Die Jobcenter erhöhen den Druck auf junge Arbeitslose

Coaching für U-25

Viele junge Arbeitslose sehen sich mit besonderen Problemen auf dem Arbeitsmarkt konfrontiert. Das Bundeskabinett hat für sie die Bestimmungen in den Jobcentern geändert und wird damit den ­sozialen Druck verschärfen.

Nach der Schulzeit sollte man zuerst einmal die Beine baumeln lassen und Urlaub machen. Oder ein wenig jobben, auf Partys gehen und mit Freunden besprechen, was man eigentlich will. Das neue Arbeitsmarktgesetz für arbeitslose Jugendliche setzt einen anderen Akzent. Nach einem Kabinettsbeschluss von Ende April, dessen Annahme durch den Bundestag als sicher gilt, müssen die Jobcenter jungen Arbeitslosen nun innerhalb von sechs Wochen ein verbindliches Angebot machen: ein Jobangebot, eine Fortbildungsmaßnahme oder auch einen Ein-Euro-Job. Gegebenenfalls kann auch eine Drogentherapie akzeptiert werden. Bei Ablehnung des »Angebots« wird das Arbeitslosengeld II gekürzt oder gestrichen. Darüber hinaus wird der Personalschlüssel verbessert, so dass ein Vermittler auf 75 Jugendliche (bisher 83) kommen soll. Zusätzlich soll ihnen ein Coach zur Seite stehen.

Die Zielgruppe dieser Reform sind die »U-25«: junge Erwachsene unter 25 Jahren. Diese heterogene Gruppe reicht vom »mehrfach benachteiligten Jugendlichen« ohne Schulabschluss und Wohnsitz bis zur Abiturientin mit unterstützendem Elternhaus, die auf dem Weg in den Wunschberuf Phasen der Erwerbslosigkeit durchlebt. Im Fokus der Aufmerksamkeit stehen diejenigen, die auch Dauerkunden bei den Jobcentern oder Argen werden können. Schließlich liegt die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland offiziell bei zehn Prozent. Etwa noch einmal so viele sind nicht erfasst oder befinden sich in Maßnahmen.
Der Sozialpädagoge Jens Dürr* arbeitet in Jobcenter-Maßnahmen, mit denen Jugendliche auf dem Weg zu einem Schulabschluss oder einer Ausbildung unterstützt werden sollen. »Bei mir sind in der Regel 18- bis 25jährige, die noch nie einen Fuß auf dem Boden hatten«, schildert Dürr seine Klientel der Jungle World und führt weiter aus: »Viele haben die Schule abgebrochen. Manche haben Suchtprobleme, eine Vorstrafe, sind psychisch krank, verschuldet oder haben keine Wohnung. Viele kommen schon aus der Jugendhilfe, oder sie haben Stress zu Hause.« Die Vorstellung, diese Jugendlichen gleich in eine Maßnahme wie ein Bewerbungstraining zu stecken, hält der Sozialarbeiter für »weltfremd«. Aus seiner Sicht wäre es wichtiger, solche jungen Erwachsenen erst einmal zu stabilisieren, zum Beispiel durch eine Schuldenberatung.
Ohnehin hätten jene U-25 mit besonderen Problemen zu kämpfen, erklärt Dürr: »Zu Hause werden sie nicht mehr gewünscht und wollen da nicht sein. Ich muss alles tun, damit ich die Leute aus dem Umfeld heraus bekomme. Aber die Arge stellt sich quer und will diese Familien aus Kostengründen zusammenhalten.« Häufig würden die Betroffenen dann ausweichen und wochenweise bei Freunden übernachten. Daher hätten sie keine Basis, um ihren eigenen Weg zu gehen. Vordringlich sei deshalb häufig die Unterstützung bei der Wohnungssuche, meint der Sozialpädagoge. Dabei sollte auch geprüft werden, ob die Leute »wohnfähig« sind: »Die Frage ist, ob sie es hinbekommen, die Post zu lesen und die Stromrechnung zu bezahlen. Es gibt Leute, die brauchen eine Wohnraumbegleitung. Da muss man eine längerfristige Beziehung aufbauen« Viele Sachbearbeiter von der Jugendabteilung seien sich dessen bewusst, meint Dürr: »In der Praxis lassen die teilweise die Finger von den Sanktionen. Aber gesetzlich sind sie gezwungen, die Leute von einer Maßnahme in die andere zu schicken oder zu sanktionieren.«

