Über die kolumbianischen Präsidentschaftskandidaten

Ein Exzentriker mit Sonnenblume

Als der grüne Politiker Antanas Mockus seine Kandidatur für die Präsidentschaft bekannt gab, glaubten viele Kolumbianer an einen Scherz. Doch Mockus ist ein ernsthafter Konkurrent für den Rechtskonservativen Juan Manuel Santos geworden.

»Ich will Präsident werden, damit es weniger Leid und mehr Freude im Land gibt«, sagt Antanas Mockus. Der ehemalige Bürgermeister der Hauptstadt Bogotá gewinnt den Umfragen zufolge immer mehr an Popularität. Das verdankt er weniger der Präsenz in den klassischen Medien des Landes als der Nutzung neuer Kommunikationsformen.
Die Facebook-Seite des kauzig wirkenden 58jährigen Mathematikers und Philosophen mit dem sorgsam gestutzten Seemannsbart hat bereits über 485 000 Anhänger, und jeden Tag kommen Tausende hinzu. Der Rückhalt des Präsidentschaftskandidaten der erst vor kurzem gegründeten grünen Partei ist an den Universitäten des Landes besonders groß. Da kommt der Sohn von Einwandern aus Litauen schließlich her. Als Professor und später als Rektor der nationalen Universität hat er mit neuen pädagogischen Konzepten und ungewöhnlichen Aktionen auf sich aufmerksam gemacht.

Als eigenwilliger Politiker mit einem gewissen Hang zur Exzentrik wird Mockus von den einen belächelt, von den anderen jedoch geschätzt. Die Zahl seiner Anhänger wächst stetig, wenn man den Umfrageergebnissen, die allerdings vorrangig in den Städten erhoben werden, trauen darf. So hat das Meinungsforschungsinstitut Ipsos Napoleón Franco in der vergangenen Woche verkündet, dass Mockus erstmals vor dem einstigen Favoriten, dem ehemaligen Verteidigungsminister Juan Manuel Santos, rangiert.
Santos, der Spross der Verlegerfamilie, die die einzige landesweit erscheinende Tageszeitung El Tiempo steuert, steht wie kaum ein anderer für die Politik der »demokratischen Sicherheit« des noch amtierenden Präsidenten Álvaro Uribe, der nicht noch einmal kandidieren darf. Sein ehemaliger Verteidigungsminister soll künftig mit einer Politik der »harten Hand« regieren.
Uribe erzielte Erfolge im Kampf gegen die Guerillagruppen, die »harte Hand« traf aber auch andere. Die Bespitzelung von Oppositionellen, Journalisten und Menschenrechtsaktivisten und die Ermordung von mehr als 1600 jungen Männern, die als im Kampf gefallene Angehörige der Guerilla ausgegeben wurden, gehörten ebenso zu Uribes Politik wie der Parapolitica-Skandal, in dessen Verlauf zahlreiche Abgeordnete der Fraktion des Präsidenten wegen ihrer Verbindungen zu den rechtsextremen Paramilitärs angeklagt und inhaftiert wurden.

