Asche auf mein Haupt!

Schuldeingeständnisse ist man von Staaten nicht gewohnt. Schon gar nicht vom türkischen. Normalerweise droht jedem, der der Türkei die Schuld am Genozid an den Armeniern anlastet, eine Verurteilung wegen »Verunglimpfung des Türkentums«. Jetzt scheint alles anders: Staatspräsident Abdullah Gül bezichtigt sich, man habe die Ermordung des türkisch-armenischen Journalisten Hrant Dink nicht verhindert. Seine Regierung hatte ihn noch kurz vor seiner Ermordung wegen »Verunglimpfung des Türkentums« verurteilt. Dass sich die türkische Regierung nun vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strasbourg dazu bekennt, die Menschenrechte von Hrant Dink nicht geschützt zu haben, geschieht allerdings kaum aus aufrichtiger Reue darüber, dass der türkische Staat mit Dinks Verurteilung seine Ermordung heraufbeschwor und den Mörder ungehindert zur Tat schreiten ließ. Vielmehr hatte das türkische Außenministerium unter der Leitung von Ahmet Davutoglu eine nicht eben plausible Verteidigungsstrategie ausgearbeitet: Davutoglus Beamte schrieben in der Verteidigungsschrift, Dink habe Hetzreden verbreitet und sei daher, so wird suggeriert, selbst schuld an seiner Ermordung. Um ihre Argumentation zu verfeinern, bezogen sich Davutoglus Beamte auf einen Fall, der 1988 vor dem Menschenrechtsgerichtshof anhängig war: Der Neonazi Michael Kühnen hatte den deutschen Staat verklagen wollen, da er sich in seinem Recht beschnitten sah, seine Meinung zum Holocaust kundzutun. Der in Deutschland wegen Volksverhetzung Verurteilte kam damit bei den Straßbourger Richtern nicht durch. Die Verteidiger des türkischen Staats sahen da eine Parallele. Schließlich habe auch Hrant Dink volksverhetzende Dinge zum Genozid gesagt. So wie Kühnen den Holocaust leugnete, habe Dink einen Genozid an den Armeniern erfunden, legen die Verteidiger der Türkei nahe, und daher sei seine Verurteilung wegen »Verunglimpfung des Türkentums« so rechtmäßig wie die Verurteilung Kühnens. Diese Parallele empörte nicht nur die Familie von Hrant Dink, die die Abschaffung des Paragrafen zur »Verunglimpfung des Türkentums« fordert. Auch Davutoglu gab sich entsetzt über die Verteidigungsschrift, die er erst zu Gesicht bekommen haben will, als alles zu spät war. Selbst das Fasten im Ramadan falle ihm schwer, so sehr gehe ihm die Sache zu Herzen, ließ der Minister wissen. Seinen Beamten zürnt er allerdings nicht. Die hätten nunmal die Aufgabe, den Staat zu verteidigen.