernden in Dialekt gehaltenen Dialoge – für die hat Mahoni im Schlusskapitel aber eine hübsche Überraschung eingebaut. Und die Literaturpuristen werden angewidert die Nase rümpfen: Alltagsgeschichten! Humor! Die sollen sich schön weiter an überfahrenen Schwanzlurchen aufgeilen oder das bräsige Zeug von Walser lesen, der Betrieb spuckt ja genug davon aus.
Wer aber lebensechte wie lebendige Geschichten mag, die ebenso komisch wie klug sind, der wird viel Freude an Toni Mahoni haben.

Toni Mahoni: Gebratene Störche. Verlag Galiani, ­Berlin 2010. 224 Seiten, 14,95 Euro