Early Retro-Eighties Hardcore

Berlin Beatet Bestes. Folge 55. Never Again/Mind Trap (2010).

Schon als Kind war ich ein Retrotyp. Am liebsten hörte ich Oldies, und als Elvis 1977 starb, war ich richtig traurig. Ich war elf Jahre alt. Punk habe ich damals nicht verstanden, ich mochte lieber Rockabilly und den wirklich wilden Rock’n’Roll der fünfziger Jahre. Mit meiner Zeit als Teddy Boy war es 1982 aber auch schon wieder vorbei. Ich entdeckte Black Flag und Ami-Hardcore und verbrachte in der dazugehörigen Szene die Achtziger. Als diese Szene politisch immer rigider und musikalisch immer beliebiger wurde, machte ich mich auf die Suche nach etwas Aufregenderem. Ich landete bei Garage Rock und verbrachte mit dieser Szene die Neunziger. Nach den White Stripes und dem 11. September hatte die Garage-Szene mir aber auch nichts mehr zu sagen, und ich machte mich erneut auf die Suche. Ich entdeckte meine alte Hardcore-Plattensammlung aus den Achtzigern neu und parallel dazu die frische DIY-Hardcore-Punk Szene der nuller Jahre.
Wie gesagt: Ich bin ein Retrotyp. Auch als Comiczeichner inspirieren mich alte Stile dazu, etwas Neues zu schaffen. Alle diese Musikszenen hatten in ihrer Blütezeit, trotz der Verweigerung gegenüber moderneren, trendigeren Stilen, ein progressives Element. Die eng mit der Anti-AKW-Bewegung und der Hausbesetzerszene verbundene Hardcore-Punk-Szene brachte die wichigsten Indie-Rockbands der Achtziger hervor und letztlich auch Nirvana und Green Day. Die Garage-Szene rettete die primitiven Wurzeln der Rockmusik in den technobesessenen Neunzigern und brachte ein hedonistisches Element zurück in den Underground. Leider klingt dieser Sound heute nur noch wie Musik aus der Fernsehwerbung. Die anarchistische Punkszene der nuller Jahre ist die einzige gewesen, die den nationalistischen, konservativen Backlash der Bush-Ära thematisierte und den Soundtrack lieferte für die WTO-Riots 1999 in Seattle und die G8-Proteste 2001 in Genua. Nirgendwo sonst fand die Verzweiflung und Wut über die sich beschleunigende Globalisierung einen aggressiveren mu­sikalischen Ausdruck. Die Szene ist immer noch frisch, und ich mag die Leute sehr, aber auch hier setzt leider zunehmend eine musikalische Rückwärtsbewegung ein. Angesagt ist zurzeit der »Early 80’s Style«.
Obwohl es im Moment nicht danach aussieht, bin ich davon überzeugt, dass der Underground auch in Zukunft progressive Strömungen hervorbringen wird.
Eine andere Möglichkeit, der Retrofizierung zu entgehen, ist es, selbst Musik machen. Ich kann immer noch ganz passabel Schlagzeug spielen, im Stehen, so wie Slim Jim Phantom, und so primitiv wie Moe Tucker. Wer Lust hat, mit mir Musik zu machen, kann sich gern mal bei mir melden.
Die vorliegende, im März erschienene Split-Single von Never Again aus England und Mind Trap aus Österreich habe ich vorige Woche bei einer Show von Mind Trap im Köpikeller Koma F gekauft. Mind Trap sind auch ein bisschen retro und spielen im »Power Violence«-Stil der neunziger Jahre. Weil sie aber noch recht jung sind, ist ihre Wut ganz neu und ihre Musik frisch, wild und aufregend dazu.