»Viva Mussolini!«, ein Buch über die Aufwertung des Faschismus in Italien

Tee mit Mussolini

Der Historiker Aram Mattioli schildert in seinem neuen Buch den Wandel Italiens von der antifaschistischen Republik zum anti-antifaschistischen Staat.

Auf einer Italienreise packte Aram Mattioli angesichts der florierenden Geschäfte mit Mussolini-Devotionalien das blanke Entsetzen. Für den Schweizer Historiker, der in einer antifaschistischen Familie aufgewachsen ist, war es unbegreiflich, wie »die Verharmlosung des Faschismus in den Mitte-Rechts-Kreisen zu einem Kavaliersdelikt herabsinken konnte«. Er beschloss, der Frage wissenschaftlich nachzugehen, welche gesellschaftlichen Veränderungen dafür verantworlich sind. Das Ergebnis seiner Untersuchung liegt jetzt unter dem Titel »›Viva Mussolini!‹ Die Aufwertung des Faschismus im Italien Berlusconis« vor.
Der Untertitel der Studie lässt keinen Zweifel daran, dass der Verfasser dem amtierenden Ministerpräsidenten die »Hauptverantwortung« für den revisionistischen Vergangenheitsdiskurs in Italien zuschreibt. Nach seiner Ernennung zum Ministerpräsidenten 1994 habe Silvio Berlusconi die faschistische Nachfolgepartei MSI (Moviemento Sociale Italiano) politisch salonfähig gemacht, indem er sie in sein Wahlbündnis aufnahm, bevor sie sich offiziell von ihrem faschistischen Erbe lossagte und zur Neugründung der Alleanza Nazionale (AN) durchrang. Während seiner zweiten Amtsperiode habe er die extremistischen Gruppierungen, die sich am rechten Rand von der AN abspalteten, hofiert. Für Mattioli hat Berlusconi durch diese systematische Verwischung der Grenze zwischen der konservativen und der neofaschistischen Rechten ein Tabu der Demokratie gebrochen und innerhalb Westeuropas einen »Sonderweg« eingeschlagen: »Heute sind Faschismusapologie und ›Duce‹-Bewunderung in der Mitte der (italienischen) Gesellschaft angekommen«, resümiert er.
In Italien wird der Begriff Revisionismus wörtlich verstanden. Die italienischen Revisionisten sind, wie der Autor betont, Anti-Antifaschisten. Ihre neue Sicht auf die Geschichte basiert jedoch nicht auf dem erneuten Studium der historischen Quellen, sondern auf einer pseudowissenschaftlichen, emotionalen Umdeutung der antifaschistischen »Meistererzählung«. Diese stilisierte die italienische Widerstandsbewegung gegen den nazifascismo zum Gründungsmythos der Republik. Für das Selbstverständnis Nachkriegsitaliens war die Ausgrenzung der Neofaschisten konstitutiv. Der MSI blieb von der parteiübergreifenden Nationalversammlung, die die bis heute gültige Verfassung erarbeitete, ausgeschlossen. Den Revisionisten geht es deshalb bei der Enthüllung der Verbrechen der Resistenza nicht nur um eine klassische Täter-Opfer-Umkehrung, ihr vergangenheitspolitischer Diskurs hat vielmehr eine konkrete gegenwartspolitische Stoßrichtung: Die Rechte zielt auf die Revision der Verfassung, den Umbau der republikanischen Rechtsordnung. Der faschistische Diktator wird verharmlost und als ein zwar autoritärer, letztlich aber gutmütiger Patriarch dargestellt. Die Umdeutung der Geschichte korrespondiert mit dem Ruf nach einem starken, vom Parlament weitgehend unabhängigen Präsidenten. Vergleiche zwischen Berlusconi und Mussolini werden seit seinem dritten Wahlsieg 2008 nicht mehr als Skandal wahrgenommen, sondern vom Regierungschef selbst provoziert.
Ohne die Kontrolle, die der Unternehmer Berlusconi über Verlage und Fernsehsender ausübt, wäre die mediale Verbreitung des neuen Geschichtsverständnisses kaum möglich gewesen. Detailliert beschreibt der Autor die Wechselwirkung zwischen revisionistischer Politik und ihrer Vermittlung in der Unterhaltungsindustrie.
