Über den neuen Film von François Ozon »Rückkehr ans Meer«

Am Anfang ist der Bauch

Schwangerschaft ist ein wiederkehrendes Thema in den Filmen von FranÇois Ozon. In »Rückkehr ans Meer« wird der Babybauch zur universellen Projektionsfläche in einer neurotischen Gesellschaft.

In den vergangenen Jahren sah es so aus, als habe sich François Ozon einem reinen Zitat- und Aneignungskino verschrieben. Nach dem operettenhaften Pastiche-Wunderwerk »Angel« (2007) hatte der französische Regisseur zuletzt in »Ricky« (2009), einem reichlich quatschigen Baby-Spektakel, Fantasy, Komödie und Sozialrealismus miteinander kollidieren lassen. In seinem jüngsten Film lässt er jedoch alle referenziellen Spielereien hinter sich, er kümmert sich nicht um das Kino, um Genres oder visuelle Styles, sondern konzentriert sich ganz auf die Geschichte, die Figuren und ihre Beziehungen zueinander. »Rückkehr ans Meer« ist nach »Unter dem Sand« (2001) und »Die Zeit, die bleibt« (2005) der letzte Teil der so genannten »Trilogie über die Trauer«. Wieder geht es um Abschied und Verlust, um den Tod und die Schwierigkeit des Weiterlebens.
Mousse (Isabelle Carré) und Louis (Melvil Poupaud) sind ein privilegiertes Junkie-Liebespaar, reich und schön. In einer leeren, großbürgerlichen Altbauwohnung leben sie abgeschieden von der Außenwelt und der harten Drogenrealität der Straße. Der Dealer bringt ihnen den Stoff nach Hause, während Louis mit Zigarette im Mundwinkel melancholisch ein paar Akkorde auf der Gitarre spielt, später taucht das Paar gemeinsam, fast symbiotisch, in seinen Trip ein. Von wegen Drogenhölle: Ein poetisch angehauchter Heroin-Chic liegt über der fast zärtlichen Szene. Umso spürbarer ist die Wucht des Verlusts, als Louis an einer Überdosis stirbt. Mousse überlebt den Trip und erfährt noch im Krankenhaus, dass sie schwanger ist. Worauf ihr die bourgeoise Mutter von Louis, eine versnobte Immobilienmaklerin, nahe legt, das Kind abzutreiben. Die Familie habe kein Interesse an einem Nachkommen, jetzt, wo der Sohn tot sei.
Der Hauptteil des Films spielt im Sommer an der baskischen Atlantikküste, wo sich die trauernde Frau in das Ferienhaus eines Freundes zurückgezogen hat. Auch die beiden anderen Filme der »Trilogie über die Trauer« zeigen das Meer als Projektionsfläche der Unendlichkeit, hatten dort begonnen und geendet (als Schauplatz einer Tragödie bzw. eines Abschieds). In »Rückkehr ans Meer« verspricht der Aufenthalt an der See einen therapeutischen Effekt und den Aufbruch zu einem möglichen Neuanfang. Das Kind in ihrem Bauch hat Mousse behalten, auch wenn sie offensichtlich keine Beziehung zu ihm hat, allein als Verbindung zu dem verstorbenen Freund hat es für sie eine Bedeutung. Paul (Louis-Ronan Choisy), der schwule Bruder von Louis, besucht Mousse für ein paar Tage in ihrem Refugium. Sie reagiert zunächst schroff und misstrauisch, schließlich war er bei der Beerdigung noch als folgsames Muttersöhnchen aufgetreten. Dabei erscheint der gut aussehende und athletische Paul, der auf den ersten Blick etwas flach wirkt, schon bald als ebenso lost wie sie. Als Adoptivsohn sucht er nach einer familiären Legitimation, und auch sonst scheint er nicht zu wissen, wohin mit sich. Ganz unspektakulär und ohne Dramatik entwickelt sich zwischen den beiden Außenseitern eine Vertrautheit und Nähe, die in ihrer Behutsamkeit etwas sehr Besonderes hat.
