Die spanische Regierung sucht nach der Anführerin der Eta

Die Suche nach der richtigen Frau

Die baskische Terrorgruppe Eta erklärte in einem Video, keine bewaffneten Aktionen mehr auszuführen. Die spanische Politik reagierte mit Skepsis. Jetzt wird nach der »weiblichen Stimme« der Eta gesucht.

»Euskadi Ta Askatasuna, die revolutionäre sozialistische baskische Organisation zur nationalen Befreiung, möchte dem baskischen Volk mit der folgenden Erklärung ihre Entscheidung mitteilen.« Mit diesen Worten beginnt das Video, in dem eine maskierte Sprecherin auf Baskisch erklärt, die separatistische Guerilla-Organisation Eta habe vor einigen Monaten entschieden, »keine offensiven bewaffneten Aktionen vorzunehmen«. Von einem kompletten Waffenstillstand ist in dem Video nicht die Rede. Die Entscheidung wird nur vage damit erklärt, das Baskenland befinde sich »an einem Scheideweg« und die Eta wolle einen »demokratischen Prozess« zur Schaffung eines unabhängigen Staates im Baskenland einleiten. Ob die Eta, deren Aktionen bisher über 800 Menschen zum Opfer fielen, die Waffen endgültig niederlegen will, lässt die Erklärung offen.
Dementsprechend skeptisch reagierte die spanische Politik. Die Erklärung sei »nicht ausreichend« und die Eta solle endlich ihre Auflösung bekanntgeben, hieß es aus vielen Parteien. Ministerpräsident José Luis Zapatero sagte am Mittwoch vergangener Woche: »Kommuniqués zählen nicht, es zählen nur Entscheidungen. Und in diesem Fall nur eine, in wenigen Worten: die Niederlegung der Waffen für immer.«

Vor allem eine Frage beschäftigte die spanische Öffentlichkeit nach der Ausstrahlung des Videos durch den britischen Sender BBC: Wer ist die Frau, die das Kommuniqué verlesen hat, wer ist »die weibliche Stimme der Eta«? Im Video sitzt sie zwischen zwei weiteren vermummten Etarras in einheitlicher schwarzer Kleidung, daneben ist die Fahne des Baskenlandes und der Provinz Navarra zu sehen.
Die spanischen Behörden meinen zu wissen, wer sich hinter der Vermummung versteckt. Der Name der Frau sei Iratxe Sorzabal, versichern Polizisten, die im Jahr 2001 bei ihrer letzten Verhaftung dabei waren. Viel ist über Sorzabal nicht bekannt. Sicher ist, dass die 38jährige in Irún aufgewachsen ist, einer baskischen Kleinstadt nahe der Pyrenäen, die in den achtziger Jahren den Spitznamen »Klein-Moskau« trug. Hier gründete sich 1984 Kortatu, eine Band des »Rock ra­dical vasco«, musikalisch an The Clash orientiert. Sie sang erst auf Spanisch, später auf Baskisch politische Texte über den Kampf gegen Spanien. Jugendliche, die im Verdacht standen, Sympathien für die Eta zu haben, weil sie sich im Umfeld der verbotenen Partei Batasuna betätigten, dem politischen Arm des baskischen Separatismus, wurden oft von der Polizei schikaniert. Iratxe Sorzabal gehörte zu ihnen, sie war, wie es heißt, »polizeibekannt«.
In den neunziger Jahren soll sie an dem Eta-Kommando Ibarla beteiligt gewesen sein, dem 20 Attentate zur Last gelegt werden: neben Bombenanschlägen auf Gerichtsgebäude und Kasernen auch die Ermordung zweier Polizisten und eine Bombenexplosion in der Toilette eines Kaufhauses im südspanischen Valencia, bei der eine Kundin starb. Diese Vorwürfe basieren ausschließlich auf Aussagen, die in der sogenannten Incomunicado-Haft erlangt wurden. Bei dieser handelt es sich um eine spanische Besonderheit aus den Zeiten der Franco-Diktatur: Die ersten fünf Tage nach der Verhaftung kann dem Gefangenen jeder Kontakt nach draußen untersagt werden. Niemand kann kontrollieren, was in diesen fünf Tagen bei den Verhören geschieht.
Sorzabal flüchtete 1997 nach Frankreich, nachdem sie von inhaftierten Freunden belastet worden war. Kurz darauf wurde sie dort verhaftet, als sie bei einer Razzia auf dem Hof eines bretonischen Separatisten mit anderen mutmaßlichen Etarras angetroffen wurde. Sie saß drei Jahre im Gefängnis, weil sie für die Logistik der Eta tätig gewesen sein soll. Danach arbeitete sie als Lehrerin für baskische Sprache und als Sprecherin der Hilfsorganisation für Eta-Gefangene in Irún.
Im März 2001 wurde sie dort erneut verhaftet. Bereits nach einem Tag wurde sie mit schweren Verletzungen in ein Krankenhaus eingeliefert. Ein Arzt machte zahlreiche Fotos, welche die Abschürfungen und Prellungen auf ihrem Körper dokumentierten. Sorzabal verfasste ein genaues Gedächtnisprotokoll ihrer Incomunicado-Haft. Sie warf der Guardia Civil vor, sie bedroht und beleidigt zu haben. Auch körperliche Gewalt sei angewandt worden und weit über Schläge hinaus­gegangen. »Dann fingen wieder die Stromschläge an. Währenddessen nahm der links von mir stehende Polizist eine Plastiktüte, stülpte sie mir über den Kopf und hinderte mich so am Atmen, bis ich fast erstickte«, schrieb sie. Sorzabal blieb sechs Monate in Haft, trotz der sichtbaren Verletzungen und obwohl es keine wirklichen Beweise gegen sie gab. Dann kam der Freispruch – wohl auch wegen des großen öffent­lichen Interesses, das die ärztlich dokumentierte Folter damals hervorrief. Das Verfahren gegen die Polizisten wurde eingestellt. Es gebe keine Beweise für einen Foltervorwurf, hieß es. Ein Arzt bezeugte, bei den Folterspuren könne es sich auch um eine allergische Reaktion handeln. Sorzabal ging nach ihrer Freilassung in den Untergrund.

