Proteste in iranischen Gefängnissen

Auf den Hund gekommen

Mit allen Mitteln will das iranische Regime die Bevölkerung zum Gehorsam zwingen. Doch selbst in den Gefängnissen wird protestiert.

Die Regierenden im Iran haben eine neue Bedrohung entdeckt. Gemäß einem jüngst erstellten religiösen Gutachten ist die Werbung für Hundefutter ebenso verboten worden wie überhaupt Anzeigen, die das Geschäft mit Haustieren betreffen. Insbesondere Hunde gelten als »unrein«. Trotzdem, oder vielleicht auch deswegen, ist der Drang, ein solches Tier zu halten, im Iran ungebrochen.
Die Neigung zum Haushund sei eine »blinde Imitation des Westens«, heißt es in der vom Ministerium für Kultur und islamische Führung bestellten Fatwa. Dieses Ministerium hatte bereits im Juli Fotos männlicher Haarschnitte veröffentlicht, die der Obrigkeit genehm seien, um gegen als zu »westlich« geltende Frisuren, etwa langes Haar für Männer, vorzugehen. Der religiöse Führer Ali Khamenei erklärte Anfang August, dass Musik nicht zu den Werten der Islamischen Republik passe. Die Jugend solle sich in ihrer freien Zeit besser mit Wissenschaft beschäftigen oder Sport treiben.
Es erscheint wie ein mutierter und selbst doch bereits sehr westlicher Traum von den fünfziger Jahren, den einige Obere der Islamischen Republik Iran da träumen. Es ist ein Traum von ordentlichen jungen Menschen, die brav das tun, was man ihnen sagt. Doch dieser Kulturkampf ist hoffnungslos. Ob auch nur eine CD freiwillig auf den Müll geworfen wurde, weil Khamenei zur Abkehr von der Musik aufrief? Die Bemühungen des Regimes um Bändigung der unwilligen Bevölkerung erschöpfen sich jedoch nicht in skurrilen Appellen. Die Gefängisse sind voll. Das Land zählt zur weltweiten Spitzengruppe, was die Anzahl verhafteter Journalisten und Blogger angeht. Aber auch die zahlreichen Verhaftungen und Verurteilungen stellen die erwünschte Ruhe nicht her.

Derzeit international am bekanntesten ist der Fall von Sakineh Mohammadi Ashtiani, die wegen außerehelicher Beziehungen zum Tod durch Steinigung verurteilt worden ist. Nach weltweiten Protesten wurde die Vollstreckung »verschoben« und schnell der Vorwurf hinzugefügt, Ashtiani sei auch an der Ermordung ihres Ehemannes beteiligt gewesen. Auch ihr Anwalt Mohammad Mosta­faei, der sich mit der beharrlichen Verteidigung zum Tode Verurteilter einen Namen gemacht hat, wurde bedroht. Er floh nach Norwegen, während seine Frau als Geisel zwei Wochen von den iranischen Behörden gefangen gehalten wurde, um Druck auf ihn auszuüben. Sakineh Mohammadi Ashtiani musste im iranischen Fernsehen auftreten, ihr Vergehen gestehen und leugnen, ihren Anwalt Mostafaei überhaupt zu kennen. Aber auch ihr neuer, vom Staat gestellter Anwalt hat nun bereits eine Hausdurchsuchung hinter sich.
Der Fall hat wegen der besonderen Hinrichtungsart der Steinigung – die im Iran nur sehr selten angewandt wird – besondere mediale Aufmerksamkeit erregt. Wäre sie zum Tod am Galgen verurteilt worden, hätte sich die Aufregung wohl in Grenzen gehalten. Denn im Iran werden einfach zu viele Menschen aufgeknüpft.
Besonders ärgerlich für das Regime ist im Fall Sakineh Mohammadi Ashtianis die Intervention des brasilianischen Präsidenten Luiz ­Inácio »Lula« da Silva, der bat, die Frau nach Brasilien ausreisen zu lassen. Ausgerechnet Lula, der gemeinsam mit der Türkei dem Iran aus der Isolation wegen des Atomstreits hatte heraushelfen wollen. Aber nun musste man aus Gründen der Staatsräson die Bitte des befreundeten Brasilianers ablehnen, der selbst im Wahlkampf unter Druck geraten war. Auch dort ist nämlich die kulturelle islamische Eigenart der »Steinigung« mittlerweile zum Thema geworden. Lula erreichte zudem ein Brief inhaftierter Gewerkschafter und Oppositioneller, die ihn baten, sich weiter für die Menschenrechte und die Befreiung der Gefangenen im Iran einzusetzen.

