Über den Stand der libanesischen Demokratiebewegung

Von der Straße in die Lobby

Von der libanesischen Demokratiebewegung, die sich vor fünf Jahren nach dem Mord an Rafik Hariri bildete, ist wenig übrig geblieben. Die Oligarchen behalten die Macht, die Hizbollah behält ihre Waffen.

Ältere Herren in teuren Anzügen begrüßen sich in der Lobby des Bristol-Hotels in Beirut, klopfen einander auf die Schulter und fragen nach der Familie. Dann verschwinden sie im Konferenzsaal, wo sie sich langatmige Festreden anhören. Die Feier zum fünften Jahrestag der libanesischen Demokratiebewegung am Sonntag verlief wenig spektakulär. Von der »Bewegung des 14. März« ist nicht viel übrig geblieben. Nicht einmal der letzte verbliebene Protagonist, Ministerpräsident Saad Hariri, kam zu der Feier. Er war nach Deutschland gereist.
Viele Libanesen hatten sich mehr erhofft, als sie vor fünf Jahren auf die Straße gingen. Nach dem Mord an dem früheren Ministerpräsidenten Rafik Hariri, dem Vater Saads, sammelte sich eine Protestbewegung. Jugendliche campten wochenlang mitten in der Innenstadt. Am 14. März demonstrierten eine Million Menschen, das war ein Viertel der Bevölkerung des Landes. Sie forderten die Aufklärung des Mordes und das Ende der Einmischung Syriens.
Syrische Truppen waren 1976, kurz nach dem Beginn des Bürgerkriegs, einmarschiert. Doch Soldaten und Geheimdienstler blieben auch nach dem Ende der Kämpfe im Jahr 1990. Damit stand der einzige demokratisch verfasste Staat der arabischen Welt faktisch unter syrischer Kontrolle. Bis Israel im Jahr 2000 seine Truppen aus dem Südlibanon abzog, gab es daran kaum Kritik. Doch dann motivierte der Christ Michel Aoun die Jugendbewegung seiner Partei zu spektakulären Demonstrationen. Eine Reihe linker Gruppen entschloss sich, einen Aufruf gegen die Besatzungsmacht zu veröffentlichen, und gründete eine neue Partei, die Demokratische Linke.
Als die Syrer im Sommer 2004 den ihnen ergebenen libanesischen Präsidenten Émile Lahoud zu einer Verlängerung seiner Amtszeit verhalfen, reiste sogar ihr Protegé Rafik Hariri entrüstet nach Damaskus. Die Protestbewegung, die sich nach dessen Ermordung sammelte, sah in Hariris Protest den Grund für das Attentat. Ob dahinter aber tatsächlich der syrische Geheimdienst steckte, ist bislang nicht erwiesen.

Nur in einem Punkt hatte die Bewegung Erfolg. Auch auf internationalen Druck zogen im April 2005 die syrischen Truppen ab. Doch kurz darauf zerbrach das Bündnis. Aoun wechselte bereits bei der Wahl im Juni die Seiten. Weil Hariris Sohn Saad und dessen Anhänger ihm zu wenige Plätze auf ihren Wahllisten zugestehen wollten, ging seine Partei ein Bündnis mit der Hizbollah ein.
Später folgten viele Aouns Beispiel, denn die Machtverhältnisse änderten sich. Zunächst unterstützte die US-Regierung die Bewegung des 14. März, da Präsident George W. Bush aus dem Libanon ein Modell für seinen »Neuen Nahen Osten« machen wollte. Der damalige französische Präsident Jaques Chirac war ein Freund Rafik Hariris, der ihm auch großzügige Wahlkampfspenden hatte zukommen lassen.
Die Libanon-Expertin Cordelia Koch sieht es nicht als Zufall an, dass Walid Jumblatt, der neben Aoun und Saad Hariri wichtigste Repräsentant der Bewegung, im August 2009 das Bündnis verließ. »Jumblatts Verhalten hat immer die externen Machtfaktoren gespiegelt. Obama war da ein halbes Jahr im Amt und ließ Gesprächsbereitschaft gegenüber Syrien und Iran erkennen. Eine Umwälzung der politischen Landschaft des Nahen Ostens war nun nicht mehr zu erwarten. Auch der Druck des UN-Tribunals war verpufft.«
Die UN-Kommission zur Untersuchung des Mordes an Rafik Hariri hatte etliche Spuren gesammelt, die nach Syrien führten. Doch stellte sich heraus, dass der Hauptzeuge ein mehrfach verurteilter Betrüger war, vier Verdächtige wurden aus Mangel an Beweisen freigelassen. Anfang März versprach das Tribunal, Ende dieses Jahres Anklage zu erheben – gegen wen, weiß man nicht. Ohnehin glaubt kaum noch jemand, dass der Fall aufgeklärt werden wird.

