Über politische Gefangene auf Kuba

Wegen zwei Säcken Zement

Bislang hat die kubanische Regierung geleugnet, dass es auf der Insel politische Gefangene gibt. Nun verhandelt sie mit der katholischen Kirche über deren Haftbedingung und hat sogar einen Häftling frei gelassen.

Darsi Ferrer konnte erstmals wieder seine Frau Yusnaimy Jorge in Freiheit in den Arm nehmen. Die Freiheit ist relativ, denn der kubanische Arzt wurde in der vergangenen Woche von einem kubanischen Gericht zu 15 Monaten Haft verurteilt. Er darf jedoch, weil er schon elf Monate inhaftiert gewesen ist, den Rest im »Hausarrest« absitzen.
Das ist keine Selbstverständlichkeit in Kuba. Dort ist der hagere Mediziner zwar in Dissidentenkreisen bekannt und geachtet, weil er das unabhängige Gesundheits- und Menschenrechts­zen­trum Juan Bruno Zayas leitet und offen für Meinungsfreiheit und Menschenrechte eintritt, aber der Regierung gilt er als ein gewöhnlicher Krimineller. Die haben normalerweise keine Milde zu erwarten. Im Fall Ferrers war das anfangs nicht anders.
Am 21. Juli 2009 wurde der 40jährige Mediziner in Havanna festgenommen und auf die Polizeiwache gebracht. Zuvor hatte die Polizei bei einer Hausdurchsuchung zwei Säcke Zement und einige Stahlstreben gefunden. Zement aber ist in Kuba auf dem freien Markt nur mit speziellen Bescheinigungen legal erhältlich. Das gilt für nahezu alle Materialien, die zum Bauen benötigt werden, für Sand und Kies ebenso wie für Bauholz. Vom Werkzeug bis zur Klospülung muss alles im Devisenshop der Regierung gekauft werden. Das ist Alltag in Kuba, genauso wie die Tatsache, dass Baumaterial an jeder zweiten Ecke angeboten wird. Denn viele Bauarbeiter zwacken auf den staat­lichen Baustellen ab, was sie können, um ihren nicht gerade fürstlichen Lohn aufzubessern.

Ferrer wurde der illegale Erwerb von Baumaterial vorgeworfen. Er saß vom Juli vorigen Jahres bis zum Dienstag vergangener Woche in Untersuchungshaft, obgleich er standhaft behauptete, dass das Baumaterial von einem Freund in seinem Haus deponiert worden sei. Der sei jedoch, sagte Ferrer, plötzlich ausgewandert und er selbst ein Opfer der Willkür des Staatsapparats geworden. Als Schauprozess bezeichnete Ferrer in einem Video, das auf der Homepage Generación Y von Yoani Sánchez, einer bekannten kubanischen Bloggerin, zu sehen ist, die Verhandlung vor einem Gericht in Diez de Octubre, einem Stadtteil von Havanna.
Er werde das Urteil nicht akzeptieren, sagte Ferrrer, der auch den zweiten Anklagepunkt, er hätte einen Nachbarn angegriffen, kategorisch zurückwies. In Dissidentenkreisen Kubas wird diese Anklage als Märchen bezeichnet. Ferrer sei Pazifist, erklärte beispielsweise Elizardo Sánchez, der Vorsitzende der kubanischen Kommission für Menschenrechte und Versöhnung, mehrfach in Interviews. Das deckt sich mit der Einschätzung vom Amnesty International. Die Menschenrechtsorganisation bezeichnete die überaus lange Untersuchungshaft Ferrers als unverhältnismäßig und forderte wenige Tage vor dem Prozess die bedingungslose Freilassung des politischen Gefangenen.
Nach Angaben von Amnesty International ist Ferrer einer von 65 »Gewissensgefangenen« in kubanischen Haftanstalten. Dort sitzen nun zwei »Gewissensgefangene« weniger ein. Zehn Tage vor Ferrer war am 13. Juni Ariel Sigler dank Vermittlung der katholischen Kirche frei gelassen worden. Der schwerkranke Dissident, der im März 2003 verhaftet und verurteilt wurde, sitzt seit mehreren Jahren im Rollstuhl und wartet derzeit auf seine Ausreise für eine Behandlung in den USA. Er ist einer von insgesamt 26 politischen Gefangenen, die nach Angaben ihrer Familien mit schwer wiegenden Gesundheitsproblemen zu kämpfen haben.

