Europas Bankrott-Kandidaten, Teil zwei: Italien

Das zweite Tangentopoli

Lange Zeit behauptete Silvio Berlusconi, Italien sei immun gegen die »griechische Gefahr« und werde die Krise auch ohne Einsparungen in den Griff bekommen. Nun hat die Regierung ein drastisches Spar­paket beschlossen. Serie über Europas Bankrott-Kandidaten. Teil zwei: Italien.

»Europa muss man wie ein Kind behandeln«, erklärte der deutsche Innenminister Thomas de Maizière Mitte Mai in einem Interview mit Italiens wichtigster Wirtschaftszeitung Sole24Ore, »man darf ihm nicht sofort nachgeben, sonst gibt man zu viel aus.« Um sicher zu sein, dass seine Gesprächspartner ihn auch wirklich verstanden hatten, stellte er klar: »Deutschland hat sich verändert. Jetzt bringen wir unsere Interessen zum Ausdruck.« Mit seinem schneidigen Auftritt reagierte der Minister auf die italienische Kritik an der deutschen Kanzlerin, sie habe wegen nationaler und parteipolitischer Interessen die Hilfszusagen für Griechenland verzögert und damit die Zukunft Europas aufs Spiel gesetzt. Die antideutsche Stimmung in Italien ist nicht nur der Solidarität mit dem griechischen Nachbarn geschuldet, sondern auch der Befürchtung, von den Deutschen zu den südländischen »Schweinestaaten« gezählt zu werden.
Obwohl die italienischen Staatsschulden sechsmal höher sind als die griechischen und derzeit 120 Prozent des Bruttoinlandprodukts betragen, gehört Italien offiziell nicht zu den Euro-Staaten, denen ein Staatsbankrott droht. Dennoch wird die Abkürzung »PIGS« immer häufiger mit einem Doppel-I – für Irland und Italien – geschrieben. Anders als in Griechenland, beteuern indessen die italienischen Finanzexperten, sei das italienische Banken- und Kreditwesen stabil, außerdem hätte sich Italien seinerzeit den Beitritt zur Eurozone nicht erschlichen, sondern durch harte Sparprogramme und Steuerleistungen erarbeitet.

Vergangene Woche jedoch musste die Regierung allem monatelang beschworenen Optimismus zum Trotz zugeben, dass auch Italien die »griechische Gefahr« drohe. Das Haushaltsdefizit lag im vergangenen Jahr bei fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts, infolge der angemahnten europäischen Budgetdisziplin soll es in diesem Jahr auf drei Prozent gesenkt werden. Da Italien außerdem 5,5 Milliarden Euro für den Griechenland-Kredit bereitstellen muss und bei einem Wirtschaftswachstum von weniger als einem Prozent nicht mit ausgleichenden Steuereinnahmen rechnen kann, sah sich Finanzminister Giulio Tremonti gezwungen, für 2011/2012 ein außerordentliches Sparprogramm von 24 Milliarden Euro vorzulegen. Wie seinem deutschen Kollegen fiel auch ihm in der Not ein Vergleich mit dem Kinderzimmer seiner Enkelkinder ein: Die Krise sei wie ein Videospiel, »plötzlich taucht ein Monster auf, du besiegst es und denkst, du hast das Spiel gewonnen, aber da kommt schon das nächste«.
Über den genauen Inhalt des Sparprogramms herrscht seit Tagen Unklarheit. Wegen koalitionsinterner Uneinigkeit werden ständig Maßnahmen angekündigt, relativiert und wieder zurückgenommen. Sicher ist, dass die Regierung unter dem Vorwand des neuen europäischen Sparzwangs den Abbau sozialstaatlicher Strukturen vorantreiben möchte. An erster Stelle stehen Einsparungen in der öffentlichen Verwaltung, im Schul- und Gesundheitswesen. Zuletzt wurde bekannt, dass mehr als 200 kulturellen Einrichtungen die staatlichen Zuschüsse gestrichen werden sollen. Ihre Schließung wird damit billigend in Kauf genommen wird.
Zusätzlich zu den angekündigten Einsparungen in der Sozialpolitik drängt Tremonti darauf, den Kampf gegen Steuerhinterziehung zu verschärfen. Dieser Vorstoß sorgt für ernsthafte Verstimmungen zwischen Regierungschef Silvio Berlusconi und seinem Finanzminister. Schließlich kommt jede Verschärfung des Steuerrechts einem Frontalangriff auf einen gewichtigen Teil der eigenen Wählerklientel gleich.