Auch die Entwaffnung der Hizbollah, immer noch eine der wichtigsten Forderungen der Bewegung des 14. März, scheint in weite Ferne gerückt. Zwar forderten die Redner auf der Feier am Sonntag einmal mehr eine neue Verteidigungsstrategie, die Kämpfer der Hizbollah sollen in eine erweiterte Armee eingegliedert werden. Aber eine Woche zuvor hatte die Hizbollah bereits jeglichen Kompromiss ausgeschlossen. Da hatten die Parteien nach halbjähriger Pause erneut den »nationalen Dialog« aufgenommen. Die Hizbollah machte es zur Voraussetzung für die Teilnahme, dass über ihre Entwaffnung nicht geredet wird.
Fares Soaid, Koordinator des Generalsekretariats des 14. März, sagt: »Heute steht der Libanon zwei Bedrohungen gegenüber: einer israelischen, die den gesamten Libanon zerstören will, und einer iranischen, die den Libanon benutzen will, um Israel zu zerstören.« Da Israel tatsächlich in den vergangenen Wochen dem Libanon gedroht hat, kommt eine Entwaffnung der Hizbollah nicht mehr in Frage, denn auch ihren Kritikern gilt die Armee als zu schwach für jede Konfrontation.
Ohnehin würde sich nach dem Frühjahr 2008 niemand mehr trauen, der Hizbollah etwas vorzuschreiben. Damals marschierte sie in Westbeirut ein. Der Anlass war, dass die Regierung ihr privates Telefonnetz für illegal erklärt hatte. Tatsächlich wollten die Islamisten jedoch ihr im Rahmen der libanesischen Konsensdemokratie verbrieftes Recht durchzusetzen, an den Entscheidungen beteiligt zu werden«. Nachdem mehr als 80 Menschen getötet worden waren, einigte man sich. Die Hizbollah erhielt elf von 30 Ministerposten und damit eine Sperrminorität. Da erstaunt es kaum, dass nun auch Ministerpräsident Hariri wieder nach Damaskus reist, um mit dem syrischen Präsidenten Bashir al-Assad die »gemeinsamen Interessen« zu besprechen. Demnächst dürfte die libanesische Außenpolitik also wohl wieder von Assad bestimmt werden.
Die wenigen, die am Bündnis des 14. März festhalten, tun es aus zwei schlechten Gründen. Die einen haben nach dem von der Hizbollah provozierten Krieg mit Israel im Sommer 2006 und dem Aufmarsch in Westbeirut Angst vor dem, was die Islamisten noch tun könnten. Den meisten Verbliebenen geht es vor allem um den Erhalt des oligarchischen Systems. Das Wahlsystem benachteiligt nicht nur Schiiten und bevorzugt die im Bündnis des 14. März verbliebenen Sunniten und maronitischen Christen. Es gewährleistet auch, dass die Zuama, die Patriarchen der 200 »wichtigen Familien«, an der Macht bleiben.

Eine soziale Basis haben sie nicht. Um gewählt zu werden, reicht es, ihrer Klientel, der Bevölkerung ihres Dorfes oder ihres Stadtteils, Vergüns­tigungen zu verschaffen. Die Hizbollah und auch die Partei Michel Aouns hingegen richten sich nicht an eine feste Klientel, und sie verschaffen ihren Wählern nicht Almosen, sondern eine so­ziale Infrastruktur. Fraglos würden sie von einer Wahlreform profitieren, die das komplexe System konfessioneller und patriarchaler Abhängikeiten aufbricht. Aber profitieren von den bestehenden Verhältnissen können sie auch. Der Deal ist einfach, die Hizbollah verzichtet auf die Än­derung des Wahlrechts, die Parteien des 14. März drängen nicht auf Entwaffnung.
Doch wenn die Parteien auch Frieden halten, an anderer Stelle drohen Konflikte. Die Regierung hat die Streichung der Ölpreissubvention angekündigt, zudem gibt es Gerüchte, dass die Mehrwertsteuer angehoben werden soll. Die Gewerkschaften kündigten Streiks an. Wenn es dazu kommt, wird wohl die letzte Partei, die nicht am Erhalt des Patriarchen-Systems interessiert ist, das Bündnis des 14. März verlassen: die Demokratische Linke.