Die umstrittene Umweltpolitik von Barack Obama

Obamas schmutzige Entscheidungen

Die Energiepolitik des US-amerikanischen Präsidenten ist derzeit sehr umstritten. Obama will Atomkraftwerke wieder aufbauen und Ölbohrungen vor der Atlantikküste genehmigen. Damit bricht er seine Wahlversprechen, meinen Kritiker und Umweltschützer.

Im Wahlkampf sprach der damalige Kandidat Barack Obama viel über die Notwendigkeit einer neuen Energiepolitik für die USA. Die Bekämpfung der Erderwärmung, die Verringerung des CO2-Ausstoßes, Investitionen in alternative Energiequellen, das Ende der Abhängigkeit vom Öl aus dem Nahen Osten und der Aufbau eines sogenannten intelligenten Stromnetzes waren beliebte talking points im Wahlkampf des US-amerikanischen Präsidenten.
Nach Obamas Amtsantritt gab es in den ersten Monaten Anzeichen eines breiteren politischen Konsenses für ein umfassendes Energiegesetz, das diese Probleme umweltbewusst und nachhaltig lösen sollte. Sogar der Handel mit Emissionsrechten und die Einführung einer Art verdeckter Steuer für große Energieverbraucher schienen im Kongress mehrheitsfähig geworden zu sein. Jedoch nach einem Jahr, das durch die heftigen Debatten über die Gesundheitsreform geprägt wurde, scheint Obamas umweltpolitisches Kapital erschöpft zu sein. Ein internationales Klimaabkommen, wie es bei der internationalen Klimakonferenz in Kopenhagen angestrebt war, hätte im US-Senat nie die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit erreicht.
Wegen dieser legislativen Blockade versuchte Obama in den vergangenen Wochen im Alleingang, also ohne den Kongress, Teile seiner Energiepolitik umsetzen. Die ersten Entscheidungen wurden jedoch sowohl von Umweltschützern als auch von Industrieverbänden kritisiert.

Im März entschied sich Obama für die Wiederaufnahme der staatlich finanzierten Forschung von Kernkrafttechnologien und für den Ausbau von Kernkraftwerken. Seit dem Reaktorunfall auf Three Mile Island im Bundesstaat Pennsylvania im Jahr 1979 ist die Atompolitik der USA gelähmt. Umweltorganisationen wie der Sierra Club lehnen die Wiederaufnahme des Baus von Atomkraftwerken entschieden ab, die Kernkraft gilt jedoch mittlerweile bei vielen Forschungsinstituten und auch innerhalb der Demokratischen Partei, gerade wenn es um die Bekämpfung der Erderwärmung geht, als unverzichtbar für die Energieproduktion.
Deutlich schärfer fiel die Kritik an Obamas Entscheidung aus, große Flächen der Küstengebiete, im Atlantik und im Nordpolarmeer für die Erschließung neuer Ölquellen freizugeben. Obama habe seit Jahren die gegenteilige Position propagiert, nun breche er eines seiner Wahlversprechen, lautet die Kritik. Unter Präsident George W. Bush war der Kampf gegen Ölbohrungen für Umweltaktivisten zentral gewesen, während die Parole »Drill, baby, drill!« fest zur Wahlkampfrhetorik der Republikaner gehörte. Die Organisation des Nobelpreisträgers Al Gore, Alliance for Climate Protection, kritisierte in den vergangenen Tagen Obamas »schmutzige« Entscheidung, die bereits jetzt die ersten Folgen zeigt. Der Ölkonzern Shell will schon in den nächsten Wochen mit einer Reihe von Bohrungen im Arktischen Ozean beginnen.

Auf der anderen Seite jedoch realisierte Obama eines seiner umweltpolitischen Wahlversprechen. Er ließ von der Umweltbehörde EPA die Benzinverbrauchsstandards für Kraftfahrzeuge zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres erhöhen. Das Ziel, ab 2016 den Standard für PKW auf etwa 6,6 Liter pro 100 Kilometer (35,5 Meilen pro Gallone) und für kleine Lastwagen und SUV auf 8,1 Liter zu setzen, ist ambitionierter als je zuvor. Diesen Schritt scheint sogar die US-Automobilindustrie zu begrüßen. Inwieweit dies daran liegt, dass die US-Regierung Mehrheitseigentümer von General Motors und Chrysler ist und kräftig in die Entwicklung von benzinsparenden Kraftfahrzeugtechnologien investiert, ist unklar. Industrievertreter von US-amerikanischen Ölunternehmen akzeptieren offenbar auch die neuen Standardwerte, obwohl sie sich jahrzehntelang dagegen wehrten. Branchenbeobachter vermuten, die Genehmigung neuer Bohrungen im Atlantik könne Teil eines poli­tischen Deals zwischen Obama und den Ölunternehmen gewesen sein.
Die Umweltbehörde EPA treibt indessen ihr Vorhaben voran, den C02-Ausstoß verstärkt zu regulieren. Obgleich eine gesetzliche Grundlage hierzu fehlt, haben in den letzten Jahren mehrere US-Gerichte entschieden, dass die EPA C02 als Schadstoff regulieren darf. Theoretisch zumindest, denn bislang haben Bush wie Obama sich geweigert, dies der EPA zu verordnen. Während Bush sich dem stur verweigerte, zieht es Obama vor, ein umfassendes Klimagesetz durch den Kongress verabschieden zu lassen. Doch sofern die Chancen schwinden, dass das Gesetz den Kongress passiert, scheint Obama zunehmend die Lösung in Betracht zu ziehen, Regulierung durch die EPA zu erreichen.

