Hungerstreik von Mapuche-Aktivisten in chilenischen Gefängnissen

Ein Prozess genügt nicht

Seit mehr als sechs Wochen sind 32 Mapuche-Gefangene in Chile im Hungerstreik. Die Regierung will nicht verhandeln.

»Der gesundheitliche Verfall der politischen Gefangenen ist besorgniserregend. Sie sind langsamer geworden, haben Krämpfe, Magen- und Kopfschmerzen«, so beschreibt der chilenische Senator Alejandro Navarro den Zustand von 32 Mapuche-Indigenas, die am 12. Juli in den Hungerstreik getreten sind. Bereits zum vierten Mal besuchte Navarro von der kleinen linken Partei Breite Soziale Bewegung (MAS) eines der fünf Gefängnisse, in denen Mapuche die Nahrungsaufnahme verweigern. Die Gefangenen sollen demnächst zwangsernährt werden.
Diesem paternalistischen Lösungsansatz im Kleinen entspricht die Staatsräson im Großen, wenn es in Chile um den sogenannten Mapuche-Konflikt geht. Die Forderungen der schätzungsweise 700 000 Mapuche nach Selbstverwaltung, verbindlichen Landtiteln bzw. der Rückgabe von Territorien sowie einem Autonomiestatus sind so alt wie die Unabhängigkeitserklärung der ehemaligen spanischen Kolonie. »Sicher hat die chilenische Regierung inzwischen mehrere hunderttausend Hektar Land rückübertragen. Aber weder die Lage noch die Beschaffenheit dieser Flächen standen zur Diskussion«, sagt der Historiker Sergio Caniuqueo Huircapan. »Die Vorschläge und Ansprüche der Mapuche wurden nie ernst genommen.«

Bei dem derzeitigen Hungerstreik geht es aber um eine politische Forderung, an der auch alle übrigen Chilenen Interesse haben sollten: das Recht auf eine fairen Prozess. »Die Anklage lautet in den meisten Fällen auf Hausfriedensbruch und Widerstand gegen die Staatsgewalt. Straßenblockaden, Besetzung von Wäldern und Auseinandersetzungen mit der Polizei eben«, resümiert Nati­vidad Llanquileo, Sprecherin der Politischen Mapuche-Gefangenen des Gefängnisses in Concep­ción. »Das chilenische Recht macht es jedoch möglich, zivile Straftaten zusätzlich vor einem Militärgericht zu verhandeln. Gleichzeitig werden Staatsdiener vor zivilen Verfahren geschützt.« Deshalb können Handgreiflichkeiten bei Landbesetzungen im Extremfall mit über 100 Jahren Haft geahndet werden, während ein Polizist, der einen Mapuche-Aktivisten 2008 auf der Flucht mit einem Schuss in den Rücken tötete, zu dreieinhalb Jahren auf Bewährung verurteilt wurde.
Wann über die mehr als 100 inhaftierten Mapuche Urteile gesprochen werden, ist nicht abzusehen. Viele sitzen seit mehr als einem Jahr in Untersuchungshaft, sie haben keine Einsicht in ihre Akten und wissen nicht, welcher Straftaten sie beschuldigt werden. Das »Antiterrorgesetz«, ein Relikt aus der Zeit der Militärdiktatur, erlaubt Einschränkungen der Grundrechte von Gefangenen, die als Terroristen gelten. Doch nicht die seit März regierende rechte Regierungskoalition unter Präsident Sebastián Piñera bediente sich dieses umstrittene Gesetzes, sondern dessen sozialdemokratische Vorgängerin Michelle Bachelet.

Eine »nicht zu rechtfertigende Nachrichtensperre« aller großen Medien hinsichtlich des Hungerstreiks diagnostizierte bereits vor Wochen der Journalistenverband Colegio de Periodismo. Die alternative Nachrichtenagentur Mapuexpress reichte eine Beschwerde gegen die vier größten TV-Sender ein, »wegen Vermeidung jeglicher Referenz an die Treffen der Gefangenensprecher mit der Menschenrechtskommission der Abgeordnetenkammer am 11. August«. Ebenso wenig wurde über die friedlichen Demonstrationen in den größeren Städten Chiles berichtet.
»Sollte eine demokratisch gewählte Regierung in einer solchen Situation nicht Dialogbereitschaft zeigen?« fragt Natividad. »Mehr fordern wir doch gar nicht.« Die Chancen stehen jedoch nicht sonderlich gut, denn bereits kurz nach seiner Wahl erklärte Präsident Piñera, die von der chilenischen Behörde für indigene Entwicklung (Conadi) an Mapuche-Familien übertragenen Landtitel auf ihre Rechtmäßigkeit prüfen zu wollen. Zudem spricht der Historiker Sergio Ca­niuqueo von einer Belagerung verschiedener Mapuche-Siedlungen seit Ende Februar. »Nach dem Tsunami kamen Militärs und Gendarmerie als humanitäre Helfer. Sie sind geblieben, obwohl sie längst keine konkrete Hilfe mehr leisten.«