»Ultras Red Bull« im Gespräch über den Hass gegen RB Leipzig

»Für den modernen Fußball«

Offiziell heißt der Club zwar »Rasenballsport Leipzig«. Doch das Kürzel »RB« und das Vereinslogo verraten, dass der Verein in Wirklichkeit dem österreichischen Getränkehersteller »Red Bull« gehört, der seit einigen Jahren verstärkt in verschiedene Fußballclubs investiert. Seit seiner Gründung im Mai 2009 ist der jetzige Regionalligist RB Leipzig das Hassobjekt zahlreicher Fußballfans – aber nicht aller. Denn kürzlich erschienen wie aus dem Nichts die »Ultras Red Bull« auf der Bildfläche – und sorgten für eine Menge Wirbel. Die Jungle World sprach mit Nico Neubert und Thomas Kanitz, zwei ihrer Aktivisten.

In zahllosen Fußballforen gibt es wilde ­Spekulationen, wer sich hinter den »Ultras Red Bull« verbirgt. Könnt ihr das Geheimnis lüften?

Nico Neubert: Wir sind keine feste Gruppe, sondern eher ein loser Zusammenhang von Freunden und Bekannten, von denen einige sich für Fußball interessieren. Viele von uns scheren sich aber überhaupt nicht um diese Sportart. Der Anlass, weshalb wir uns zu dieser Aktion zusammen gefunden haben, war die gemeinsame Abneigung gegen eine widerliche Hetzkampagne deutscher Fußballfans gegen den »Retortenverein« RB Leipzig.
Von wem wird diese Kampagne eurer Einschätzung nach maßgeblich betrieben, und was haben diese Fans gegen den Club?

