Meuterei von rechts in der CDU

Mehr Gott, mehr Staat, mehr Vaterland

Bei den Wahlen in NRW schafften es weder die CDU noch Pro NRW, die Nichtwähler im rechten Spek­trum zu gewinnen. Angesichts der Krise in der Union wie auch in der Eurozone versuchen die nationalkonservativen Kräfte jetzt, sich neu zu formieren und die CDU zurück auf den rechten Weg zu führen.

Jede Niederlage braucht ihre Schuldigen, das gilt erst recht für die Politik. Der Ruf »Haltet den Dieb« wird hier schnell zum Gebot des Überlebens. Die herben Stimmverluste der nordrhein-westfälischen CDU bei der Landtagswahl haben jetzt erwartungsgemäß die Kräfte auf den Plan gerufen, die im Kurs der Bundes-CDU einen Verrat am konservativen Profil der Partei sehen. Nachdem die Parteivorsitzende Angela Merkel mächtige Vertreter des rechten Parteiflügels wie Roland Koch kaltgestellt hatte, wird nun ihre Berliner Koalition für das NRW-Debakel verantwortlich gemacht. Zwar zählt der eigentliche Wahlverlierer, Jürgen Rüttgers, nicht gerade zum weltoffenen Flügel der CDU, doch scheint die Stunde günstig für eine Meuterei von rechts. Immerhin hat man nicht nur einen Ministerpräsidenten, sondern auch die sichere Mehrheit im Bundesrat verloren.
Als sei das alles noch nicht genug, wird die Kanzlerin vom unpopulären Außenminister Guido Westerwelle in die Tiefe gezogen, dessen FDP bei den Wahlen in NRW der größte Verlierer war. Merkels Position hat also schwer gelitten, Roland Koch konnte den Rammbock geben und brüskierte sie kürzlich mit einem Angriff auf ihre »sozialdemokratische« Politik. Koch trommelte offensiv zum Klassenkampf von oben, er hatte nichts mehr zu verlieren, am Dienstag verkündete er seinen Rückzug aus der Politik. Auch der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer, von Merkel einst zurück nach München vertrieben, sieht die Stunde der Abrechnung gekommen und wirft der Regierung mangelnden Handlungswillen vor.

