Jemand muss den Stecker ziehen

Nur wenige Menschen kämen auf die Idee, jeden Junkie als Drogenexperten zu betrachten. Doch hartnäckig hält sich das Vorurteil, dass Menschen, die viel Geld verdienen, auch etwas von Ökonomie verstehen. Nun sollte man glauben, dass sich nach der Finanzkrise eine schlichte Erkenntnis verbreitet hätte: Man muss weder vom Kapital noch vom Kapitalismus etwas verstehen, um eine erfolgreicher Kapitalist zu sein. Doch alles geht weiter seinen kapitalistischen Gang. So ist es derzeit Konsens in der Geschäftswelt, dass die Griechen erst einmal in eine Rezession gestürzt werden müssen, um ihre Schulden bezahlen zu können. Man senkt die Kaufkraft um 20 oder auch 30 Prozent und unterbindet staatliche Investitionen, damit wieder verstärkt konsumiert und investiert werden kann, denn nur so kann ein Wirtschaftswachstum entstehen, das es ermöglicht, die durch die neuen Kredite noch einmal gewaltig gewachsenen Schulden abzutragen. Diese Politik nennt man dann »alternativlos«. Schließlich muss der Grieche ja das »Vertrauen der Märkte« wieder gewinnen.
»Die Nachfrage nach den Papieren mit fünfjähriger Laufzeit war mehr als dreimal so hoch wie das Angebot«, berichtete das Handelsblatt über den Verkauf griechischer Staatsanleihen. Das war vor unvorstellbar langer Zeit, nämlich vor vier Monaten. Da hat »der Markt« den Griechen noch vertraut. Dann beschloss die griechische Regierung ein Sparprogramm, die EU-Staaten entschieden, Griechenland mit Kreditgarantien vor dem Bankrott zu bewahren. Da war es weg, das Vertrauen. Schließlich fiel am 6. Mai auch noch der Dow Jones um 1 000 Punkte. Den Griechen gab man ausnahmsweise nicht die Schuld. Die US-Börsenaufsicht SEC glaubt nun, die Computer seien verantwortlich. Die Investoren vertrauen nämlich nicht einmal mehr sich selbst, deshalb werden an der Wall Street 60, vielleicht auch 80 Prozent aller Geschäfte von Computern abgewickelt. Computer sind schneller als Menschen. Während der gemeine Börsianer noch schaut, in welche Richtung die Herde der Anleger läuft, hat der Computer schon investiert oder verkauft. Er kann daher auch in kürzerer Zeit mehr Schaden anrichten als ein Mensch. Ein Computer »folgt der kodierten Logik, egal, was dabei herauskommt«, erläuterte Mary Schapiro von der SEC. So verschwanden innerhalb einer Viertelstunde eine Billion Dollar. Warum niemand auf die Idee kam, den Stecker zu ziehen, erläuterte Schapiro nicht. Das jüngste Desaster wirft aber noch eine andere Frage auf. Dass nicht alle Griechen daran arbeiten wollen, das Vertrauen der Märkte zu gewinnen, kann die Geschäftswelt verschmerzen. Nun aber wird sie von ihrer eigenen Hardware hintergangen, und es ist unklar, wie die Computer das Vertrauen der Märkte zurückgewinnen können.