Keine Party beim Budapest Pride Festival

Instant-Pride in Budapest

Beim Budapest Pride Festival diskutierten lesbische, schwule, bi- und transsexuelle (LGBT) Aktivisten über Homophobie, Gleichberechtigung und Diskriminierung. Für viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer war die Bilanz enttäuschend. Die Abschlussdemonstration am Samstag fand unter strengem Polizeischutz statt, es gab Übergriffe von rechtsextremen Gegendemonstranten.

»Wechselt euer T-Shirt nach der Demo!« Aktivistin Àgnes Fülöp erklärt im Büro von Amnesty International (AI) den aus Berlin angereisten Gästen, die an der Abschlussdemonstration des diesjäh­rigen Budapest Pride Festival teilnehmen wollen, die Sicherheitslage. In den vergangenen Jahren kam es auf der Pride Parade in Budapest immer wieder zu schweren Ausschreitungen von rechtsextremen und homophoben Gegendemonstranten, die die LGBT-Parade mit Pflastersteinen, Eiern und Rauchbomben attackierten. Daher wird die Route seit einigen Jahren weiträumig abgezäunt, die Aktivistinnen und Aktivisten bewegen sich in einem von der Polizei gesicherten Schutzkorridor, während die Gegendemonstranten, nur einen Steinwurf entfernt, in den Nebenstraßen ausgesperrt bleiben.
Das scheint notwendig zu sein in Ungarn, wo reaktionäres Gedankengut und ungehemmte Aggressivität den Umgang mit Minderheiten bestimmen. Die Brutalität der rechten Angriffe hat die LGBT-Szene in Budapest verunsichert, immer weniger Menschen nahmen an der Pride Parade teil, die Szene ist dort in ihrer Pluralität nicht mehr repräsentiert.

Angesichts dessen verwundert es nicht, dass die AI-Aktivisten so viel Wert auf die Sicherheit legen. Doch das ist nicht ihr einziges Thema: »Human Rights are my Pride«, lautet ihr Beitrag zur Festivalwoche. Auch der offizielle Pride-Slogan, »You are free«, bezieht sich auf eingeschränkte Freiheiten von Lesben, Schwulen, Bi- und Transexuellen in der Gesellschaft. Es gibt Kinofilme, Workshops und Diskussionen. Homophobie sei gesellschaftlich weiterhin präsent, vielleicht sogar auf dem Vormarsch, wird in einer der Veranstaltungen gesagt. Es klaffe eine Lücke zwischen progressiven Gesetzen und Diskriminierung im Alltag. Denn einerseits gibt es in Ungarn eingetragene homosexuelle Partnerschaften und ein Antidiskriminierungsgesetz. Doch schon die »falsche« Kleidung zu tragen, kann gefährlich sein.
Im AI-Büro werden Luftballons aufgeblasen. Dann ein Schock: Die Sicherheit der Pride-Demonstration steht in Frage. Den zweiten von der Polizei für den Schutzkorridor versprochenen Zaun werde es nicht geben, heißt es. Die Mienen im Raum verfinstern sich.
Vor der Parade hatte das Organisationsteam mit der Polizei verhandelt, es gab klare Absprachen, auch über die Zäune. Organisator Adrian Balaci sagt: »Wir sind erpresst worden. Der Polizeipräsident hat neue Bedingungen diktiert, die wir nicht erfüllen können.« So sollen 200 Ordner den Marsch von rund 1 000 Aktivistinnen und Aktivisten eskortieren. Kurzzeitig steht die ganze Veranstaltung zur Disposition.
Bereits während der Festivalwoche standen die Gewalt- und die Sicherheitsfrage im Vor­dergrund. Am Eröffnungstag gab es zwei Übergriffe: Ein Festivalbesucher, der eine Veranstaltung verlassen hatte, wurde ins Gesicht geschlagen, einem völlig unbeteiligtem Touristen, der sich in der Nähe eines der Veranstaltungsorte befand, wurde die Nase gebrochen. Vermutlich, weil er ein pinkes Oberteil trug. Während der Woche fuhren viele Festival-Teilnehmer mit Taxis an den Veranstaltungsorten vor und vermieden öffentliche Verkehrsmittel. Auch am Tag der Pa­rade überlegt die AI-Gruppe, ihre Luftballons mit dem Taxi zur Demonstration zu bringen. Man hat Angst vor Attacken. Dafür, dass die Polizei die vorher versprochenen Sicherheitsstandards nicht einhält, gibt es wenig Verständnis. Trotzdem geht es gegen 16 Uhr los, eineinhalb Kilometer in die Stadt, dann wieder auf derselben Strecke zurück.

