Wie SPD und Grüne die Linkspartei ausgetrickst haben

Blütenträume im Bundestag

SPD und Grüne versuchen, die Linkspartei strategisch in die Enge zu treiben. Das zeigte nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen auch die Wahl des Bundespräsidenten. Die Freunde eines rot-rot-grünen Bündnisses scheinen an Boden verloren zu haben.

Es war ein sehr ungünstiges Timing. Ausgerechnet den Abend der Bundespräsidentenwahl hatten sich ambitionierte Jungpolitiker von SPD, Grünen und Linkspartei ausgesucht, um für eine Zusammenarbeit der drei Parteien zu werben. Im Rahmen eines Sommerfests in Berlin-Mitte präsentierten sie ihr Papier »Das Leben ist bunter« – als wäre es im Reichstag zuvor nicht schon bunt genug zugegangen. Nach den verbalen Scharmützeln rund um die Präsidentenwahl scheinen die Aussichten für ein rot-rot-grünes Bündnis derzeit jedenfalls so schlecht wie schon lange nicht mehr.
Dabei hatte sich der Kreis, zu dem unter anderem die Linkspartei-Bundestagsabgeordneten Steffen Bockhahn, Barbara Höll, Jan Korte, Stefan Liebich, Raju Sharma und Halina Wawzyniak gehören, größte Mühe gegeben. Einträchtig ergehen sich die insgesamt 26 Unterzeichner, darunter auch acht SPD- und sieben grüne Parlamentarier, in Allgemeinplätzen: »Wir kleben nicht an Dogmen, haben keine Illusionen, sondern teilen Ideale und Ideen für eine zukunftsfähige solidarische Gesellschaft.« Wie einst im legendären SPD-SED-Dialogpapier von 1987 reiht sich eine Phrase an die andere: »Wir beziehen Position und suchen emanzipatorische, demokratische, nachhaltige und solidarische Lösungen.« Keine Lösung sei es jedoch, »allen alles zu versprechen«.
Immerhin konnten sich die Autoren des SPD-SED-Papiers noch darauf einigen, »dass Friede die Grundvoraussetzung für die Verwirklichung unserer jeweiligen Werte und Prinzipien ist«, und betonten ihre »Gemeinsamkeiten im Ringen um den Frieden«. In Zeiten, in denen mit rot-grüner Einwilligung Krieg wieder zu einem Mittel der deutschen Politik geworden ist, muss man sich dagegen auf die Feststellung beschränken, man stehe »vor der Aufgabe, auch die internationale Verantwortung Deutschlands und Europas neu zu definieren«. Aber damals ging es ja um friedliche Koexistenz, diesmal geht es um das gemeinsame Regieren. Da muss man flexibel sein.

Die Linkspartei wird sich entscheiden müssen. Wie vormals für die Grünen gilt als Bedingung für ihren Eintritt in eine Bundesregierung, Frieden mit dem Krieg zu machen. Auch wenn sie dazu noch etwas Zeit braucht – sie ist auf dem Weg. Das zeigte Mitte Juni die Bundestagsabstimmung über die Verlängerung des Sudan-Einsatzes, bei der sich 25 ihrer Abgeordneten – darunter auch die Unterzeichner der rot-rot-grünen Erklärung – der Stimme enthielten, obwohl die Linkspartei ihrer Beschlusslage zufolge immer noch Einsätze der Bundeswehr im In- und Ausland kategorisch ablehnt.
Ein kleiner Anfang für Rot-Rot-Grün ist insofern gemacht. Allerdings würde die Befürwortung deutscher Militäreinsätze im Ausland ohnehin der letzte Schritt sein, den die Linkspartei zu gehen bereit sein muss. Davor stehen zunächst einmal noch eine Reihe anderer Anpassungsleistungen an. Dazu zählt zuvorderst die Bereitschaft zur Unterordnung. »Offenbar ist mit der Linken ein Partner erwünscht, dem jeder Anflug von Selbstachtung abgeht und stattdessen Selbstaufgabe der höchste Sinn seines politischen Daseins ist«, beschreibt Lutz Herden im Freitag die Erwartungshaltung von SPD und Grünen. Doch noch widersetzt sich die Linkspartei, trotz aller Appelle ihrer »pragmatischen« Nachwuchshoffnungen aus dem Umfeld des »Forums Demokratischer Sozialismus« (FDS). Deren Bundessprecher Benjamin Hoff beklagt denn auch bei seiner Auswertung der Bundespräsidentenwahl: »Die Option, flexibel zu reagieren und ernsthaft die Frage zu erörtern, welchen Preis wir für eine nachhaltige Schwächung einer schwarz-gelben Regierung zu zahlen bereit sind, blieb ungenutzt.«
Drei Gründe sprächen derzeit gegen Rot-Rot-Grün, bringt Stefan Reinecke in der Taz das Dilemma der Freunde dieser Farbenkombination auf den Punkt: »SPD, Grüne und Linkspartei.« Die Auseinandersetzung um die Präsidentenwahl ist dafür ein gutes Beispiel. Rot-Grün ging es dabei eben nicht nur darum, Union und FDP schlecht aussehen zu lassen, sondern auch darum, die Linkspartei geschickt vorzuführen. Mit der Nominierung Joachim Gaucks gelang es SPD und Grünen, die ursprünglich aus der SED hervorgegangene Partei an ihrem wunden Punkt zu treffen: ihrer DDR-Vergangenheit, die schon der PDS wahlpolitische Erfolge im Westen unmöglich gemacht hatte und die sie durch die Akquirierung Oskar Lafontaines sowie den Zusammenschluss mit der WASG so gerne vergessen machen wollte.

