Über den Selbstmord eines jugendlichen Abschiebeflüchtlings in Hamburg

Schills Erben

Nach dem Selbstmord eines jungen Georgiers in Abschiebehaft steht Hamburg ­wegen seines Umgangs mit Flüchtlingen erneut in der Kritik.

»Wer die Hamburger Ausländerpolitik kennt, hat es kommen sehen«, kommentierte der Bundesfachverband Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge (B-UMF) den Fall des jungen Georgiers, David M., der sich am 7. März in der Hamburger Abschiebehaft erhängt hatte. Einen Tag nach Bekanntwerden des Falles demonstrierten 450 Menschen in Hamburg gegen die menschenunwürdige Politik des schwarz-grünen Senats. Ein »Schock« sei der Selbstmord des Flüchtlings, ließ die von der GAL geleitete Justizbehörde verlautbaren, Innensenator Christoph Ahlhaus (CDU) drückte nach zwei Tagen sein Bedauern aus. Er entschied, dass Minderjährige, ausgenommen Straftäter, ab sofort nicht mehr in Abschiebehaft genommen würden.

Als »Hohn« bezeichnete der Hamburger Flüchtlingsrat Ahlhaus’ Entscheidung, denn noch am gleichen Tag war ein 15jähriger nach Ungarn abgeschoben worden. Zudem sitzen zwei weitere junge Menschen immer noch in Haft: Ein 16jähriger, weil er kurz darauf wegen Diebstahls verurteilt wurde, ein anderer, weil er mittlerweile als erwachsen gilt. In den Akten der Justizbehörde wurde dieser am Morgen des 10. März noch als minderjährig geführt, am Abend bereits als volljährig. »Er hat falsche Angaben zu seinem Alter gemacht und ist bereits volljährig. Die neue Regelung trifft auf ihn daher nicht zu«, so Pia Kohorst, die Sprecherin der Justizbehörde.
»In Hamburg altern junge Flüchtlinge besonders schnell«, stellte der B-UMF fest. Zur Abschätzung des Alters schickt die Ausländerbehörde Jugendliche ins rechtsmedizinische Institut am Universitätskrankenhaus Eppendorf, wo verschiedene sehr umstrittene Röntgenuntersuchungen durchgeführt werden, von denen einige vom Deutschen Ärztetag abgelehnt werden. Gutachten anderer Ärzte werden von der Behörde nicht akzeptiert. Auf eine Anfrage zum Thema hatte der Hamburger Senat im Februar bestätigt, dass im Jahr 2009 über die Hälfte der 402 neu angekommenen jungen Flüchtlinge älter gemacht wurden.
»In vielen Bundesländern kommen Minderjährige mit einem fiktiven Alter von mindestens 18 Jahren aus Hamburg an. Und werden dann in Obhut genommen. So schiebt Hamburg seine Verantwortung ab«, erklärt Niels Espenhorst, Sprecher des B-UMF. Solange Jugendliche älter gemacht würden, solange seien auch Abschiebehaft und die Verteilung auf andere Bundesländer möglich. Der Hamburger Flüchtlingsrat fordert ein Ende der fiktiven Alterssetzungen und der Abschiebungen. Vor allem müssten ausreichend Plätze zur Unterbringung und Betreuung eingerichtet werden.

Er sei 25 Jahre alt, soll David M. in Polen erzählt haben. Die georgische Botschaft bestätigte mittlerweile diese Angabe. Der Hamburger Polizei, die ihn am 7. Februar festnahm, sagte er wiederum, er sei 17 Jahre alt. Abweichende Angaben zur Iden­tität, kein Geld, kein Wohnsitz, kein Pass: Das war sein »Vergehen«. Der Richter befürchtete, der junge Mann könnte untertauchen und sich der Abschiebung entziehen. Es gab für David weder einen Anwalt noch einen Dolmetscher oder eine jugendnotdienstliche Versorgung. Wäre der junge Mann sofort vom Jugendamt in Obhut genommen worden, so hätte er auch einen Wohnsitz gehabt. Das sei der eigentliche Skandal, so Conni Gunßer vom Flüchtlingsrat Hamburg. Womöglich seien im Gefängnis alle Vorschriften eingehalten worden, der Fehler liege aber im System, wie generell mit jungen Flüchtlingen verfahren wird.
Mindestens 2 500 junge Flüchtlinge ohne Eltern kamen 2009 nach Deutschland, schätzt Espenhorst. Nachdem die Zahlen zeitweise rückläufig waren, steigen sie seit einigen Jahren wieder. Insbesondere aus dem Irak und aus Afghanistan fliehen Jugendliche. Insgesamt sei die Versorgung der Minderjährigen in Deutschland nicht akzeptabel, weil hier immer noch der Vorbehalt zur UN-Kinderrechtskonvention gelte, so Espenhorst. Demnach würden Asylsuchende ab 16 Jahren wie Erwachsene behandelt und die Jugendämter blieben untätig.
In Hamburg ist die Situation besonders übel: Junge Flüchtlinge wurden aus Hamburg entfernt, Erstversorgeinrichtungen dicht gemacht, das Amt der Ausländerbeauftragten durch einen passiven Integrationsbeirat ersetzt und Flüchtlinge werden seit 2006 in ein Lager in Mecklenburg-Vorpommern zwischen Elbe und Wald verfrachtet. Das ist das Ergebnis der migrationspolitischen Maßnahmen, die unter der CDU-Schill-Regierung 2001 bis 2003 begannen und die bis heute nicht rückgängig gemacht wurden – auch nicht mit den Hamburger Grünen in der Regierung.