Die Diskussion um AKW-Laufzeiten

Das könnte Reaktoren kosten

In den kommenden Wochen wird über die Laufzeit von Atomkraftwerken entschieden. In der Bundesregierung nehmen die Auseinandersetzungen zu, die Atomlobby übt sich in Drohgebärden, und die Gegner der Atomkraft sehen in dem Streit um die Laufzeit eine Chance für wirksamen Protest.

Die zahlreichen Medienberichte der vergangenen Tage sind ein deutlicher Hinweis: In der Atompolitik kündigen sich Entscheidungen an. Derzeit verhandeln die Vertreter der Atomwirtschaft und die Bundesregierung über Laufzeiten von Atomkraftwerken (AKW). Dabei geht es auch um eine Menge Geld. Die verschiedenen Lager bei Union und FDP versuchen ihre atompolitischen Vorstellungen durchzusetzen und die Atomlobby nimmt beim Prozess der Entscheidungsfindung auf allen Wegen Einfluss.
Den Atomkonzernen geht es neben dem Weiterbetrieb der AKW vor allem darum, die von der schwarz-gelben Koalition geplante Brennelementesteuer von jährlich 2,3 Milliarden Euro zu verhindern. Stattdessen haben die Betreiber der AKW der Regierung eine sofort zahlbare Summe von 30 Milliarden Euro angeboten, allerdings unter der Bedingung, dass dafür die AKW-Laufzeiten um 14 Jahre verlängert werden. Für Energiekonzerne würde sich daraus der Vorteil ergeben, dass es künftigen Bundesregierungen schwer fallen dürfte, diesen Deal rückgängig zu machen. Die Summe, die der Bundesregierung gerade von den Betreibern der Atomkraft in Aussicht gestellt wird, dürfte angesichts der Haushaltslage schnell ausgegeben werden. Dementsprechend müsste eine neue Regierung, wenn sie eine Kürzung der AKW-Laufzeiten plant, das Geld aus dem knapp bemessenen Staatsetat zurückzahlen.
Bei ihrem Kampf gegen die Brennelementesteuer sind die Konzerne allerdings inzwischen über das Ziel hinausgeschossen. Ihre Drohung an die Bundesregierung, sofort aus der Atomenergie auszusteigen, falls ihre Forderung nicht erfüllt werde, könnte sich als klassischer Fauxpas erweisen. Entsprechend hämisch wurde diese Drohgebärde kommentiert, schließlich haben die AKW-Betreiber damit erstmals zugegeben, dass es auch ohne Reaktoren geht.
»›Nur Mut und möglichst sofort‹, möchte man Eon, RWE, EnBW und Vattenfall zurufen, bevor den Konzernverantwortlichen aufgeht, dass ihre Drohung in Wirklichkeit ein Segen wäre«, schrieb etwa der Mannheimer Morgen.

Noch ist völlig offen, wer sich bei den Auseinandersetzungen in der Atompolitik durchsetzen wird. Inzwischen steht aber zumindest der Zeit­rahmen fest, in dem die Entscheidungen getroffen werden. Am 26. August wird sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Vorstandsvorsitzenden Jürgen Großmann (RWE) und Johannes Teyssen (Eon) treffen, für diese Zusammenkunft hat man sich mit dem Atomkraftwerk Emsland im niedersächsischen Lingen auf einen medienwirksamen Schauplatz geeinigt. Am darauffolgenden Tag werden die Gutachten für das Energiekonzept der Bundesregierung vorgestellt. Auf ihrer Klausurtagung am 9. September wollen die Fraktionsvorstände von CDU und FDP versuchen, sich über die AKW-Laufzeiten zu verständigen, schließlich soll das Bundeskabinett am 28. September eine Entscheidung fällen. Im Anschluss ist geplant, ein neues Atomgesetz in den Bundestag einzubringen. Auch die Anti-AKW-Bewegung wird die kommenden Wochen intensiv nutzen, um diese Entscheidungen zu beeinflussen, für den 18. September hat sie zu einer bundesweiten Großdemonstration in Berlin aufgerufen.
Auf welchem Stand sich die Verhandlungen der Bundesregierung befinden, lässt sich derzeit nur erahnen. Innerhalb der CDU scheint man sich nicht auf eine offizielle Position einigen zu können. Für Verwirrung sorgen vor allem Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus und Bundesumweltminister Norbert Röttgen. Mappus hat seinen Parteifreund Röttgen in den vergangenen Wochen des öfteren zum Rücktritt aufgefordert. Der Ministerpräsident gilt als eng verbandelt mit dem Konzern Energie Baden-Württemberg (EnBW), der die AKW Neckarwestheim und Philippsburg betreibt. Mappus plädiert für eine Laufzeitverlängerung um 32 Jahre, kürzlich sagte er jedoch, dass auch eine Frist von 15 Jahren ausreiche. Das Votum des Bundesumweltministers erscheint ähnlich diffus, Röttgens Pläne bewegen sich zwischen vier und acht Jahren Laufzeitverlängerung.