Befördert wird dieser Trend durch das schlechte Abschneiden der anderen Rechtsparteien. Da weder diverse Kleinstparteien noch die medienwirksame »Pro-Bewegung« in der Lage waren, die rechten Wähler einzusammeln, sehen manche in der Union die Chance, dass die CDU das selber schaffen könnte. Denn anders als Ronald Schill, der 2001 in Hamburg ebenfalls mit dem Kürzel »Pro« aus dem Stand in die Landesregierung gewählt wurde, war Pro NRW kein Erfolg beschieden. Während Schill in Hamburg damals den Beifall nicht nur des Boulevards erhielt, fehlte dem monothematischen Anti-Moscheen-Wahlkampf von Pro NRW die mediale Unterstützung. Auch verdankte Schill seinen Erfolg der Hamburger SPD, die sich mit ihm auf einen Wettbewerb einließ, wer den härteren Kurs in Sachen law and order fährt. Den konnte die SPD nur verlieren, Schill nahm sie damit einen Großteil der Werbung ab.
Pro NRW gelang es hingegen kaum, den anderen ihre Themen aufzuzwingen. Ihre Gegner setzten auf Konfrontation und nicht darauf, Pro NRW zu überbieten. Zudem verfügte Schill über einige Deserteure aus dem bürgerlichen Spektrum, die sein halbseidenes Umfeld mit der notwendigen Seriosität auszustatten in der Lage waren. Die »Pro-Bewegung« übte dagegen eine geradezu magische Anziehungskraft auf abgehalfterte Protagonisten der äußersten Rechten aus. Ihrem Image war das wenig dienlich.
Das schlechte Wahlergebnis von Pro NRW hat gezeigt, dass es nicht einfach ist, aus dem Nichts eine funktionierende Rechtspartei aufzubauen. Dabei wäre genügend Potential vorhanden. Wie Richard Gebhardt und Alban Werner schreiben (Jungle World 16/2010), könnte »die partielle Abkehr von den ›Altparteien‹ langfristig die Grundlage für den Erfolg einer extrem rechten Wahlpartei sein«. Wenn mehr als 40 Prozent der Wahlberechtigten nicht zur Wahl gehen, dürfte es entscheidend sein, wer künftig in der Lage sein wird, die nicht wählenden Teile der Bevölkerung zu mobilisieren. Hier wollen die Gegner Merkels wieder Terrain gutmachen.
Und dabei erhalten sie Unterstützung. Schon vor der Wahl hatte ein bislang wenig bekannter Vertreter der Unionsrechten, Friedrich-Wilhelm Siebeke, enttäuschte Rechtskonservative um sich gesammelt, die unter der Parole »Stoppt den Linkstrend« scharf gegen die Merkel-CDU agitierten. Siebeke, der sich selbst als christlich-konservativ versteht, hatte sich schon gegen den Parteiausschluss von Martin Hohmann gestellt. Nun rief er dazu auf, die Partei gegen ihre Berliner Spitze wieder auf den rechten Kurs zu bringen. »Eine deutsche Tea-Party«, frohlockte prompt die Junge Freiheit. Die rechte Wochenzeitung hofft schon lange entweder auf eine innerparteiliche Wende der Union oder gleich auf die Neugründung einer Rechtspartei. Entsprechend bietet sie den Frondeuren ein Forum.
Darin artikuliert sich immer wieder der einst in der Union tonangebende politische Katholizismus. Das weltweite Erstarken militant-religiöser Eiferer und die Missbrauchsskandale der katholischen Kirche scheinen die Verfechter transzendent überwölbter Politik regelrecht bockig gemacht zu haben. Angesichts der Missbrauchsdebatten warnte der CDU-Abgeordnete Norbert Geis in seiner Kolumne in der Jungen Freiheit im April hauptsächlich vor einem Angriff der Laizisten auf Kirche und Papst. Nach alter autoritärer Gepflogenheit gilt es eben stets, nicht die Verursacher, sondern die Überbringer der schlechten Nachrichten zu köpfen.
Als eines der großen Dauerthemen steht auch die Bildungspolitik im Zentrum der Kämpfe. In Hamburg schickte sich ausgerechnet eine CDU-Regierung an, die dreigliedrige Schulstruktur zu beseitigen. Kaum war das klassische Gymnasium in Gefahr, fand die Toleranz des hanseatischen Bürgertums ein schnelles Ende. In ökonomisch angespannten Zeiten, wenn auch innerhalb der Eliten der Statuserhalt nicht mehr gesichert ist, werden Privilegien aggressiver verteidigt. Jetzt setzt eine Bürgerlobby den schwarz-grünen Senat unter Druck. Eben diese Kreise gilt es im Dienst einer Rechtswende zu umwerben. Die Tage des Bürgermeisters Ole von Beust scheinen auch innerhalb seiner Partei bereits gezählt.
Auch aus der Deckung der Provinz häufen sich die Schüsse gegen die Berliner Koalition. Von Stuttgart aus knöpfte sich Stefan Mappus, der Nachfolger von Günther Oettinger, den Bundesumweltminister wegen der Frage der Restlaufzeit für Atomkraftwerke vor, um Merkel Führungsschwäche nachzuweisen. Aus Bayern ruft derweil Peter Gauweiler das Bundesverfassungsgericht an, um die Rettungsmaßnahmen der Regierung für Griechenland zu verhindern.