András Lederer ist seit Jahren immer dabei. Er ist 25 und wird von seinem Vater begleitet. Zum dritten Mal kommen sie gemeinsam. 2006 hielt Lederer die Eröffnungsrede, nun hat er sich einen Platz abseits im Schatten gesucht. Die ganze Diskussion mit den Zäunen sei ihm unbegreiflich, Budapest erscheine ihm als Dorf. Eine Rednerin auf dem Podium ruft dagegen euphorisch aus: »Wir sind alle Helden!« Doch kaum jemand scheint sich unter diesen Bedingugen wie ein Held zu fühlen, in einem Schutzkorridor mit beschränkter Haftung. Es gibt nur einen Wagen, von dem Musik schallt, er fährt vorneweg, ganz hinten trommeln einige Berliner mit Teilnehmern aus anderen Ländern. Am nächsten Tag ziehen die Organisatorinnen und Organisatoren im Plenum Bilanz über die Parade. »Nicht nur die Verhandlungen vorab, sondern auch das Verhalten der Polizei während der Demo selbst waren das Problem«, darüber ist man sich einig.
Ein Demonstrant sei zum Beispiel von einem Beamten aufgefordert worden, sein T-Shirt wieder anzuziehen, sein nackter Oberkörper sei eine »Provokation« für die Pride-Gegner. Den Vorwurf der »Provokation« hatte die Polizei auch während der Festivalwoche wiederholt geäußert. Als ein Dutzend Rechtsextreme vor dem Hauptveranstaltungsort, dem Kino Müvesz, Hassparolen skandiert, in Richtung Gebäude gespuckt und gedroht hatten, eine an der Fassade hängende Regenbogenflagge wegzureißen, soll nach Augenzeugen ein Polizist seinem Kollegen gesagt haben: »Ich werde niemanden (zur Unterstützung) rufen, sie sollen die Schwuchtelfahne herunternehmen.« Schließlich waren es die Kinobetreiber, die, ohne Rücksprache mit den Veranstaltern, die Fahne entfernten.

»Wie Pferde« sei man durch die Straße getrieben worden, sagt Balaci, einer der Organisatoren, über die Parade. Tatsächlich zieht die Demo schnell über die Budapester Prachtstraße, vorbei an abgeschotteten Nebenstraßen. Auf halber Strecke stolzieren vier Rechtsextreme der Parade entgegen. Die Polizei kesselt sie rasch ein. Hinter ihnen, am eigentlichen Wendepunkt der Demo, dicht an die Zäunen gereiht, stehen rund 160 weitere extreme Rechte. Ihre Antwort auf die Pride-Demonstration lautet schlicht: »Ungarn!« Sie meinen ein Ungarn ohne Schwule, Roma und Juden. Auf ihren T-Shirts prangen Karten von »Großungarn«, mit den nach dem Ersten Weltkrieg abgetrennten Gebieten. Der rechte Budapester »Klub 64« wurde nach den 64 Bundesländern genannt, die damals zu Ungarn zählten. Zuvor fand man unter dieser Adresse den ehemaligen LBGT-Szene­laden »Glam«. Dort hätten ursprünglich alle Veranstaltungen im Rahmen des Budapest Pride stattfinden sollen. Nach der Übernahme des Mietvertrags durch den militanten Rechten László Toroczkai boten die britische Botschaft und eine jüdische Einrichtung ihre Räumlichkeiten für das Festival.
Auch die Parade verläuft anders als geplant. Zu viele Gegner, so die Polizei, befänden sich an den Zäunen. Die Demonstration kehrt früher um als geplant, die Party unterwegs fällt aus. Die Trommler spielen weiter, Lederer und seinem Vater gefällt die Musik. Lederer sagt, er wolle nicht, dass sein Vater komme, er habe Angst um ihn: »Er geht immer zu den Gegnern an die Zäune und versucht ihre Ressentiments zu brechen. Und ich bekomme jedes Mal einen Herzinfarkt.« Für diese Diskussion bleibt aber heute keine Zeit. Denn es geht ganz schnell zurück. Fülöp spricht von einer »Instant-Pride«, so schnell sei es noch nie gegangen. »Konservativ und verhalten«, lautet ihr Fazit über die Parade. Am Ausgangspunkt wird die Masse in einen U-Bahn-Schacht geleitet. Das Procedere gleicht einer Evakuierung. Den ganzen Tag über standen die Pride-Gegner nicht so dicht. Hasserfüllt zeigt eine Gruppe hinter den Zäunen den Hitlergruß. Ein Pride-Teilnehmer antwortet harsch, wird jedoch von einem Ordner abgehalten. »What about Pride?!« ruft er in die eigene Menge.