Noch widersprüchlicher sind die Einschätzungen, die in Zeitungsberichten kolportiert werden. »Konservative wenden sich von Atomlobby ab«, verkündete das Handelsblatt. Die Zeitung berichtete, dass Bundeskanzlerin Merkel vom »Ausstieg aus dem Atom-Ausstieg« nichts mehr wissen und das Thema nun »ad acta« legen wolle. Die Redaktion von Spiegel Online gelangte hingegen zu einer völlig anderen Einschätzung: »Jetzt zeichnet sich in der schwarz-gelben Koalition eine deutliche Fristverlängerung ab.« Dort berichtete man über ein Bündnis, bestehend aus der Bundestagsfraktion, den süddeutschen Ländern und dem Bundeswirtschaftsministerium, das die Absicht verfolge, »die Atomreaktoren im Schnitt um 14 Jahre länger laufen zu lassen«. Kurz darauf berichtete die Süddeutsche Zeitung, dass sich im Streit über längere Laufzeiten für die deutschen Kernkraftwerke eine »Kompromisslinie« abzeichne, bei der »die ersten Kernkraftwerke schon im Jahr 2011 vom Netz gehen« könnten. Anlass dafür seien »neue Sicherheitsauflagen«, denen bereits im kommenden Jahr »zwei oder drei Atomkraftwerke zum Opfer fallen« könnten.
Diese widersprüchlichen Beschreibungen zeigen deutlich, dass der Ausgang der Auseinandersetzungen um die Laufzeiten der Atomkraftwerke noch völlig offen ist. Welche Position sich innerhalb der Regierungsparteien am Ende durchsetzen wird, welche weiteren Kompromisse sich noch abzeichnen und mit welchen Tricks hinter den Kulissen gearbeitet wird, ist nicht absehbar. Derzeit sieht es nach einer Patt-Situation aus.
Für die Anti-AKW-Bewegung ergibt sich aus dieser Unwägbarkeit eine Chance. Sind sich die Regierenden einig, haben es Protestbewegungen erfahrungsgemäß schwer. Aber angesichts dieser diffusen Situation in der Atompolitik, könnte der Protest gegen die Laufzeitverlängerungen etwas bewirken. Besonders attraktiv erscheint das Szenario, das die Süddeutschen Zeitung skizziert. Dort wird die Stilllegung einiger Altreaktoren als Bauernopfer beschrieben, das den gesellschaftlichen Konflikt um die Atompolitik befrieden soll. Kriterien für die Stilllegung von Reaktoren werden durch Sicherheitsauflagen erstellt und diese Auflagen sind variabel. Welche Schwachstellen in den Reaktoren von den Aufsichtsbehörden moniert und welche hingenommen werden, war immer schon eine politische und nie eine technische Frage. Die Sicherheit von AKW und die damit verbundenen Kosten gestalten sich als Machtfrage.
Wenn sich bis Ende September der gesellschaftliche Druck auf die politischen Entscheidungsträger erhöht, dürfte auch der Preis für die von der Bundesregierung angestrebte Befriedung des Konflikts steigen. Die Sicherheitskriterien könnten strenger ausfallen und entsprechend mehr Reaktoren stillgelegt werden. In der aktuellen Auseinandersetzung ist nicht die Frist entscheidend, um die die AKW-Laufzeiten verlängert werden sollen. Entscheidend ist die Anzahl der Reaktoren, die bald stillgelegt werden. Ob ein Kernkraftwerk nun vier oder 28 Jahre länger laufen soll, lässt sich zukünftig weiterhin in die eine oder andere Richtung revidieren. Jedes stillgelegte Atomkraftwerk aber ist endgültig abgeschaltet. Für die Atomkraftgegner ergibt sich angesichts der Uneinigkeit der Regierenden die Möglichkeit, diese Anzahl der Atomkraftwerke direkt zu beeinflussen.