Über Abschiebehaft in Deutschland

Sie sollen befördert werden

In vielen europäischen Ländern fanden in der vergangenen Woche Aktionen gegen Abschiebungen statt. Unterdessen nutzt man in deutschen Ministerien und Behörden vielfältige Instrumente, um sich derer zu entledigen, die man nicht haben will.

Yeni P. war 1996 von Indonesien zunächst nach Hannover gezogen. Zweimal wurde sie danach wieder aus Deutschland ausgewiesen, kehrte jedoch jeweils unter anderem Namen oder unerlaubt zurück und finanzierte sich zuletzt durch Prostitution. Im Februar wurde sie nach einem Hinweis ihres Ex-Mannes in Hamburg von der Polizei aufgegriffen. Wegen Verstoßes gegen das Aufenthaltsgesetz kam sie zunächst in Untersuchungshaft, kurze Zeit später wurde daraus Abschiebehaft. Am 16. April wurde sie tot in ihrer Zelle in der Justizvollzugsanstalt Hamburg-Höversand aufgefunden. Sie hatte sich erhängt – ihre Abschiedsbriefe zeugen von ihrer großen Angst vor einer Abschiebung und davor, in Indonesien im Gefängnis zu landen.

Nach Informationen der Antirassistischen Initiative Berlin (ARI), die die tödlichen Folgen deutscher Flüchtlingspolitik jährlich dokumentiert, haben sich von 1993 bis Ende vorigen Jahres insgesamt 154 Menschen wegen ihrer drohenden Abschiebung das Leben genommen oder starben bei dem Versuch zu fliehen. Noch wesentlich mehr Menschen begingen folgenreiche Suizidversuche oder fügten sich erhebliche Verletzungen zu. Umso erstaunlicher wirkten die Reaktionen der schwarz-grünen Koalition in Hamburg nach diesem zweiten Selbstmord in Hamburger Abschiebehaft innerhalb weniger Wochen: Man zeigte sich schockiert und verkündete, in Zukunft etwas an der Praxis der Abschiebehaft ändern zu wollen. In Wahrheit sind sowohl die unwürdigen Bedingungen in den deutschen Abschiebegefängnissen als auch die Abschiebepraxis und die damit verbundenen Ängste hinlänglich bekannt und werden in Kauf genommen. Bis zu 30 000 Menschen sind in Deutschland über das Jahr verteilt eingesperrt, weil man sie des Landes verweisen will. Manche von ihnen müssen einige Tage bleiben, andere sind bis zu 18 Monate inhaftiert. Teils sind sie mit Strafgefangenen in den Justizvollzugsanstalten untergebracht, daneben existieren in Deutschland mittlerweile neun eigenständige Abschiebegefängnisse. Die etwa 80 Euro, die für einen Tag Abschiebehaft berechnet werden können, müssen die Inhaftierten selbst aufbringen – wie übrigens auch die Abschiebung selbst bezahlt werden muss.
Da der Vollzug der Abschiebehaft Sache der Bundesländer ist, gestaltet sich eine Debatte über einzelne Aspekte der Abschiebehaft oft als schwierig. Fest steht allerdings, dass auch zahlreiche Minderjährige inhaftiert werden. Nach Angaben der Bundesregierung waren zwischen 2005 und 2007 in Deutschland sogar 377 unbegleitete Minderjährige, also ohne Begleitung ihrer Eltern, betroffen. Wie bei der Konferenz der Innenminister der Länder Ende Mai zu vernehmen war, soll sich daran nichts ändern, wenngleich die auch für Deutschland verbindliche UN-Kinderrechtskonvention eine Inhaftierung von Minderjährigen eigentlich verbietet.

