Hat zum Schulbeginn zwei Berliner Sekundarschulen besucht

Gegessen wird im Treppenhaus

Nie wieder Hauptschule: Gemäß der Schulreform des rot-roten Senats gibt es in Berlin ab jetzt nur noch Integrierte Sekundarschulen und Gymnasien. Doch in den neuen Lehreinrichtungen läuft noch nicht alles so, wie es Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) geplant hat.

Wenn Michael Füllner durch seine Schule geht, dann schafft er es kaum, seinem Besucher zu zeigen, was alles fehlt und wo noch gebaut wird: der Schacht für den geplanten Fahrstuhl, die Essensausgabe im Keller, die teilweise unsanierten Gänge. Selbst um die Toiletten zu benutzen, müssen Schüler und Lehrer in die anliegende Sporthalle ausweichen. »Am letzten Freitag in den Sommerferien wussten wir nicht einmal, ob wir unsere Leute pünktlich zum Schuljahresbeginn überhaupt ins Gebäude lassen können«, gibt der Direktor der ehemaligen Friedrich-Beyer-Realschule in Steglitz zu. Draußen auf dem Pausenhof stehen Container und Absperrzäune. Die Atmosphäre auf dem Schulgelände hat den Charme einer Großbaustelle, der Senat dürfte sich den Übergang leichter vorgestellt haben. Derzeit ist die Schule in Steglitz noch namenlos. In den kommenden Wochen muss sich Füllner zusammen mit der Schulkonferenz einen richtigen Namen für die 06K07 ausdenken – so lautet die amtliche Bezeichnung für seine neue Sekundarschule.

Die Sekundarschule ist der Kernpunkt der Schulreform, die der rot-rote Berliner Senat verabschiedet hat. Haupt-, Real- und Gesamtschule wurden in den Bezirken teilweise fusioniert. So gibt es neben den Gymnasien nur noch Integrierte Sekundarschulen, in denen – falls eine Oberstufe angeboten wird – nach 13 Schuljahren das Abitur abgelegt werden kann. Zudem werden die meisten Sekundarschulen im verpflichtenden oder im ­offenen Ganztagsbetrieb laufen. Mit Hausaufgabenbetreuung und Arbeitsgemeinschaften will auch Michael Füllner seine knapp 500 Schüler länger in der Schule halten – nur werden diese in den nächsten Monaten von den neuen Angeboten kaum profitieren können. »Unsere Arbeitsgemeinschaften können wir hier nachmittags erst anbieten, wenn die Baumaßnahmen abgeschlossen sind«, sagt Füllner. »Das wird voraussichtlich im Dezember sein.«
Auf den ersten Blick scheint die Situation in der Neuköllner Alfred-Nobel-Sekundarschule komfortabler. Hier können sich die Schüler schon für Nachmittags-Angebote entscheiden, etwa für ein Feuerwehr-Projekt, für Erste-Hilfe-Kurse oder für Yoga. Ein erfolgreicher Start für die Ganztagsschule? Sönke Goldsweer kann darüber nur den Kopf schütteln. »Wie viele andere Schulen haben auch wir nicht einmal eine richtige Mensa«, so der Schülersprecher. »Wenn man zum Essen keinen Platz mehr findet, muss man sich auf die Treppe setzen.« Überhaupt verursache die Reform bisher viele Probleme: »Vorher waren wir knapp 15 Leute in den Klassen, jetzt sind es bis zu 30. Ich weiß nicht, wie man so einen vernünftigen Unterricht anbieten kann.«

Dass es in vielen Bezirken Schwierigkeiten mit der Umstrukturierung gibt, bestreitet Schulleiterin Renate Lecke nicht. Dennoch zählt sie sich zu den Unterstützern der Reform. »Ziel war es, die Stigmatisierung der Hauptschüler zu beenden«, sagt Lecke. »Ich glaube, die Sekundarschule ist da ein Anfang.« Gegen die Fusion der alten Alfred-Nobel-Realschule und der Anna-Siemsen-Hauptschule zur Sekundarschule habe es einige Vorbehalte unter Lehrern und Eltern gegeben. So befürchten sie, dass »verhaltensauffällige Kinder« von der früheren Hauptschule den lernwilligen Nachwuchs negativ beeinflussen könnten. Dennoch ist die Schulleiterin davon überzeugt, dass das gemeinsame Lernen von leistungsstärkeren und »eher praxisorientierten« Schülern verhindern kann, dass die Berliner Schulen weiterhin so viele »Bildungsverlierer« hervorbringen.
Die Angst vor der Vermischung von Schülermilieus, auch von deutschen und migrantischen, hat Michael Füllner vor der Umsetzung der Reform verstärkt registriert. »Steglitz galt immer als einer der letzten gutbürgerlichen Bezirke Berlins. Aber das ist spätestens seit zwei Jahren nicht mehr der Fall«, so der Schulleiter. »Letztlich müssen wir die Sekundarschule etablieren, ob wir wollen oder nicht.«