Doch acht Jahre der Beschallung mit der Litanei der »nationalen Sicherheit« haben Spuren hinterlassen. Die Menschen sind es leid, die immer gleichen Worthülsen zu hören. Da klingt Mockus deutlich frischer, er setzt andere Schwerpunkte. Im laufenden Wahlkampf spricht er über Korruption und das heruntergekommene Justizsystem. Im Gegensatz zu den Mitgliedern der noch amtierenden Regierung und Juan Manuel Santos, dem Juniorpartner Uribes, gilt Mockus als fleißiger und vor allem ehrlicher Politiker.
Als Bürgermeister Bogotás, einer Metropole mit neun Millionen Einwohnern, hat er in zwei Amtszeiten viel Ansehen bei den Bürgern der Hauptstadt erworben. Nicht nur, weil er die Finanzen der Metropole in den Griff bekam, sondern auch, weil die Polizei effizienter arbeitete und unter seiner Ägide die Mordrate merklich sank. Diese Erfolge haben die Einwohner der Hauptstadt genauso wenig vergessen wie die pädagogischen Kniffe, mit denen der unkonventionelle Professor zu Werke geht. Oft verkleidete der Bürgermeister sich, um seine politische Botschaft den Wählern nahezubringen. Er ging schon mal mit einem überdimensionierten Rotstift zur Sitzung und steht somit für einen deutlich anderen Politikstil als der amtierende Präsident, der sich gern als verbissener Arbeiter und erklärter Feind der Guerilla präsentiert.
Zum politischen Establishment zählt auch die ehemalige Außenministerin Noemí Sanín, die für die Konservative Partei antritt und in derzeitigen Umfragen den dritten Platz belegt. Etwas farblos wirkte sie in einer Talkrunde mit den übrigen Kandidaten Mitte April. Mockus erklärte bei dieser Gelegenheit, er fühle sich der Verfassung des Landes sowie internationalen Verträgen verpflichtet. Auf die 1991 verabschiedete Verfassung, die durchaus progressive Elemente aufweist, beziehen sich kolumbianische Politiker eher selten.
Die Grünen hat Mockus gemeinsam mit zwei weiteren ehemaligen Bürgermeistern, dem ehemaligen Gewerkschaftsboss Lucho Garzón und Enrique Peñalosa, erst vor einem halben Jahr gegründet. Peñalosa hat in Bogotá ein neues Nahverkehrssystem eingeführt, er genießt Respekt, zählt aber anders als Garzón und Mockus eher zum traditionellen politischen Spektrum.

Die Farbe Grün und das Symbol der Sonnenblume stehen bislang jedoch weniger für eine ökologische Erneuerung Kolumbiens, auch wenn Mockus in seiner Amtszeit als Bürgermeister für einen schonenderen Umgang mit den Ressourcen eintrat. Konstituiert haben sich die Grünen vor allem als Alternative zu den rechten Parteien. Die Linke hat hingegen wegen interner Streitigkeiten an Popularität verloren. Gustavo Petro, der für die Partei Demokratisch-Alternativer Pol kandidiert, gilt mittlerweile als Anhänger von Uribes Politik der »harten Hand« gegen die Guerillagruppen.
Diese Politik könnte auch Mockus weiterführen, der sich zu diesem Thema noch nicht klar geäußert hat. Er gilt vor allem als Repräsentant eines neuen Politikstils, der in Kolumbien durchaus erwünscht ist. Der Kandidat teilte seinen Wählern offen mit, dass bei ihm gerade Parkinson im Anfangsstadium diagnostiziert worden sei. Mit Sergio Fajardo, dem ehemaligen Bürgermeister von Medellín, hat er einen Mann an seiner Seite, der sich den Ruf erarbeitet hat, für eine transparente, pragmatische Politik zu stehen und nicht für das klassische Modell von Klientelismus und Korruption. So ist das Duo mit dem Versprechen, für eine »saubere Politik« zu sorgen, eine ernstzunehmende Alternative zum Status quo geworden.
Eine solche Alternative hat es in Kolumbien schon lange nicht mehr gegeben, und Mockus kann es sich sogar erlauben, Steuererhöhungen anzukündigen, weil man ihm abnimmt, dass er die Mittel vernünftig einsetzen würde. Bereits die Ankündigung, das seit Dekaden nicht funktionierende Justizsystem, das die für Menschenrechtsverletzungen Verantwortlichen straffrei davonkommen lässt, reformieren zu wollen, ist eine echte Herausforderung. »Die latente Straflosigkeit unterminiert zentrale ethisch-moralische Werte, die für eine Zivilgesellschaft unabdingbar sind«, sagt Gustavo Gallón von der renommierten Juristenvereinigung Kolumbiens.