»Le Monde« steht vor der Pleite

Stirb an einem anderen Tag

Sie ist das Flaggschiff der französischen Presse: Le Monde. Aber die Pariser Abendzeitung steht kurz vor der Pleite. Rettung versprechen ein neuer Investor und der Aufbruch ins iPad-Zeitalter.

In Frankreich ist es gerade Mode, die Welt zu retten. Das Wortspiel ist aber auch wirklich zu verlockend, heißt die führende Tageszeitung des Landes doch Le Monde, und das liberale Blatt steht kurz vor dem Kollaps. Das Medienunternehmen hat sich in den vergangenen Jahren völlig übernommen, indem es reihum andere Publikationen, aber etwa auch Druckereien aufkaufte. Jetzt benötigt der Pressekonzern Groupe Le Monde bis Ende dieses Monats dringend Geld. Andernfalls wird die Tageszeitung, die in Paris am Nachmittag mit dem Datum des folgenden Tages und andernorts am nächsten Morgen verkauft wird, den Sommer nicht überleben. Der Sommer ist für Zeitungsbetriebe traditionell eine finanzielle Durststrecke, zumal in Frankreich, wo das gesellschaftliche und politische Leben im August für einige Wochen fast völlig zum Erliegen kommt.
Bis Anfang der Woche konnten potentielle Anleger ihre Investitionsangebote unterbreiten. Am kommenden Montag wird dann die Verei­nigung der Redakteure, der wohl zum letzten Mal eine wichtige Grundsatzentscheidung vorbehalten sein wird, erklären, wer den Zuschlag erhält.
Die Pariser Abendzeitung gilt als wichtigste Qualitätszeitung des Landes. 1944 aus der Résistance heraus gegründet, hatte Le Monde ursprünglich ein stark regierungskritisches Profil; vor allem, nachdem Charles de Gaulle im Jahr 1958 die Präsidentschaft übernommen hatte. In jenen Jahren wurde das Blatt wegen seiner oppositionellen Linie zum Algerienkrieg immer wieder durch die Behörden beschlagnahmt. Aber nachdem der »sozialistische« Kandidat François Mitterrand 1981 die Präsidentschaftswahl gewonnen hatte, fiel es der Zeitung plötzlich schwer, auf kritische Distanz zur Regierung zu gehen. In jenen Jahren begann sie an Qualität zu verlieren. Später hat die Zeitung sich oft in die Politik eingemischt: 1995 unterstützte ihre Leitung indirekt den wirtschaftsliberal-konservativen Präsidentschaftskandidaten Edouard Balladur und behinderte seinen Gegenkandidaten aus dem »eigenen Lager« Jacques Chirac durch gezielte Enthüllungen. 2005 warb die Zeitung in einer Kampagne für die Annahme des Europäischen Verfassungsvertrags im Referendum. Im darauffolgenden Jahr trug Le Monde erheblich dazu bei, die bis dahin eher zweitrangige Politikerin Ségolène Royal zur Präsidentschaftskandidatin der französischen Sozialdemokratie aufzubauen.
Das Besondere an der Zeitung ist ihr Eigentümer-Modell. Le Monde ist eine Zeitung der Journalisten, sie gehört zu 53 Prozent ihren Angestellten und Mitarbeitern, lediglich 47 Prozent teilen sich verschiedene Konzerne. Wenn es um wichtige Entscheidungen geht, haben sich die Mitarbeiter bislang immer gegen die Minderheitsaktionäre durchgesetzt. Das wird sich jetzt ändern. Der von der Geschäftsführung ausgearbeitete Rettungsplan sieht vor, dass die Redakteure ihren Anteil am Unternehmen auf 20 Prozent reduzieren. Momentan macht das Blatt jeden Monat Verluste von einer Million Euro, es geht um die Rettung des Blattes, also auch um die Arbeitsplätze.
