Die Debatte über die Besteuerung von Finanztransfers

Die Tobin-Waffe

Die Besteuerung von Finanztransfers wird erstmals im europäischen Establishment ernsthaft diskutiert. Deutschland könnte sie als Waffe im Konkurrenzkampf mit den USA gut gebrauchen.

Einer der wichtigsten europäischen Lobbyisten der Hedgefonds und Private-Equity-Firmen im Finanzsektor dürfte eine schlechte Woche gehabt haben. Andrew Baker, Chef der Alternative Investment Management Association (AIMA), musste sich mit den Entwürfen des EU-Finanzministerrates und des EU-Parlaments zur Regulierung der Hedgefonds auseinandersetzen, die teilweise erhebliche Einschnitte vorsehen. Baker bezeichnete die Mehrzahl der Vorschläge als »nicht umsetzbar«. Vor allem die Idee eines EU-Fonds-Passes, durch den US-amerikanische und britische Fonds nach europäischem Recht arbeiten müssten, oder auch die Begrenzung der Investments für einzelne Fondsmanager seien »unverhältnismäßig bis hin zu bestrafend«. Befinden wir uns also tatsächlich am Beginn eines europäischen »Anti-Zocker-Kreuzzuges«, den der Spiegel in der vergangenen Woche heraufziehen sah?

Die Offensive gegen undurchsichtige Finanzbereiche wird auch national sekundiert, etwa durch das in Deutschland seit voriger Woche in Kraft getretene Verbot von Leerverkäufen. Vor diesem Hintergrund könnte man den Eindruck gewinnen, dass es den hierzulande gern als »Heuschrecken« bezeichneten Spekulanten an den Kragen gehe. Vor allem, dass eine Einführung von speziellen Finanzsteuern erstmals überhaupt jenseits von Attac, kleineren NGO oder oppositionellen Sozialdemokraten und Gewerkschaftern ernsthaft diskutiert wird, scheint die Bereitschaft für eine grundlegende Neuorientierung zu signalisieren. So wurde bei dem Treffen der EU-Finanzminister ein Konsens über eine Zustimmung zur Finanztransaktionssteuer erzielt. Kein Euro-Land, Großbritannien vergaß er zu erwähnen, habe sich diesem Kurs widersetzt, sagte der Vorsitzende der Ministerrunde und luxemburgische Ministerpräsident Jean-Claude Juncker. »Es wird so sein, dass diejenigen auch bezahlen müssen, die nicht unschuldig sind an dem Schlamassel, in dem wir alle stecken.«