Das italienische Haushaltsdefizit ist zwar geringer als das griechische, im Hinblick auf das Ausmaß von Steuerhinterziehung und Korruption sind beide Länder aber durchaus vergleichbar. Nach einer Schätzung der Gewerkschaften werden in Italien jährlich mehr als 120 Milliarden Euro an Steuern hinterzogen. Dazu kommen die Kosten für ein weitverzweigtes staatliches Korruptions- und Klientelsystem. Nach Angaben des italienischen Rechnungshofs belastet dieses die öffentlichen Kassen zusätzlich mit 60 Milliarden Euro.
Ein Anfang des Jahres aufgedeckter Korruptionsskandal zog in den vergangenen Wochen immer größere Kreise. Anfänglich konzentrierten sich die richterlichen Untersuchungen auf Mitglieder einer Behörde für staatliche Bauprojekte und den Chef des Zivilschutzes, mittlerweile wurde bekannt, dass weitere Politiker aus Regierungskreisen zum »Klüngel« aus Politik und Wirtschaft gehören könnten. Anfang Mai musste Wirtschaftsminister Claudio Scajola von seinem Amt zurücktreten, weil er unter Verdacht steht, mit Hilfe dieses sogenannten Klüngels eine Wohnung im Zentrum von Rom weit unter Marktpreis erworben bzw. einen Teil des vereinbarten Kaufpreises schwarz bezahlt zu haben. In Anlehnung an »Tangentopoli«, jenen Skandal, der 1992 ein System aus Korruption, Schmiergeldzahlungen (it. tangenti) und illegaler Parteienfinanzierung offenlegte und schließlich zur Auflösung der Regierungsparteien Nachkriegsitaliens führte, werden die aktuellen Ermittlungsverfahren bereits als »Tangentopoli 2« bezeichnet. Die kriminellen Verbindungen zwischen privaten Unternehmern, staatlichen Angestellten und Politikern in höchsten Staatsämtern kosten die italienischen Steuerzahler nicht nur Milliarden, sie zerstören auch das viel beschworene Vertrauen in die staatlichen Institutionen.
Bisher reagierte die italienische Öffentlichkeit vor allem mit Sarkasmus auf die Enthüllungen dieses neuen Korruptionsskandals. Die naiven Beteuerungen des zurückgetretenen Wirtschaftsministers, jemand habe ohne sein Wissen knapp eine Million Euro an die Vorbesitzer seiner Luxuswohnung überwiesen, wurden mit Hohn und Spott beantwortet.

Dass die Empörung nicht in Aggression umschlägt, ist erstaunlich. Ein vergangene Woche vorgelegter Bericht des Statistikamtes belegt, dass die italienischen Haushalte immer weiter verarmen. Die Rate der Jugendarbeitslosigkeit liegt bei knapp 30 Prozent. Mehr als 50 Prozent der Italienerinnen und Italiener unter 30 Jahren leben bei der Familie, die nach wie vor die einzige soziale Absicherung in Italien darstellt. Angesichts dieser desolaten Lage sprechen die Gewerkschaft CGIL und die parlamentarische Opposition von »depressiven Maßnahmen« der Regierung, das vorgelegte Sparpaket beschränke sich auf Ausgabenkürzungen, statt ein Programm zur Ankurbelung des Arbeitsmarktes vorzulegen.
Auch die gesellschaftliche Stimmung ist depressiv. Ob es infolge der angekündigten Sparmaßnahmen zu Massendemonstrationen wie in Athen kommen wird, bleibt abzuwarten. Bisher überwiegt die Resignation. Guglielmo Epifani, der Vorsitzende der CGIL, erklärte, er sei nicht grundsätzlich dagegen, dass die Regierung »Opfer« verlange, sie müssten nur gerecht verteilt sein. Da dies offensichtlich nicht der Fall ist, diskutiert seine Gewerkschaft derzeit über die Möglichkeit, Ende Juni zu einem Generalstreik aufzurufen. Angesichts des Koalitionsstreits um einzelne Sparmaßnahmen könnte die Regierung allerdings bis dahin schon auseinandergebrochen sein.