Volksbegehren und Populismus in der Schweiz

Schweizer Scherbengericht

In den vergangenen Jahren wurde das politische Klima in der Schweiz immer populistischer. Das liegt nicht zuletzt an den vielen erfolgreichen Volksinitiativen, die vor allem rechte Parteien angestrengt haben.

Die erste Volksinitiative in der Schweiz gab es im Jahr 1893. Gegen den Willen der damaligen Regierung wurde eine Vorlage Deutschschweizer Tierschutzvereine angenommen, die das rituelle Schächten nach jüdischem Religionsgesetz verbot. Begleitet wurde die Debatte von einer offen antisemitischen Kampagne. Im November 2009 kam mit dem Minarettverbot die vorläufig letzte erfolgreiche Initiative an die Urnen. Dazwischen liegen 15 andere erfolgreiche Begehren, darunter das kuriose landesweite Verbot der Herstellung von Absinth, aber auch die rechtsstaatlich bedenkliche Volksinitiative »Lebenslange Verwahrung für nicht therapierbare, extrem gefährliche Sexual- und Gewaltstraftäter«, welche die Abschaffung von Haftprüfungen bei Sicherungsverwahrten durchgesetzt hat. Ein weiterer Tiefpunkt der sogenannten direkten Demokratie bildete der unlängst eingereichte und mittlerweile zurückgezogene Entwurf für eine Volksini­tiative zur Wiedereinführung der Todesstrafe für Sexualmörder.
Es gibt genug Gründe, gegenüber der Einführung direktdemokratischer Verfahren skeptisch zu sein. Nicht zuletzt, weil vor allem die rechtspopulistische Schweizerische Volkspartei (SVP) Volks­initiativen zu einem zentralen und erfolgreichen agitatorischen Mittel entwickelte.
Dabei zeigt der Erfolg der SVP, dass es letztlich gar nicht so wichtig ist, ob eine Initiative oder ein Referendum den Durchbruch schafft oder nicht. Denn allein durch die Drohung, Unterschriften zu sammeln, können Themen gesetzt und Druck ausgeübt werden. So nahm Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf die »Todesstrafe-Initiative« zum Anlass, eine härtere Bestrafung von Gewalttätern zu fordern. Auch ist in den vergangenen Jahrzehnten ist ausserdem jeder Versuch, das Schächtverbot wieder aufzuheben, an der Angst vor antisemitischer Polemik in einem neuerlichen Abstimmungskampf gescheitert.
Während Politik letztlich immer auch ein Ergebnis komplexer Aushandlungsprozesse ist, befördert die Anonymität der Abstimmungskabine das Ausleben persönlicher Ressentiments. Darunter haben vor allem Minderheiten zu leiden, die den Stimmungen und Interessen der Mehrheit ausgeliefert sind. Dem können auch verfahrensrechtliche Schutzmechanismen wie parlamentarische Vorprüfungen der Initiativen nur begrenzt entgegenwirken. Der Suggestion, es gehe um den »Willen des Volkes«, entziehen sich Politiker schwer und oft um den Preis von Wahlniederlagen. Auch unabhängige Gerichte können nicht verhindern, dass durch solche Initiativen eine populistische Stimmung entsteht.
Zwar wäre es falsch, direktdemokratische Instrumente allein als Mittel der Rechten wahrzunehmen. Gerade durch Referenden über existierende Gesetzesvorlagen heimste die Schweizer Linke einige Erfolge ein. Auf regionaler Ebene können Plebiszite durchaus etwas bewirken, beispielsweise in der Auseinandersetzung um die Privatisierung öffentlicher Dienste. Doch letztlich sind positive Beispiele selten. Angesichts des Erstarkens populistischer Kräfte in Europa gilt es bei der Forderung nach mehr direkter Demokratie skeptisch zu sein.