Dass ständig Informationen aus den Gefängnissen nach außen dringen, bereitet dem Regime Unbehagen. So wies die Frau des Anwaltes Mohammad Oliaifar darauf hin, dass ihr Mann, der im März zu einem Jahr Haft verurteilt worden war, sein Urteil bisher nicht ausgehändigt bekommen habe und daher keine Revision beantragen könne. Oliaifar, der ebenfalls vor allem Todeskandidaten verteidigt, hatte mit westlichen Reportern über Minderjährige gesprochen, die zum Tod verurteilt worden waren.
Sehr unangenehm war für die Behörden auch ein Hungerstreik, an dem sich zwischen Ende Juli und Mitte August im Teheraner Evin-Gefängnis über ein Dutzend meist prominente Häftlinge beteiligt hatten. Der Hungerstreik begann, nachdem sie wegen Protesten gegen das entwürdigende Verhalten des Gefängnispersonals in Einzelhaft verlegt worden waren. Die Aktion erregte Aufsehen, auch weil die zum Teil durch Krankheiten und die Haftbedingungen bereits geschwächten Häftlinge sich weder durch Repression noch durch Telefon- und Kontaktsperren beirren ließen.
Mir Hussein Mousavi bat die Gefangenen öffentlich nach einer Woche, ihren Hungerstreik abzubrechen, da die Welt auf ihr Anliegen bereits aufmerksam geworden sei. Mehdi Karroubi, die zweite Symbolfigur der grünen Bewegung, empfing die Angehörigen der Gefangenen forderte die Behörden auf, mit den Hungerstreikenden zu reden. Tatsächlich sind die Gefangenen mittlerweile nicht mehr in Einzelhaft, ihre Angehörigen durften wieder Kontakt aufnehmen und es soll zu Gesprächen mit hohen Justizbeamten über die Haftbedingungen gekommen sein.

Zuvor hatte man offenbar den Häftlingen gedroht, man werde sie unter »Umständen wie in Kahrizak« festhalten, wenn sie nicht aufgäben. Das Gefängnis mit seinen dokumentierten Folter- und Todesfällen ist allerdings für das Regime zu einer Belastung geworden, seit dort im vorigen Jahr der Sohn eines Beraters von Mohsen Rezai, dem ehemaligen Chef der Revolutionsgarden, umgebracht worden ist. Nun hat man die drei anerkannten Folteropfer aus Kahrizak posthum sogar offiziell zu »Märtyrern« erklärt. Nachdem im Juni zwei niederrangige Gefängnisbeamte zum Tod verurteilt worden waren, wurden nun drei hohe Justizbeamte, unter ihnen der berüchtigte ehemalige Teheraner Oberstaatsanwalt Saeed Mortazavi, jahrelang der politische Hauptankläger, vom Dienst suspendiert.
Auch über das Massaker an politischen Gefangenen, dem 1988 mehrere tausend Häftlinge zum Opfer fielen, wird mehr gesprochen, als dem Regime lieb ist. Ende August wurde die Gedenkversammlung der trauernden Familien auf einem Friedhof mit den Massengräbern, die bisher immer ungestört vonstatten gehen konnte, von der Polizei zerschlagen. Mousavi, der 1988 als Premierminister auf ungeklärte Weise in die Vorgänge verwickelt war, hatte kürzlich noch kryptisch geäußert, »gewisse Hindernisse ständen einer Veröffentlichung der Wahrheit« entgegen.
Es ist vielleicht auch kein Zufall, dass jüngst Gerüchte über bevorstehende Massenhinrichtungen von Gefangenen auftauchten. So sollen in Mashhad an einem einzigen Tag 68 Menschen aufgehängt worden sein, die meisten wegen Drogendelikten. Hunderte sollen angeblich auf die Hinrichtung warten. Ein Brief wurde bekannt, den Sadegh Larijani, der Chef des Justizwesens, an Khamenei geschrieben haben soll, um die Genehmigung für die Hinrichtung von über 1 000 Gefangenen zu erhalten. Die Authentizität des Schreibens ist nicht geklärt, und es ist unwahrscheinlich, dass das Regime noch den inneren Zusammenhalt und die Kraft hat, ein solches Massaker durchzuführen. Aber es ist durchaus passend, dass solche Gerüchte nun die Runde machen. Selbst die Toten sorgen noch für Unruhe. Das Fundament der Islamischen Republik steht auf Gräbern, und es steht nicht mehr stabil.