Von einer Abschiebung aus Deutschland waren im vergangenen Jahr mehr als 7 800 Menschen betroffen. Viele Migranten werden in einen anderen EU-Staat zurückgeschickt. Grundlage dafür ist die Dublin-II-Verordnung, wonach nur in dem Staat ein Asylantrag gestellt werden darf, den man zuerst betreten hat. Zahlreiche Menschen führt dies von Deutschland zurück nach Griechenland, wo kein funktionierendes Asylsystem existiert und Migranten kaum Zugang zu Sozialleistungen haben. Die deutschen Behörden sehen dennoch weiterhin nicht grundsätzlich von Abschiebungen nach Griechenland ab. Demnächst wird das Bundesverfassungsgericht dazu ein Urteil verkünden.
Viele Migranten sind derzeit auch von einer Abschiebung in das Kosovo bedroht. Im April hat Deutschland ein Rücknahmeübereinkommen mit dem kosovarischen Staat unterzeichnet. Mit den Abschiebungen wurde bereits begonnen. Insgesamt sollen hierbei auch etwa 10 000 Roma in das Kosovo verbracht werden, die hierzulande nur geduldet sind, obwohl sie teilweise seit Jahrzehnten in Deutschland leben oder hier geboren wurden. Dort müssen sie antizigianistische Übergriffe und soziales Elend befürchten. Bereits 2009 ist ein Rücknahmeübereinkommen zwischen Deutschland und Syrien in Kraft getreten. Davon betroffen sind etwa 7 000 Menschen, die in Deutschland ebenfalls nur geduldet sind. Viele von ihnen sind als Angehörige religiöser Minderheiten oder wegen geschlechtsspezifischer Verfolgung nach Deutschland geflohen. Sogar das Auswärtige Amt hat bereits von drei Fällen berichtet, in denen aus Deutschland abgeschobene Personen direkt nach ihrer Rückkehr in Syrien verhaftet wurden. Berichte von Nichtregierungs­organisa­tionen legen überdies nahe, dass die syrische Polizei bei Verhören systematisch foltert. Die Abschiebungen sollen dennoch fortgesetzt werden.

Abschiebungen sind indes nicht mehr nur nationalstaatliche Angelegenheiten, sondern werden vielfach von den europäischen Staaten gemeinsam vorgenommen. Dabei spielt auch die europäische Grenzschutzagentur Frontex zunehmend eine entscheidende Rolle. Im vergangenen Jahr war Frontex bereits an der Organisation von 13 Abschiebeflügen beteiligt. Bisher beschränkt sich die Agentur mit Sitz in Warschau auf die Ausarbeitung von Plänen. In Zukunft möchte sie selbst Flugzeuge chartern, die Abschiebepraxis verlöre damit noch mehr Transparenz. Frontex agiert fernab von tatsächlicher Kontrolle durch andere Institutionen und informiert nur spärlich über die eigene Arbeit. Es bestehen für die deutschen Behörden einige, wenn auch wenige rechtliche Vorgaben für die Abschiebepraxis. So muss üblicherweise ein Passdokument des Zielstaats vorliegen, damit die Herkunft des Migranten festgestellt werden kann. Dabei bedienen sich die Ausländerbehörden bisweilen dubioser Methoden. Regelmäßig werden Abschiebungsanhörungen mit Vertretern der Zielstaaten durchgeführt, die dafür nicht selten erhebliche Summen kassieren, um sogenannte Passersatzpapiere auszustellen. Aus Hamburg und Niedersachsen etwa sind zahlreiche Fälle bekannt, in denen die Ausländerbehörden bis zu 2 500 Euro an Vertreter der Botschaft Guineas zahlten, um eine Abschiebung in das westafrikanische Land zu ermöglichen – fast alle Betroffenen hatten bestritten, aus Guinea zu stammen.
Ähnlich pragmatisch zeigt man sich mancherorts, um die Abschiebtauglichkeit medizinisch festzustellen. Erst jüngst wurde die Praxis der Bremer Ausländerbehörde öffentlich, Migranten abzuschieben, obwohl diese vorher von den eigenen Amtsärzten wegen psychischer Erkrankungen als untauglich für eine Flugreise eingestuft wurden. Die Behörde bestellte in drei Fällen Ärzte aus anderen Bundesländern, um die gewünschten Gutachten zu erhalten.
Indessen bleiben auch Migranten, denen eine Abschiebung nicht unmittelbar bevorsteht, weiterhin vielfältigen staatlichen und gesellschaftlichen Ausschlussmechanismen innerhalb Deutschlands unterworfen. Seien es die unwürdigen Lebensbedingungen für Illegalisierte oder für Migranten in den Flüchtlingslagern oder die Residenzpflicht und das permanente Risiko einer Krimi­nalisierung durch Behörden und Polizei. Oder sei es schlicht der rassistische Normalzustand in der deutschen Leitkulturgesellschaft – eine Abschiebung aus Deutschland ist keine Vertreibung aus dem Paradies.