Während viele U-25 allein schon viel Zeit benötigen, um mit Problemen fertig zu werden, die durch ihre Herkunft bedingt sind, sind die Anforderungen auf dem Arbeitsmarkt gestiegen. Eine Schreinerlehre bekommt oft nicht einmal mehr ein guter Hauptschulabsolvent. Für die vielen jungen Erwachsenen ohne Abschluss oder mit schlechtem Hauptschulabschluss bleiben nur Niedriglohnjobs – etwa als Hilfskoch und Bäckereiverkäuferin – oder die Zeitarbeitsjobs.
Auch Claus-Dieter Rückel, Leiter der Arge Nürnberg, widerspricht der Annahme, dass die schnelle Vermittlung an sich gut sei. Das sei nur von Nutzen, wenn in dieser Zeit ein »entsprechender Beziehungsaufbau« geleistet werde, um ein »passgenaues Angebot« zu finden, erklärte er Ende April bei N-TV. Treffe das nicht zu, »dann wird das nur ein Standard-Angebot, das häufig den Frust der Jugendlichen noch verstärkt«, so Rückel. Auch Dürr kann das bestätigen: »Die Agentur für Arbeit nimmt immer mehr Einfluss auf die Maßnahmen, aber die Perspektive auf Berufsvermittlung geht an dem, was meine Leute tatsächlich brauchen, vorbei.« Am schlimmsten sind Dürr zufolge »die schnellen Maßnahmen mit über 15 Wochenstunden, um die Leute aus der Statistik zu holen. Das packen die nicht und sind frustriert.«

Die Welt vieler junger Arbeitsloser und die Anforderungen der Jobcenter stehen demnach häufig im Widerspruch. Angesichts des Stillstands bei der Schaffung von Ausbildungsplätzen und existenzsichernden Jobs muss die Ankündigung der Koalition, junge Hartz-IV-Empfänger stärker zur Annahme von Ausbildungs- und Jobangeboten zu drängen, fast schon als Androhung weiterer sozialer Repressalien verstanden werden. Guido Westerwelle interpretiert das neue Gesetz so: »Wer jung ist, wer gesund ist, wer keine eigenen Angehörigen zu versorgen hat, dem ist es zumutbar, dass er für das, was er vom Staat bekommt, auch eine Gegenleistung erbringt.« Und die Welt findet: »Gewiss täte etwas mehr Druck gut«. Ihr zufolge soll mehr in eine Kooperation mit der Wirtschaft investiert werden, statt das Geld »für die überbordende Finanzierung des Nichtstuns« zu verwenden.
Der Zorn auf die »Nichtstuer« entspricht dem Zeitgeist. Wilhelm Heitmeyer, Professor für Pädagogik und Autor der Studie »Deutsche Zustände«, machte jüngst darauf aufmerksam, dass 57 Prozent der Deutschen es angesichts der Wirtschaftskrise »empörend« fänden, »wenn sich Langzeitarbeitslose auf Kosten der Gesellschaft ein bequemes Leben machen«. Die entsprechenden Konsequenzen bekommen vor allem die jungen Arbeitslosen zu spüren. Für sie gelten schon länger die restriktivsten Sanktionsbestimmungen. Bei Verstößen gegen die Eingliederungsvereinbarung ist ihnen der Regelsatz für drei Monate zu streichen. Für Erwachsene gelten dagegen stufenweise Kürzungen. Allein 2008 wurden 256 000 U-25-Arbeitslose sanktioniert. Was es für Menschen bedeutet, denen in schwierigen Lebenslagen, zum Beispiel bei Verschuldung, das Geld gestrichen wird, wird von der Bevölkerungsmehrheit, die Strafen befürwortet, offenbar ignoriert.
Die Ungleichbehandlung junger Erwachsener versucht Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen mit einer besonderen »Förderung« dieser Gruppe zu begründen. Hier darf man auf die »Coa­ches« gespannt sein, die bald den Sachbearbeitern in den Ämtern zur Seite stehen werden. Der Coach »kennt sich aus im System, er macht Mut und sorgt auch dafür, dass der Jugendliche pünktlich im Betrieb oder der Schule erscheint«, so von der Leyen. Doch Coaching ist gegen fehlende Ausbildungs- und Arbeitsplätze ebenso machtlos wie gegen soziale Probleme, Bildungsmangel oder Armut. Es wird also darauf hin gecoacht werden, die Erwartungen der Betroffenen auf ein realistische Maß zu beschränken: einen Niedriglohnjob mit Lohnaufstockung durch das Jobcenter anzunehmen und dabei weiter Bewerbungen zu schreiben. Vielleicht lassen sich auch bald die ersten Jobcenter-Mitarbeiter vom Kollegen coachen. Denn auch ihnen verlangt von der Leyen einiges ab: Innerhalb von sechs Wochen für jeden U-25-Arbeitslosen ein sinnvolles Angebot zu unterbreiten – das klingt nach viel Arbeit.

* Name von der Redaktion geändert