Die tatsächlichen Gefahren für Merkels »modernen Kurs« lauern jedoch in der Finanzpolitik. Seit den Tagen Helmut Kohls war die europäische Einigung, bei der Deutschland die Führungsrolle beanspruchte, der eigentliche Modernisierungsmotor der CDU. Ungeachtet der wachsenden Skepsis des europäischen Auslandes gegenüber den deutschen Diktaten ist Merkel ihren rechten Kritikern viel zu europäisch orientiert. Die klassischen Tiraden gegen Homoehe, Abtreibung oder den Verzicht auf deutsche Gebietsansprüche in Osteuropa ließen in der Union unter Merkel deutlich nach, ohne dass sich nennenswerter Widerstand regte. In finanzpolitischen Fragen steht Merkel mit ihrem Kurs jedoch stärker unter Druck. Bei gesellschafts- und kulturpolitischen, selbst bei geschichtspolitischen Themen mag das Personal der CDU in den vergangenen Jahren eine erstaunliche Kulanz unter Beweis gestellt haben, aber beim Geld hört der Spaß bekanntlich auf. Im Vergleich zum Lamentieren über EU-Antidiskriminierungsvorgaben und europäisches Gendermainstreaming sind die Aufrufe zur Verteidigung der deutschen Steuerzahler gegen Brüssel weitaus konsensfähiger. Die schwere Erschütterung des Euro durch die faktische Staatspleite Griechenlands hat die alten »Europa-Skeptiker« auf den Plan gerufen. Vier der fünf Kläger gegen die Hilfskredite für Griechenland haben schon 1997 versucht, gegen die Einführung des Euro juristisch vorzugehen.
Getreu dem deutschen Mythos, Wohlstand komme ausschließlich von der eigenen Arbeit, fürchtet man nun den Abfluss »deutscher Euros« an Nachbarstaaten, die als weniger fleißig gelten. Die D-Mark-Nostalgiker werden wieder laut und stellen die gesamte europäische Währungsunion in Frage. Die Junge Freiheit wartete erst mit einem Interview mit Manfred Brunner von der Initiative »Pro-DM« auf, wenig später layoutete sie eine Seite im Stil eines Terrorismus-Fahndungsplakats: »Die Schuldigen. Verantwortlich für das Euro-Abenteuer«. Auf der Liste finden sich neben Helmut Kohl auch Wolfgang Schäuble und Horst Köhler. Allerdings beschränkt sich diese Stimmung nicht mehr auf die üblichen Verdächtigen, sondern erreicht auch andere gesellschaftliche Kreise. Die konservative Mittelschicht klagt ihr Daseinsrecht als eigentliche Triebkraft der Konjunktur ein, angesichts des drohenden Kollapses will sie die Stunde des nationalen Kapitals ausrufen. Nachdem die derzeitige Krise langsam in ihrer Tragweite begriffen wird, spricht sich herum, dass »der Markt« doch nicht alles zu richten vermag. Nach der Deregulierungswut der vergangenen Jahre wird es Zeit für den eigentlichen Übervater: den Staat. Hans-Werner Sinn, Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts Ifo, ging scharf mit den Rettungsmaßnahmen der Regierung ins Gericht und warf Bundeskanzlerin Merkel vor, sie habe die nationalen Interessen aus dem Blick verloren. Eine Umverteilung des Stimmrechts innerhalb der EU sei fällig, und Griechenland müsse bereit sein, auf einen Teil seiner staatlichen Souveränität zu verzichten. In der Süddeutschen Zeitung kritisierte er explizit die »Blauäugigkeit« Helmut Kohls schon bei der Konstruktion der EU und behauptete, das deutsche Stimmrecht innerhalb der EU entspreche »nicht dem Gewicht Deutschlands«. Als bekennender Ordoliberaler in der Tradition der Freiburger Schule plädiert er für eine starke staatliche Regulierung der Finanzmärkte bei gleichzeitiger Deregulierung des Arbeitsmarktes.
In der Frage der »Selbstheilungskräfte« des Marktes gerät Sinn auch schon mal in Konflikt mit dem Neoliberalismus der FDP. Seine Strategie läuft auf eine Neuordnung der politischen Mitbestimmung in Europa nach dem wirtschaftlichen Gewicht der Mitglieder hinaus. Dabei soll nicht nur der Nationalstaat als Kontrollinstanz wieder erstarken, sondern Deutschland ökonomisch und politisch zum Hegemon Europas werden. Entsprechend wohlgelitten ist Sinn bei der Jungen Freiheit, die ihn auch auf ihrer Autorenliste führt. Natürlich weiß Sinn ebenso wie die CDU, dass es für eine exportabhängige Wirtschaft wie die deutsche kaum eine Alternative zur EU gibt. Aber für einige rechte Muskelspiele innerhalb der CDU ist die Zeit eben sehr günstig. Denn die Krise verstärkt das Bedürfnis nach Sicherheit. Wenn die Wünsche nach mehr Autorität im Staat, mehr Nation in Europa und mehr Gott in der Gesellschaft lauter werden, könnte sich die politische Stimmung deutlich ändern. Das Ressentiment würde dann seine Form schon finden – innerhalb der CDU oder rechts von ihr.