Es wäre also eigentlich höchste Zeit, den langjährigen Verfechtern einer solchen Besteuerung zu gratulieren. »Vereinigung zur Besteuerung von Finanztransaktionen im Interesse der Bürger«, so lautet die deutsche Übersetzung für den ausgeschriebene Namen von Attac. Im vergangenen Herbst hatte sich das Netzwerk wieder auf seine ursprüngliche Forderung nach der Tobin-Tax auf Finanzmarkttransaktionen besonnen und mit anderen Organisationen eine Kampagne unter dem Titel »Steuer gegen Armut« vorgestellt. Mit »Stolz in der Stimme« (FAZ), aber vermutlich auch ein wenig verwirrt angesichts des eigenen Erfolgs, konnte Detlev von Larcher, der frühere SPD-Bundestagsabgeordnete, der sich bei Attac mit Steuerthemen befasst, den Erfolg der Kampagne verkünden. »Ich habe neulich geschrieben, dass die Politik mit der Transaktionssteuer den Menschen ein Symbol dafür geben muss, dass sie etwas zur Regulierung der Finanzmärkte tut. Und kurz danach hat Frau Merkel es ganz genau so gesagt.« Es hat den Anschein, als wäre lediglich die Verwendung der zusätzlichen Steuermittel umstritten. Nach dem Willen Attacs sollten damit vor allem Entwicklungsländer unterstützt werden, während sich die europäischen Regierungschefs davon eher einen Beitrag für die Konsolidierung ihrer Haushalte erhoffen.
Dass die Bundesregierung, noch dazu eine schwarz-gelbe, überhaupt bereit ist, über eine Finanzmarktbesteuerung zu reden, scheint im Rückblick auf die Entwicklung der vergangenen 20 Jahre überraschend. Eine chronologische Auflistung der rechtlichen Veränderungen der Finanzmarktgestaltung seit 1990, die von der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Auftrag gegeben worden ist, wurde Ende des vergangenen Jahres vorgelegt. Das Ergebnis ist eindeutig. Das Ziel der »Standortförderung« in der internationalen Konkurrenz sei in diesem Zeitraum von allen Bundesregierungen immer als »Bereitstellung möglichst guter Bedingungen für Investoren« verstanden worden. Vor diesem Hintergrund wirken die gegenwärtigen Debatten tatsächlich trotz kleinerer Regulierungen vor allem zum Anlegerschutz seit 2008 wie eine Kehrtwende.
Bei genauerer Betrachtung ist die Eintracht bei den konkreten Vorstellungen weniger groß, als es die freudigen Worte von Detlef von Larcher nahe legen. Ihre grundsätzliche Haltung hat Angela Merkel (CDU) in einem kurzen Statement anlässlich der Eröffnung des DGB-Bundeskongresses dargestellt. Dort erklärte die Bundeskanzlerin, dass sie sich lediglich im Falle eines gemeinsamen Vorgehens aller G20-Regierungschefs einer stärkeren Regulierung des Finanzsektors durch eine Finanztransaktionssteuer »nicht entgegenstellen« werde. Zudem bevorzugt die Bundesregierung nach wie vor eine Finanzaktivätssteuer, bei der lediglich die Gewinne und Managerboni nachträglich besteuert würden. Attac, die Oppositionsparteien, aber auch einige europäische Regierungen bevorzugen eine Finanzmarkttransfersteuer, die zwischen 0,05 und 0,5 Prozent liegen könnte und bei jedem Kauf anfallen würde, wodurch sich die Umschlagzeiten der Spekulationsgeschäfte verlängern sollen.
Bei Merkels Vorgehen und dem ihrer Mitstreiter, vor allem Finanzminister Wolfgang Schäuble, handelt es sich vielmehr um die Durchsetzung des alten Ziels mit anderen Mitteln. Deutlich wurde dies auf dem Vorbereitungstreffen für den G20-Gipfel, der im Juni in Toronto stattfinden wird. Vor internationalen Wissenschaftlern, den Vertretern der wichtigsten Industrienationen und des Internationalen Währungsfonds (IWF) forderte Merkel wiederholt eine international koordinierte Besteuerung der Finanzaktivitäten. Unterstützung erhielt sie dabei von EU-Kommissar Michel Barnier, der für die Finanzmarktregulierung zuständig ist. Es sei wichtig, so Bernier, »dass alle, die an diesem G20-Gipfel teilnehmen, am gleichen Strang ziehen und die gleichen Zeitpläne verfolgen«. Stellvertretend auch für die US-amerikanische und britische Delegation wies der kanadische Finanzstaatssekretär Tiff Macklem diese konzertierte internationale Besteuerung zurück. »Wir bezweifeln, dass man Banken durch Besteuerung stabiler machen kann.«

Nicht etwa politische Ideen oder wirtschafts­politische Konzepte treffen hier aufeinander, sondern die grundlegenden Interessen der jeweiligen Nationalökonomien. So sitzen 80 Prozent der europäischen Hedgefonds am Finanzplatz London, nordamerikanische Fonds dominieren weltweit das Geschäft. Eine Besteuerung der Finanztransaktionen würde diesen Ländern größere Probleme bereiten als etwa dem Exportland Deutschland, dessen industrieller Anteil an der Wertschöpfung mehr als dreimal so hoch ist wie der Großbritanniens. Die Standortförderung der Bundesregierung, die sich, wie in Krisen­szenarien üblich, in verstärkter Konkurrenz zu den anderen führenden Nationalökonomien ausdrückt, ist zu offensichtlich. Da hilft auch keine rein europäische Besteuerung, wie sie Juncker mit den Worten, man könne sich nicht immer »hinter den Amerikanern verstecken«, gefordert hatte und von der Bundesregierung zurückgewiesen wird. Eine europäische Lösung ist für Deutschland aber nicht nur wegen des geringen Umfangs der betroffenen Hedgefonds eher unattraktiv. Die Besteuerung der Finanzmärkte ist in Berlin nur als Waffe gegen die Dominanz der angelsächsischen Zentren populär. Merkels Ausbruch gegenüber Macklem, »nationaler Eigensinn« sei das falsche Signal, erbrachte so auch nur Schulterzucken seitens der direkten Konkurrenten.