Im März 2008 veröffentlichte die französische Polizei ein Fahndungsplakat mit sechs »gefährlichen und bewaffneten Mitgliedern« der Eta. ­Neben dem mittlerweile gefassten, angeblichen militärischen Anführer der Gruppe, Garikoitz Aspiazu, alias Txeroki (Jungle World 49/08), waren dort auch Fotos von Iratxe Sorzabal und Izaskun Lesaka Argüelles zu sehen.
Beide Frauen sollen dem militanten Flügel der Eta angehören. Auch Izaskun Lesaka Argüelles, so wurde vergangene Woche gemutmaßt, könne das Kommuniqué verlesen haben, da sie mittlerweile die miltärische Leiterin der Eta-Kommandos sei.
Izaskun Lesaka wurde vor fünf Jahren gemeinsam mit 30 weiteren Funktionären der linksnationalen baskischen Jugendorganisationen Jarrai und Segi angeklagt. Ihre Organisationen seien Befehlsempfänger der Eta und mit dieser organisatorisch verbunden. Die Staatsanwaltschaft forderte für jeden Angeklagten pauschal zehn Jahre Haft wegen Unterstützung einer terroristischen Organisation. Kurz bevor der Haftbefehl gegen Lesaka ausgestellt wurde, ging sie in den Untergrund.
Iratxe Sorzabal wird in spanischen Zeitungen als die politische Anführerin der Eta bezeichnet. Die entsprechenden Berichte basieren immer auf polizeilichen Auswertungen von Dokumenten, die bei Razzien und Festnahmen sichergestellt wurden.
Im Januar vergangenen Jahres vergruben zwei Etarras nach einem Autounfall in Eile einen Laptop, bevor sie flohen. Auf der Festplatte fand die französische Polizei viele Fotodateien. Auf einem Bild ist Iratxe Sorzabal zu sehen. Sie lächelt in die Kamera und hält ein kleines Kind auf dem Arm. Die Polizei gab sich überrascht – die Eta-Kämpferin als Mutter getarnt! Um das Bild als öffentliches Fahndungsfoto zu verbreiten, wurde das Kind jedoch weggeschnitten.