Dennoch ist es problematisch, Berlusconi allein für die Durchsetzung eines revisionistischen Geschichtsbildes verantwortlich zu machen. Der von seiner Regierung betriebenen Aufwertung des Faschismus ging bereits dessen jahrzehntelange Verharmlosung des Faschismus voraus. Mattioli deutet dies in der Diskussion der acht wichtigsten Topoi des revisionistischen Diskurses auch selbst an. Er analysiert ausführlich die verschiedenen Elemente, aus denen sich allmählich ein einziges »Ideologiemassiv« herausbildete, etwa die Banalisierung der faschistischen Diktatur und des Duce, die Verdrängung der italienischen Verbrechen, die offene Umdeutung historischer Ereignisse und die Forderung nach einer »nationalen Aussöhnung«. Hinter dieser rhetorischen Floskel verbirgt sich die Forderung nach dem Schlussstrich, der gezogen werden soll, noch ehe eine kritische Aufarbeitung der Vergangenheit überhaupt eingesetzt hat.
Mattioli macht drei »Erinnerungsmilieus« der Nachkriegsrepublik für die verweigerte Aufarbeitung verantwortlich. Das faschistische Milieu verklärte die Diktatur, das bürgerlich-konserva­tive wusste um die eigene Verstrickung und zeigte sich deshalb »nachsichtig« gegenüber den Verbrechen des Faschismus, und die antifaschistische Szene heroisierte den Befreiungskampf, statt den Konsens zur Kenntnis zu nehmen, auf den sich das faschistische Regime jahrelang verlassen konnte.
Nach Berlusconis Machtübernahme hätten sich die faschistische und die konservative Erinnerungskultur zu einem »bürgerlichen Hono­ratiorenrevisionismus« zusammengeschlossen. Lange Zeit war die Erinnerung an die Opfer der von jugoslawischen Partisanen verübten Vergeltungsaktionen den Neofaschisten vorbehalten, heute ist den Opfern ein nationaler Gedenktag gewidmet. Die von Italienern auf dem Balkan verübten Verbrechen werden dabei völlig ausgeblendet.
Die Rolle des Vatikan und der katholischen Kirche deutet der Autor in diesem Zusammenhang leider nur in einem kurzen Satz an, obwohl permanente Angriffe auf laizistische Errungenschaften der Republik ein wichtiges Element des Revisionismus sind.
Auch die Mitverantwortung der Linken für die Aufwertung des anti-antifaschistischen Diskurses erwähnt Mattioli nur an wenigen Stellen. Berlusconi kann die Resistenza aber nicht zuletzt deshalb als »bolschewistische« Revolutionsbewegung und die Verfassung als Machwerk »sowjetischer Prägung« denunzieren, weil die italienische Linke nach 1989 mit der Auflösung der Kommunistischen Partei auch ihre antifaschistische Tradition entsorgt hat. Sie überließ dem Revisionismus die Deutungshoheit über die Vergangenheit, statt die vielen blinden Flecken der antifaschistischen Meisterzählung aufzuzeigen. Die politische Linke hätte sich dabei auf den neuesten Forschungsstand beziehen können.
Mattioli, der Neueste Geschichte an der Universität Luzern lehrt und sich schwerpunktmäßig mit dem Faschismus beschäftigt, gibt in seiner Studie nebenbei einen sehr guten Überblick über die wissenschaftliche Diskussion. Neben einigen italienischen Universitätsprofessoren, die die verharmlosenden Darstellungen des Faschismus entlarvt und die Versäumnisse des institutionalisierten Antifaschismus benannt haben, verweist er wiederholt auf Historiker im Umkreis des Deutschen Historischen Instituts in Rom, die regelmäßig Konferenzen zur deutsch-italienischen Vergangenheitspolitik veranstalten. Dabei werden allerdings die Grenzen der vergleichenden Geschichtswissenschaft erkennbar. Während der italienische Faschismusforscher Renzo De Felice in den achtziger Jahren durch den Vergleich der faschistischen Diktatur mit den Verbrechen des Nationalsozialismus die revisionistische Verharmlosung von Mussolinis Regime überhaupt erst einleiten konnte, besteht heute umgekehrt die Gefahr, dass Mattioli und seine Kollegen die »deutschen Standards« der Aufarbeitung der Vergangenheit überschätzen und revisionistische Tendenzen in Deutschland im Vergleich zum Revisionismus in Italien bagatellisieren.

Aram Mattioli: »Viva Mussolini!« Die Aufwertung des Faschismus im Italien Berlusconis. Schöningh, Paderborn 2010, 201 Seiten, 19,90 Euro