Linksopposition in der IG Metall

Disziplin, Kollege!

Bei den vergangenen Betriebsratswahlen wurden in der Automobilindustrie an mehreren Standorten gewerkschaftslinke Listen in die Gremien gewählt. Oppositionellen Mitgliedern droht die IG Metall mit Ausschlussverfahren.

Die IG Metall steht vor zahlreichen Problemen: Der Mitgliederschwund wurde immer noch nicht gestoppt, Flächentarifverträge werden gerade in den Zulieferindustrien zu Flickenteppichen, und seit der Krise weht ihr in der Tarifpolitik ein eisiger Wind ins Gesicht. Indessen spekuliert ihre Führung, allen voran der Bundesvorsitzende Berthold Huber, schon mal über neue Modelle der »Mitarbeiterbeteiligung« und preist damit die Gewerkschaft als Juniorpartner des Managements im Ringen um den Wirtschaftsstandort Deutschland. Die Organisation ist zwischen Co-Management und Klassenkampf hin- und hergerissen, denn gegen den sozialpartnerschaftlichen Kurs des Gewerkschaftsapparates formiert sich Widerstand in den eigenen Reihen, und dies vor allem dort, wo die Beschäftigten die negativen Folgen des Kuschelkurses am stärksten zu spüren bekommen: in den Großbetrieben der Automobilindustrie.

Neu ist das nicht. Bereits in den siebziger Jahren gab es oppositionelle Betriebsratslisten in etlichen Automobilwerken, so etwa die 1972 gegründete Plakat-Gruppe bei Daimler in Stuttgart-Untertürkheim, deren Mitglieder prompt aus der IG Metall ausgeschlossen wurden. Das verhinderte jedoch nicht, dass sie als unabhängige Liste bis in die achtziger Jahre hinein bei Betriebsratswahlen bis zu 40 Prozent der Stimmen erhielt. Oder etwa die Gruppe »Gegenwehr ohne Grenzen« (GoG) bei Opel Bochum, die jahrzehntelang ein Zentrum klassenkämpferischer und oppositioneller Betriebsarbeit war, ohne die es zu Kämpfen wie etwa dem »wilden« Streik 2004 wohl nicht gekommen wäre.
Solche Gruppen entstanden in der Regel, wenn die institutionell mit den Werksleitungen verwobene Gewerkschaftsführung in Konfliktsituationen gegen die Interessen bestimmter Beschäftigtengruppen agierte, vor allem wenn es zu Umwälzungen in der Automobilproduktion und zu Neuzusammensetzungen der Belegschaft kam. Obwohl sie klassischerweise im Dauerclinch mit dem Gewerkschaftsapparat standen und auf oppositionellen Betriebsratslisten kandidierten, traten die Aktivisten meist nicht aus der IG Metall aus. Schließlich verstanden sie sich als Protagonisten einer basisorientierten Erneuerung ihrer Gewerkschaft. Zugleich entwickelte sich zwischen 1969 und 1973 eine Welle von Arbeitskämpfen, die nichts mit den ritualisierten Arbeitskampfformen der Gewerkschaftsbürokratie zu tun hatten. Diese wurden daraufhin von der Gewerkschaft teils kanalisiert, teils heftig bekämpft. In diesem Zusammenhang wurden dann auch Maßnahmen gegen innergewerkschaftliche Oppositionsgruppen eingeleitet. So wurden zwischen 1971 und 1976 auf der Grundlage von Unvereinbarkeitsbeschlüssen 344 Mitglieder aus der IG Metall ausgeschlossen.