Der Investor soll sofort zehn Millionen Euro auf den Tisch legen, bevor über alles Weitere gesprochen wird. So lautet offiziell die Bedingung, um »in Exklusiverhandlungen mit dem Presseunternehmen einzutreten«. Zwei Interessenten gibt es: Auf der einen Seite stehen der französische Mäzen Pierre Bergé, der Geschäftsmann Mathieu Pigasse von der Lazard-Bank und der Gründer des Telekommunikationsunternehmens Free.fr, Xavier Niel. Auf der an­deren Seite steht der 84jährige frühere Pressemogul des Mitte-Links-Spektrums, Claude Perdriel, dem das sozialliberale Wochenmagazin Le Nouvel Observateur gehört. Daneben kontrolliert Perdriel auch noch andere Printmedien, etwa das Wirtschaftsmagazin Challenges oder die Wissenschaftszeitschrift Sciences. Erhält Perdriel den Zuschlag, so würde er den Le Monde-Konzern zu voraussichtlich 60 Prozent übernehmen und ihn als Filiale in sein Mischunternehmen SFA eingliedern, dessen Hauptaktivität die Produktion von Toilettenhäuschen ist.
Beide Anbieter schätzen die Summe, die sie investieren müssten, auf 80 bis 100 Millionen Euro. Perdriel hat erklärt, er werde sie über eine Holding aufbringen, zu der andere Finanziers beitragen werden. Dabei wäre dieser Preis allerdings noch sehr günstig, um die Kontrolle über eine solch renommierte Zeitung wie Le Monde zu erlangen, die bislang noch erfolgreich Agenda Setting betreibt und großen Einfluss auf die politische, mediale und gesellschaftliche Debatte hat.
Zum Vergleich: Der Aufkauf des Figaro, der auflagenstärksten konservativen Zeitung Frankreichs, kostete den Luftfahrt- und Rüstungsindustriellen Serge Dassault im Jahr 2004 230 Millionen Euro. Perdriel hatte zunächst erklärt, dass er nur dann beim Groupe Le Monde einsteigen werde, falls er Denis Olivennes, den er derzeit die redaktionellen Geschicke des Nouvel Observateur leiten lässt, mitbringen dürfe. Olivennes solle zum Chef des Presseunternehmens werden. Er gilt beim Nouvel Observateur als »sehr interventionsfreudiger« Herausgeber, der stark in redaktionelle Entscheidungsprozesse eingreift. Im Sommer 2009 führte er höchstpersönlich ein Interview mit Staatspräsident Nicolas Sarkozy, das unter den Journalisten des Wochenmagazins heftig umstritten war, weil es kaum kritische Nachfragen enthielt. Dennoch wurde es ins Blatt genommen.
Inzwischen ist jedoch von Olivennes nicht mehr die Rede, denn Perdriel tritt neuerdings mit dem Chef des Konzerns France Télécom-Orange, Stéphane Richard an seiner Seite an. Im Bieterstreit will der teilstaatliche Konzern France Télécom (Marke Orange) das Rennen machen. Das Unternehmen wolle dafür mit der Gruppe Nouvel Observateur eine Partnerschaft eingehen, bestätigte deren Chef Claude Perdriel nach einem Bericht des Figaro.
Präsident Nicolas Sarkozy hat bereits Druck auf Le Monde ausgeübt, damit sie das von ihm als »Begünstigung der Linken« eingestufte Angebot von Pigasse, Bergé und Niel ausschlagen.
Wie der Herausgeber Eric Fottorino enthüllte, hatte Sarkozy ihn vor einiger Zeit unter dem Vorwand, über einen Leitartikel diskutieren zu wollen, angerufen und in den Elysée-Palast bestellt. In der Unterredung soll Sarkozy vor allem über Xavier Niels gelästert haben, der vor Jahren sein Geld mit dem Telefonsexdienst Minitel Rose gemacht hat. Mittlerweile betreibt Präsident Sarkozy eine regelrechte Kampagne gegen Niel und nennt ihn nur noch »den Mann, der in Peepshows angefangen hat«. Tatsächlich dürfte Sarkozy aber missfallen, dass Niel heute die beiden Online-Zeitungen Médiapart und Bakchich finanziert, die sich gerne mit dem Präsidenten anlegen. Sarkozy hat bereits erklärt, der Staat werde die in Aussicht gestellte finanzielle Unterstützung von 20 Millionen Euro für die Modernisierung der Druckerei von Le Monde noch einmal überdenken, falls das Medienunternehmen die falsche Entscheidung trifft.