Die EPA zeigt sich auch in anderen Bereichen der Energiepolitik aktiv. Die Praxis des Kohletagebaus, die unter dem Namen Mountaintop Mining bekannt ist und während der Regierungszeit von George W. Bush erheblich intensiviert wurde, ist Anfang April per Dekret stark eingeschränkt worden. Bei dieser Methode werden ganze Bergspitzen gesprengt und mit einer Wasserdrucktechnik abgetragen, um die darunter liegenden Kohleflöze freizulegen. Nicht nur verschwinden ganze Berge, vor allem verursachen die abgetragenen Steine und der mit Schwermetallen durchsetzte Schlamm auch erhebliche Umweltschäden. Bis 2012 werden der EPA zufolge bis zu 3 000 Meilen der Bergregion auf diese Weise eingeebnet worden sein. Die lokalen Ökosysteme werden vor allem durch den giftigen Abfluss in diesen Gegenden irreparabel zerstört. Wegen der nunmehr erlassenen Umweltauflagen ist die überwiegende Mehrheit der geplanten Tagebauprojekte in der Bergregion im Osten der USA nicht mehr durchführbar. Umweltgruppen freuen sich über den Sieg. »Heute ist ein guter Tag für die Menschen in den Appalachen«, sagte Jon Devine vom National Resources Defense Council.
Zusammen mit der geplanten Regulierung des CO2-Ausstoßes durch die EPA sehen Industrieorganisationen wie die National Mining Association bei dieser Verordnung besonders schwarz und prophezeien dementsprechend den Untergang der Kohleförderung in den USA. Diese werde dadurch nicht untergehen, entgegnete die Chefin der EPA, Lisa P. Jackson, doch künftig müsse die Industrie deutlich umweltfreundlicher arbeiten. Wirtschaftlich gesehen bedeutet die strenge Regulierung des Mountaintop Mining einen schweren Schlag für die Industrie und entsprechend für die Regionen. Denn mittlerweile wird ein Drittel der gewonnenen Kohle in östlichen Bundesstaaten wie West Virginia und Kentucky auf diese Weise gefördert. Diese Art Tagebau ist besonders kostengünstig und macht den Kohleabbau in den USA zu einem nach wie vor wirtschaftlich profitablen Geschäft. Gut 45 Prozent aller verbrauchten Energie in den USA wird von Kohlekraftwerken erzeugt.
Obwohl Obama in den ersten Wochen seiner Präsidentschaft ein Gesetz für die Erforschung »sauberer« Technologien bei Kohleförderung und -kraftwerken erlassen hat, verliert die Kohlelobby langsam ihren Rückhalt in Washington. Selbst der über 90jährige Senator Robert Byrd aus West Virginia, der seit gut fünf Jahrzehnten im US-Senat den Kohlekönig spielt und in dieser Zeitspanne Dutzende von Regulierungsversuchen verhindern konnte, erklärte Anfang des Jahres in einer Radiosendung, dass die Kohleförderung langfristig keine Zukunft mehr habe, sofern die Umweltschäden nicht maßgeblich reduziert werden können. Dennoch ist dieser Schritt der EPA für den politischen Analysten Howard Fineman erst der Auftakt eines sich anbahnenden »Kohlekriegs«, da die strengen Umweltauflagen allein durch Verordnung und nicht per Gesetz auferlegt werden. Eine künftige Regierung könnte die Auflagen wieder aufheben. Ähnliches geschah 2001 beim Regierungsantritt von George W. Bush. »Wir können reden und reden über Offshore-Bohrungen, Windkraft und andere Energiequellen, aber das wichtigste Problem ist die schwere Abhängigkeit von Kohle«, meint Fineman. Sofern eine Reform der US-Energiepolitik überhaupt vom Kongress unternommen wird, werde die größte Frage sein, wie das Land sich künftig von dieser Hauptenergiequelle befreien könne.