Insbesondere die SPD hat sich noch immer nicht mit der Existenz der Linkspartei abgefunden. Weiterhin hoffen die Sozialdemokraten, sie werde zumindest in den alten Bundesländern einfach wieder von der Bildfläche verschwinden. Die Diskussion über den Umgang mit der verblichenen DDR erscheint ihnen als geeignetes Mittel, um sie kleinzukriegen. Dass die Gabriel-Truppe damit ausgerechnet die ansonsten handzahmen »Reformer« aus den ostdeutschen Landesverbänden vor den Kopf stößt, wird dabei billigend in Kauf genommen. So fanden sich Linkspartei-Politiker, die ansonsten nur wenig gemeinsam haben, vereint in ihrer Ablehnung Gaucks. Die Gründe für die Verweigerung ihrer Stimme waren dabei jedoch unterschiedlich. Während die einen ihm seine Aktivitäten zur Aufklärung der Stasi-Machenschaften verübeln, halten die anderen ihn schlichtweg für einen erzkonservativen Pfaffen, der Sozialabbau propagiert und Kriegseinsätze befürwortet. Nicht zufällig riefen auch die »Republikaner« zur Wahl Gaucks auf.
Gleichwohl konnte Rot-Grün propagandistisch die Widerstände der Linkspartei hervorragend auf deren DDR-Vergangenheit zurückführen. »Ihr hättet mit einer symbolischen Handlung über euren SED-Schatten springen können«, rief der Grüne Werner Schulz öffentlichkeitswirksam Linkspartei-Fraktionschef Gregor Gysi mitten in dessen Pressekonferenz vor dem dritten Wahlgang zu. Nur, über welchen »SED-Schatten« hätte beispielsweise jemand wie der 60jährige Gewerkschafter Wolfgang Zimmermann aus dem Westen springen sollen? Mit der DDR, der SED, geschweige denn der Stasi hatte der heutige Landtagsfrak­tionschef der Linkspartei in Nordrhein-Westfalen, der einst gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns, die Inhaftierung Rudolf Bahros und den Hausarrest Robert Havemanns protestiert hatte, nie etwas zu tun.
»Ich werde die Partei Kurt Schumachers nicht in ein Bündnis mit einer Partei führen, die ein ungeklärtes Verhältnis zum DDR-Unrecht und zum Parlamentarismus hat«, erklärte nach der Präsidentenwahl SPD-Chef Sigmar Gabriel. Diese Aussage ist bemerkenswert. Denn für die Partei des KZ-Überlebenden Schumacher war es kein Problem gewesen, nach dessen Tod Bündnisse mit Parteien, wie etwa der CDU und CSU, zu schließen, die ein ungeklärtes Verhältnis zum NS-Unrecht hatten, wie zu Zeiten der ersten Großen Koalition deutlich wurde. Mit Kurt Georg Kiesinger wählte sie sogar ein früheres NSDAP-Mitglied zum Bundeskanzler. Nie hätte die SPD von der Union verlangt, vor der Bildung einer gemeinsamen Regierung den 8. Mai 1945 als Tag der Befreiung anzuerkennen. Nicht einmal auf der Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze bestand sie seinerzeit. Dazu fand sich die Union erst aufgrund außenpolitischer Notwendigkeiten unter der Ägide Helmut Kohls Anfang der Neunziger bereit.