Anders als Stéphane Riochard stehen Bergé, Pigasse und Niel eher der Sozialdemokratie nahe. Der 41jährige Banker Mathieu Pigasse arbeitete früher im Wirtschafts- und Finanzministerium unter Dominique Strauss-Kahn, damals sozialdemokratischer Minister und derzeit Direktor des IWF in Washington. Pigasse hat im August 2009 das Kulturmagazin Les Inrockuptibles zu 80 Prozent aufgekauft. Im Herbst soll das Magazin einem Relaunch unterzogen und von einer Kulturzeitschrift zum Newsmagazin umgewandelt werden. Der wohlhabende Kultur- und Politik-Mäzen Pierre Bergé finanziert das Büro der sozialdemokratischen Politikerin Ségolène Royal. Das sozialdemokratische Trio ist dem Präsidenten also ganz und gar nicht genehm. Doch die offene Einmischung Sarkozys hat auch für Empörung gesorgt. Die französische KP verglich seine Medienpolitik bereits mit der Silvio Berlusconis. Aber wird die Intervention des Präsidenten wirklich den Übernahmekandidaten Perdriel begünstigen? Oder das Gegenteil bewirken?
Wer auch immer den Zuschlag erhält: Es dürfte das Ende der »Selbstverwaltung« der Zeitung durch die Redaktion besiegeln. Der Übergang zu einem kapitalistischen Presseunternehmen ist beschlossene Sache.
Im Hintergrund steht eine nicht wirklich diskrete politische Einflussnahme: Stéphane ­Richard ist nicht nur mit Sarkozy befreundet, sondern arbeitete auch im Wirtschaftsministerium unter seiner Ministerin Christine Lagarde. Orange ist als Unternehmen identisch mit der französischen Telekom, die zwar 1997 privatisiert und in eine Aktiengesellschaft umgewandelt worden ist –, als deren größter Einzelaktionär aber noch immer der französische Staat im Aufsichtsrat sitzt. France Télécom tritt lediglich im Mobiltelefonsektor unter dem Firmennamen Orange.fr auf und betreibt unter diesem Markennamen auch Internetportale und einen der größten Serverbetreiber in Frankreich. In den vergangenen Monaten war das Unternehmen in der Öffentlichkeit aber vor allem durch die Selbstmordwelle von Beschäftigten, die die »modernern« Arbeitsbedingungen dort – vor allem in den Call Center von Orange – nicht ertragen hatten, in die Schlagzeilen geraten.
In Zukunft, so kündigt die Unternehmensleitung von Orange an, soll das altehrwürdige Abendblatt Le Monde dazu dienen, den Content für die Onlineportale zu generieren. Zu bezweifeln ist, dass die Pariser Abendzeitung dann noch in der Lage sein wird, kritisch über die Arbeitsbedingungen des IT-Unternehmens zu berichten.
Schon heute funktioniert die Zusammenarbeit zwischen der Print- und der Online-Redaktion nicht gerade reibungslos. Zwischen der Zeitungsgruppe Le Monde und dem Geschäftsbereich Le Monde Interactif gibt es seit längerem Spannungen, die im vergangenen Jahr zum Abgang des Chefredakteurs Jean-Marie Colombani geführt hatten. Zur Zeit sorgen die Pläne der Geschäftsführung, die Online-Ausgabe weiter auszubauen, für Unstimmigkeiten. Befürchtet wird, dass dies weiter zu Lasten der Print-Ausgabe gehen und Stellenstreichungen zur Folge haben könnte. Die Printredaktion wehrt sich deshalb gegen die Auflage der Geschäftsführung, täglich zwanzig für LeMonde.fr verfasste Beiträge zu liefern und hat angekündigt, ab Dezember die Webseite der Zeitung zu bestreiken. Vor zwei Jahren wurden im Zuge von Rationalisierungsmaßnahmen bereits mehrere dutzend Mitarbeiter entlassen. Zum Rettungsplan von Le Monde gehört allerdings unabdingbar der Aufbruch ins iPad-Zeitalter, die Geschäftsführung ist sich sicher, dass die von Philippe Janet geleitete Abteilung »Mission Zukunft« auf dem richtigen Weg ist. Den Mut, auf die iPad-Applikation zu setzen, fasste die Unternehmensleitung angesichts des Erfolgs der Handy-Abos. Die Anwendung wurde bereits eineinhalb Millionen Mal heruntergeladen. Die Ausrichtung auf den E-Book-Markt soll auch eine neue, jüngere Leserschaft erschließen.