Eine wesentliches Motiv ist der schwangere Bauch, über ihn wird die Verbindung zwischen Paul und Mousse überhaupt erst hergestellt. Man merkt dem Film die Begeisterung des Regisseurs an, mit einer schwangeren Schauspielerin drehen zu können – Isabelle Carré war zum Zeitpunkt der Dreharbeiten im sechsten Monat –, angeblich träumt er schon seit Ewigkeiten davon. So rückt er den Bauch von Isabelle Carré ganz explizit ins Zentrum des Films, der Bauch wird erotisiert, mystifiziert, begehrt, von der Kamera wie ein geheimnisvolles Ereignis eingefangen. Alle Figuren im Film sind auf diesen Bauch fixiert. Am Strand wird Mousse, die nur ein offenes Hemd über ihrem Bikini trägt, von einer Fremden angesprochen, sie bittet darum, den Bauch berühren zu dürfen. Dabei kniet sie sich ehrfürchtig nieder und steigert sich immer mehr in einen neurotischen Vortrag über mütterliche Hingabe und Opferbereitschaft hinein. Ein etwas älterer Mann flirtet Mousse in einem Café an, er will Sex mit ihr und lädt sie ohne Umschweife zu sich nach Hause ein. Und auch auf der Tanzfläche im Club scheinen alle Blicke auf die schwangere Frau gerichtet, ein Typ tanzt mit ihr und will schon bald nichts anderes, als sie anzufassen. Auch Ozon zeigt sich von diesem Begehren infiziert.
Schon in den vorherigen Filmen war Schwangerschaft immer wieder ein Thema, in »Die Zeit, die bleibt« zeugt der todkranke schwule Fotograf noch schnell ein Kind, und das fliegende Baby in »Ricky« ließ sich nicht zuletzt als ein Bild für das Wunder der Mutterschaft lesen. In »Rückkehr ans Meer« droht diese Obsession fast schon penetrant und unangenehm zu werden, hätte der Regisseur mit Mousse nicht eine Figur entworfen, die ihrer Schwangerschaft völlig indifferent begegnet. Sie ignoriert ihren Bauch, und wenn sie ihn dann doch einmal anfasst, dann tut sie das sehr vorsichtig, als handele es sich dabei um einen seltsamen Fremdkörper. Isabelle Carré spielt diese Frau mit einer sanften Intensität, oft starrt sie undurchdringlich ins Leere und setzt dem Teppich aus Melancholie und Traurigkeit eine stoische Unbeweglichkeit entgegen, die umso mehr berührt.
Ozon hat den Film mit einem kleinen Team und wenig Aufwand in HD gedreht, was dem Film eine ungekünstelte Direktheit verleiht. Er strahlt dennoch Weite aus, findet großzügige Bilder für die Natur, Ozon hat ihn in Cinemascope gedreht. Die Schönheit und Ruhe der Landschaft wirkt wie ein Dämpfer auf die Figuren, sie wirken aber nie schwermütig. Ozon fürchtet sich nicht vor Sentimentalität und Rührung, beides gehört für ihn zum melodramatischen Kino, doch nie zuvor hat er so schmucklos und einfach inszeniert. Sicherlich sind die Figuren und ihre Entscheidungen nicht immer glaubwürdig, und über einige Themen huscht Ozon auch ziemlich lässig und unbekümmert hinweg. So vermittelt »Le Refuge« ein etwas idyllisches Bild von Trauer, doch um Realismus geht es Ozon sowieso nicht. Die Melancholie-Effekte werden über Gesichter, Blicke, Natur her­gestellt, sie stellen einen eigenen Plot her, der sich von der eigentlichen Geschichte ablöst.
Am Schluss, wenn der Bauch als diffuse Projektionsfläche ausgedient hat, wird Ozon ganz konkret. So endet sein Film mit einem Statement für Wahlverwandtschaften, für schwule Väter. Zum Thema Mutterschaft mag er vielleicht ein vernarrtes Verhältnis haben, doch Biologismus kann man ihm sicherlich nicht vorwerfen. Die bessere Mutter ist jedenfalls Paul.

»Le Refuge – Rückkehr ans Meer« (F 2010). Regie: François Ozon. Darsteller: Isabelle Carré, Louis-Ronan Choisy, Melvil Poupaud. Kinostart: 9. September