Weitere Freilassungen sollen folgen, so ist aus Kirchenkreisen und von den Damas de Blanco zu hören. Als »Damen in Weiß« bezeichnen sich die Frauen, Töchter, Großmütter und Tanten der ursprünglich 75 Dissidenten, die im März 2003 während des so genannten kubanischen Frühlings verhaftet und zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt wurden.
Unter den Inhaftierten waren zahlreiche unabhängige Journalisten, aber auch illegalisierte Gewerkschafter. Als mercenarios (Söldner) werden sie in staatlichen Medien bezeichnet, nach Angaben der in Kuba geduldeten Kommission für Menschenrechte und Versöhnung gehören sie zu den insgesamt 180 politischen Gefangenen in den Haftanstalten der Insel. Deren Existenz hat die Regierung in Havanna lange bestritten, doch mit der Aufnahme des Dialogs mit der katholischen Kirche über deren Haftbedingungen, Verlegungen und Entlassungen aus humanitären Gründen hat sie de facto eingestanden, dass es politische Gefangene gibt.
Der 19. Mai, der Tag des ersten Treffens zwischen Staatschef Raúl Castro, Kardinal Jaime Ortega und Dionisio García, dem Bischof von San­tiago de Cuba, ist seither ein historisches Datum. Mittlerweile hat es mehrere Gesprächsrunden gegeben, Ariel Sigler wurde freigelassen und ein knappes Dutzend Häftlinge, allesamt aus der so genannten Gruppe der 75, in Haftanstalten in oder nahe ihren Herkunftsorten verlegt. Für die Familien ist das eine enorme Erleichterung, denn bisher mussten die Angehörigen oft über die ganze Insel reisen, um die Gefangenen zu besuchen.

Die Zugeständnisse der politischen Führung dürften einiges mit dem internationalen Druck zu tun haben, der seit dem 24. Februar, dem Tag, an dem der Dissident Orlando Zapata nach einem 85tägigen Hungerstreik starb, auf der Regierung lastet. Kuba sieht sich angesichts zahlreicher Appelle, alle politischen Gefangenen freizulassen und ausländischen Beobachtern den Zutritt zu den Gefängnissen der Insel zu ermöglichen, einer »internationalen Kampagne« ausgesetzt.
Der Hungerstreik des Dissidenten Guillermo Fariñas, der seit dem 24. Februar die Aufnahme von Nahrung verweigert und im Hospital von Santa Clara künstlich ernährt wird, hat sicherlich viel dazu beigetragen, dass das mediale und politische Interesse weiterhin groß ist. Fariñas will seinen Hungerstreik fortsetzen, bis alle 26 Ge­fangenen der Gruppe der 75, die ernsthaft erkrankt sind, von der Regierung frei gelassen werden. Täglich rechnen die Angehörigen mit entsprechenden Informationen aus Kirchenkreisen, denn schließlich ist Staatschef Raúl Castro in der vergangenen Woche mit dem Außenminister des Vatikans, Erzbischof Dominique Mamberti, in Havanna zu Gesprächen zusammengetroffen. Dabei wurde über eine »internationale Agenda« gesprochen, auf der auch die Situation in den kubanischen Haftanstalten stehen dürfte. Auf eine weitere Geste von Raúl Castro hoffen nun Laura Pollán, die Sprecherin der »Frauen in Weiß«, und viele der Angehörigen von politischen Gefangenen in Kuba.