Man könnte meinen, in den vergangenen Jahren hätten sich die alten Konflikte entschärft. So hatten bei der diesjährigen Betriebsratswahl im Daimler-Werk Untertürkheim die Vertreter der oppositionellen Gruppe »Alternative« auf eine eigenständige Kandidatur verzichtet und stattdessen auf der Liste der IG Metall kandidiert. Diese hatte sich zuvor notgedrungen bereit erklärt, die Betriebszeitung der Oppositionellen zu tolerieren. Zu stark sind die bisher mit zehn von 45 Sitzen im Betriebsrat vertretenen Gewerkschaftslinken hier, als dass die IG-Metall-Verwaltungsstelle mit ihnen fertig geworden wäre. Von den 34 Metallern im neuen Betriebsrat sind nun noch neun der »Alternative« zuzurechnen. Auch in anderen Werken existieren seit einigen Jahren oppositionelle Listen. Nicht wenige kandidieren unter dem Namen »Alternative« und beziehen sich damit auf das Beispiel der Untertürkheimer.
Die Ergebnisse der Betriebsratswahlen in diesem Jahr waren insgesamt zwiespältig. Während die »Alternative« im Werk Sindelfingen nur einen Sitz erringen konnte, kam die gleichnamige Gruppe in Hamburg auf fünf Mandate. In der Folge hatte dort die offizielle IG-Metall-Liste die absolute Mehrheit verloren. Die »Alternative« im Kasseler Daimler-Werk wiederum fiel von sechs auf vier Sitze zurück, und bei Opel Bochum wird die traditionsreiche GoG erstmals seit 38 Jahren nicht mehr im Betriebsrat vertreten sein.
Besonders umkämpft war der Betriebsrat im Daimler-Werk in Berlin-Marienfelde, ein mit 2 500 Beschäftigten vergleichsweise kleiner und zudem schrumpfender Standort. Dort hatte es bereits vor den Wahlen starke Spannungen gegeben. So hatte die Betriebsratsmehrheit Samstagsarbeit und weitere Flexibilisierungen akzeptiert, im Gegenzug gab Daimler die Zusage, dass ein bestimmtes Produktionsniveau gehalten werde. Die kritischen Betriebsräte wurden dabei in den Vereinbarungsprozess gar nicht erst einbezogen. Voraus ging dem, dass die drei Oppositionellen im Gremium, Mustafa Efe, Waldemar Derda und Fehmiye Utku, die Politik der Betriebsratsmehrheit scharf attackierten, da diese in der Konsequenz vor allem Stellenabbau, Lohnkürzungen und mehr Arbeitshetze bedeuten würde. Die IG Metall konterte mit Ausschlussdrohungen und sammelte Unterschriften im Betrieb für den Rücktritt der Oppositionellen im Betriebsrat.

So entwickelte sich im März die Betriebsratswahl in Marienfelde zu einem Referendum über die grundsätzliche Ausrichtung der Betriebsratsarbeit. Erstmalig gab es eine Listen- statt einer Persönlichkeitswahl, und die angetretene »Alternative« konnte fünf Sitze erringen, gegenüber 15 der offiziellen IG-Metall-Liste – ein klares Votum für eine starke linke betriebliche Opposition. Während sich also mancherorts die Kollegen, die in der Krise der Automobilindustrie um ihren Job fürchten, um den institutionell verankerten IG-Metall-Apparat scharen, brechen anderenorts die Widersprüche auf, werden oppositionelle, klassenkämpferische Gruppen gestärkt.
Die IG Metall scheint nun eine konzertierte Aktion gegen die Linksoppositionellen vorzubereiten. In Berlin, Kassel und Sindelfingen sollen Ausschlussverfahren gegen die »Alternativen« eingeleitet werden. Ein Aufruf gegen diese angestrebten Verfahren wurde innerhalb weniger Tage von über 400 Kollegen unterschrieben, und die Unterschriftensammlungen gehen weiter. Die angedrohten Ausschlüsse könnten sich dabei für den Gewerkschaftsapparat als Bumerang erweisen. Denn die Solidaritätskampagne für die Betroffenen führt eher zu einer besseren Kooperation der »Alternativen« und der innergewerkschaftlichen Opposition.

In Berlin erhält der Konflikt zusätzliche Brisanz dadurch, dass weitere kritische Stimmen innerhalb der IG Metall existieren, deren sich anscheinend manche in den Führungsgremien gleich mit entledigen möchten. So hatte sich etwa der AK Internationalismus der IG Metall Berlin nicht nur offen gegen die angedrohten Ausschlüsse oppositioneller Gewerkschafter gestellt, sondern er übte auch scharfe Kritik am Verbot gewerkschaftlicher Betätigung für die FAU Berlin und am Verhalten von Verdi-Funktionären im Konflikt der Syndikalisten mit dem Berliner Kino Babylon Mitte. Der stellvertretende Vorsitzende des DGB-Bezirks Berlin Brandenburg, Christian Hoßbach, sandte daraufhin ein Beschwerdeschreiben an den Ersten Bevollmächtigten der IG Metall Berlin, Arno Hager. Darin bezeichnete er die über Gewerkschaftsgrenzen hinweg solidarische Haltung des AK Internationalismus »freundlich gesagt als unsolidarisch«, der AK Internationalismus habe sich »im Sinne einer organisationspolitischen Konkurrenz« geäußert. Damit steht ein Vorwurf im Raum, der gern als »gewerkschaftsschädigendes Verhalten« gewertet wird. Und das wird bekanntlich häufig mit Ausschlussverfahren quittiert.