Thomas Kanitz: Die Kampagne vereint so verfeindete Fanszenen wie die eher linken Anhänger der BSG Chemie Leipzig und die – vorsichtig formuliert – nach rechts ziemlich offenen Fans des 1. FC Lokomotive Leipzig sowie des Halleschen FC. Was die Ressentiments gegen RB Leipzig so widerwärtig macht, ist vor allem der gegen diesen Verein gerichtete Heuschrecken-Vergleich und die dazu gehörige Rhetorik. Damit soll verdeutlicht werden, dass sich hier ein böser ausländischer Konzern aus reiner Profitgier dem Sport zuwendet und so den »bodenständigen«, »ehrlichen« deutschen Fußball bedroht. Man halluziniert also einen hinterhältigen Angriff auf die eigene, »authentische« Fankultur und sieht nun mit dem Eindringen von Red Bull in das letzte gallische Fußballdorf, das wacker den Anforderungen der Moderne trotzt, das Ende nahen.
Neubert: Die Kampagne wird dabei nahezu unterschiedslos von rechten wie linken Fußballfans getragen, wobei sich die Ausdrucksformen der Hetze häufig bis ins Detail gleichen: Es gibt eine demonstrativ bekundete Einigkeit, die in stumpfester antikapitalistischer Rhetorik vorgetragen wird. In Halle zeigte sich das kollektive Gefühl des angeblichen Angegriffenwerdens in besonders gewaltförmiger Zuspitzung, denn dort rief man zum »Bullenjagen« auf und verteilte Tausende von Stickern, auf denen ein mittelalterlicher Mob mit Heugabeln gegen das »Produkt Rasenball« zu Felde zog. In diversen Fußballforen kündigte man Gewalttaten gegen Fans, Funktionäre und Spieler des neuen Vereins an.
War das der Auslöser für eure Initiative?
Neubert: Genau. Um diesen Wahnsinn also auf die Schippe zu nehmen und vor allem die Ultras und Hools – insbesondere in Halle – zu nerven, haben wir unter anderem Aufkleber produziert, auf denen zwei Bullen das Wappen der Stadt Halle, das gleichzeitig das Vereinslogo des Halleschen FC ist, zerstören. Zusammen mit den Sprüchen auf den Aufklebern – »Tradition seit 2009« und »Für den modernen Fußball« – sollten die nicht besonders reflektierten Fußballfreunde Ostdeutschlands bewusst in Rage versetzt werden.
Kanitz: Die Reaktionen auf unsere Aufkleber haben uns dann so amüsiert, dass wir dem noch die Krone aufsetzen wollten. Mit gut 30 Leuten sind wir in Halle zum Kurt-Wabbel-Stadion gegangen, der Spielstätte des HFC. Vermummt, mit Knüppeln und Golfschlägern bewaffnet haben wir uns hinter ein Banner gestellt, auf dem »Ultras – Red Bull verleiht Prügel« stand, und die Szene fotografiert. Das Bild haben wir in einschlägigen Fußballforen sowie auf einem eigens eingerichteten Weblog veröffentlicht (), auf dem wir anschließend im für Fußballschläger üblichen Szenejargon gegen andere Ultragruppen gepöbelt haben.
Die Provokation scheint euch gelungen zu sein, wie die Reaktionen auf eurer Internetseite zeigen.
Neubert: In den Kommentarspalten unseres Blogs gab es wüste Beschimpfungen und Gewalt­androhungen. Vor allem die Tatsache, dass ein »künstlicher« Verein nicht nur Fans, sondern sogar eine Ultragruppe haben soll, war für viele absolut undenkbar. Einige vermuteten zwar sofort ein Fake, als Urheber machten sie allerdings rivalisierende Fußballfans aus. Die Paranoia ging so weit, dass häufig die HFC-Ultras von der »Saalefront« als Drahtzieher angesehen wurden, die so angeblich dem verhassten Verein Rasenballsport Leipzig schaden wollten.
Kanitz: Positive Rückmeldungen von organisierten Fußballfans gab es dagegen nicht, bis auf ganz wenige Ausnahmen wie die Bremer Ultragruppe »Infamous Youth«. Manche fanden unsere Parodie auf die Gewaltaffinität ostdeutscher Fußballfans zwar gelungen – warum wir aber ausgerechnet »Red Bull« für unsere Aktion ausgesucht hatten, war ihnen auch nicht klar.
Aber gibt es nicht auch eine berechitgte Kritik an der immer stärkeren Kommerzialisierung des Fußballs? Immerhin entstehen vielen traditionellen Fußballclubs tatsächlich Nachteile, wenn sich ein Konzern wie Red Bull einen ganzen Verein kauft. Und es ist ja auch nicht von der Hand zu weisen, dass etliche Fans, die lange Zeit das Stammpublikum ihres jeweiligen Clubs bildeten, zugunsten einer zahlungskräftigeren Kundschaft verdrängt werden, die weniger wegen des Spiels ins Stadion geht als vielmehr, weil Fußball für sie genauso ein Event ist wie etwa der Besuch eines Musicals.
Kanitz: Es spricht für uns absolut nichts dagegen, in ein Stadion zu gehen, um sich ein gutes Spiel anzusehen. Das ist aber in Ostdeutschland, wo es zuhauf traditionelle Fußballclubs gibt, nicht möglich, da diese Vereine dort in den Niederungen der unteren Ligen verschwunden sind und vorerst auch dort bleiben werden. Sieht man sich außerdem das klassische Publikum etwa des HFC oder von Lok Leipzig an, so braucht es einem nicht leid zu tun, wenn es sich auf ewig Spiele in Auerbach oder Meuselwitz anschauen muss. Wenn »Red Bull« jetzt tatsächlich dafür sorgen sollte, dass in einigen Jahren Bundesligaspiele in Leipzig zu sehen sein werden, würden das zumindest die Fußballinteressierten unter uns begrüßen …
Neubert: … zumal wir die friedliche, familientaugliche Atmosphäre bei RB Leipzig sehr viel angenehmer finden als die wöchentlichen Räuber-und-Gendarm-Spiele im Umfeld der »Traditionsvereine«. Und dass Kommerz und Fußball nichts miteinander zu tun haben, war vielleicht noch in den dreißiger Jahren so. Die »Werkself« von Bayer Leverkusen und ein Club wie Bayern München wären jedenfalls ohne ein vernünftiges Management und die knallharte Kalkulation ihrer Werbeeinnahmen wohl kaum so erfolgreich.
Sind das nicht Gründe, die »Ultras Red Bull« tatsächlich ins Leben zu rufen und nicht nur als Fake?
Kanitz: Das wären Gründe dafür, privat und unorganisiert ins Stadion zu gehen, ganz ohne schwarze Kapuzenjacken, Jugendorganisationen, Capos und Banner mit Gruppennamen – und ohne die Angst, von anderen Ultragruppen überfallen und ausgeraubt zu werden. Leidenschaft als Programm und das »Verteidigen der eigenen Farben und des eigenes Reviers« finden wir nicht besonders ansprechend. Ein schönes Spiel mit Bratwurst und Bier bei einem netten, entspannten Plausch hingegen durchaus.