Perfide ist die von Rot-Grün inszenierte Diskussion über das Verhältnis der Linkspartei zur DDR noch aus einem anderen Grund. SPD und Grüne instrumentalisieren die Opfer des »realsozialistischen« Regimes, um einen parteipolitischen Vorteil gegenüber der ungeliebten Konkurrenz zu erzielen. Dieses taktische Vorgehen ließ sich schon nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen beobachten. Dort trafen sich die drei Parteien Mitte Mai zu einem »Sondierungsgespräch«, dessen einziger Zweck aus rot-grüner Sicht offenkundig darin bestand, die linken Parlamentsfrischlinge zu demontieren. Fünf Stunden dauerte die Farce, bei der es die Hälfte der Zeit um den 1990 untergegangenen »Arbeiter- und Bauern-Staat« ging. Im Osten der Republik, wo fast alle höheren Linkspartei-Funktionäre auf eine SED-, Stasi- oder zumindest FDJ-Karriere zurückblicken können, mag das Sinn ergeben. Aber im tiefsten Westen?
»Wir waren bereit, den Satz zu unterschreiben: Die DDR war keine Demokratie, die DDR war eine Diktatur«, berichtete sichtlich frustriert die Landessprecherin der Linkspartei, Katharina Schwabedissen. Doch das genügte den Sozialdemokraten und Grünen nicht. Sie verlangten, dass die DDR kategorisch als »Unrechtsstaat« klassifiziert werde. Unverständlich fand man bei Rot-Grün zudem, dass es die Unterhändler der Linkspartei auch noch wagten, auf die dunklen Seiten der BRD-Geschichte zu sprechen zu kommen: die Kommunistenjagd in den fünfziger Jahren oder auch den »Radikalenerlass« in den Siebzigern. SPD und Grüne wollten darin nichts anderes sehen als eine relativierende »Retourkutsche«. Ihnen kam gar nicht erst in den Sinn, dass damit auch persönliche Geschichten verbunden sein könnten. So gehörte zu den tausenden Kommunisten, die während der Adenauer-Ära im Zuge des KPD- und FDJ-Verbots wegen ihrer Überzeugungen ins Gefängnis gesteckt wurden, auch der Vater der mit am Tisch sitzenden Schatzmeisterin der Linkspartei, Nina Eumann.

Zimmermann spricht deshalb von »offensichtlichen Scheingesprächen«. Wenn seine Partei einen Fehler gemacht habe, dann den, nicht bereits nach einer Stunde gesagt zu haben: »Ihr tickt doch nicht ganz richtig!« Er hätte es vorher wissen können, hatte SPD-Frontfrau Hannelore Kraft doch angekündigt, zunächst müsse »das Demokratieverständnis, die Demokratiefestigkeit der Linken« geklärt werden, bevor überhaupt über Landes­politik geredet werden könne. Unter dieser Voraussetzung hätte sich keine andere im Landtag vertretene Partei mit ihr zusammengesetzt.
Ob in Nordrhein-Westfalen oder bei der Bundespräsidentenwahl: SPD und Grüne haben die Linkspartei ausgetrickst. Ihnen ging es um den theatralischen Effekt, nicht um Verständigung. Der rüde Umgang ist nicht bloß schlechter Stil, sondern Strategie. Das Ziel ist, der Linkspartei nur die Wahl zwischen Stigmatisierung und Domestizierung zu lassen. Im Westen soll sie wieder aus den Parlamenten verschwinden, im Osten und auf Bundesebene im Notfall als willfährige Mehrheitsbeschafferin dienen. Auch wenn ihnen das ausreichen mag, bis dahin werden sich die jungen »Pragmatiker« in der Linkspartei wohl noch etwas gedulden müssen. Auch für ihre rot-rot-grünen Blütenträume gilt: »Das Leben ist bunter.«