In Deutschland hält sich die Begeisterung für anonymisierte Bewerbungen in Grenzen

Nimm mich, ich bin anders

Die am Modellprojekt der anonymisierten Bewerbung beteiligten Unternehmen erhoffen sich eine »vielfältigere« Belegschaft, denn Vielfalt gilt als Wettbewerbsvorteil. Das »Diversity Management« soll helfen, die persönlichen Merkmale der Beschäf­tigen wie etwa Alter, Geschlecht oder Herkunft möglichst effizient zu verwerten.

»Nun, als Endvierzigerin können Sie ja nicht mehr viel erwarten«, musste sich Rebecka P.*, eine kürzlich entlassene Redaktionssekretärin, in ihrer Agentur für Arbeit sagen lassen. Während Menschen sich bei Arbeitsagentur- und Jobcentermitarbeitern bisweilen immer noch für den Umstand entschuldigen müssen, dass sie altern, gibt es mittlerweile immerhin einige Unternehmen, die zumindest ihrem Selbstverständnis nach bei der Personalauswahl auf Diskriminierung aufgrund von Alter, Geschlecht, Hautfarbe, Behinderung oder sexueller Orientierung verzichten wollen. Wer sich etwa bei Burger King um einen Job bewirbt, kann auf dem Online-Bewerbungsformular das Geburtsdatum weglassen, um nicht schon aufgrund seines Alters ausgesiebt zu werden. Die fünf Unternehmen, die am Modellprojekt der Antidiskriminierungsstelle des Bundes teilnehmen, wollen in manchen Unternehmensbereichen ab Herbst anonyme Bewerbungen ent­gegennehmen, also Bewerbungen, die keinen Aufschluss über das Alter, das Geschlecht, die Herkunft, die Adresse und den Familienstand der Bewerber erlauben, damit Frauen mit Kindern, Träger eines ausländisch klingenden Namens und Ältere eine Chance bekommen, wenigstens zum Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden.
Auf derlei persönliche Informationen der Bewerber verzichten zu müssen, fällt Personalchefs allerdings nicht leicht. Auch wenn etwa der Migrationshintergrund eines Kandidaten keinen unmittelbaren Hinweis auf die Verwertbarkeit seiner Arbeitskraft liefert, lassen es sich Personalchefs ungern verbieten, anhand von eingeübten Stereotypen Vorannahmen zu treffen oder Statistiken zu bemühen, die traditionellen Vorurteilen einen wissenschaftlichen Anstrich verleihen. Wenn eine Statistik etwa behauptet, dass Frauen mit großer Wahrscheinlichkeit risikoscheuer als Männer seien, liegt es dem risikoscheuen Personalchef wohl näher, Führungspositionen mit Männern zu besetzen. »Statistische Diskriminierung«, wie sie etwa im Versicherungswesen, das Tarife für Autofahrer oder Krankenversicherte nach deren Alter taxiert, gesellschaftlich akzeptiert ist, gilt unter bestimmten Bedingungen in Unternehmen als Element rationaler Personalpolitik.

Auch bei den wenigen deutschen Unternehmen, die die Antidiskriminierungsstelle des Bundes für ihr Modellprojekt gewinnen konnte, hält sich die Begeisterung für anonymisierte Bewerbungsverfahren in Grenzen. So nimmt die deutsche Telekom ausschließlich im Bereich der Kundenbetreuung am Modell teil, und das ausdrücklich »ergebnisoffen«, wie es der Pressesprecher der Telekom formuliert. Wie das Verfahren ablaufen wird und anhand welcher Kriterien der Erfolg oder Misserfolg des Projekts evaluiert werden soll, steht nach Angaben des Unternehmens noch nicht fest. Auch das Unternehmen Procter & Gamble nimmt nur mit einem seiner insgesamt 15 deutschen Niederlassungen teil, auch hier steckt das Projekt nach Angaben der Pressesprecherin noch »in den Kinderschuhen«. Was ist die Motivation für das Experiment, das offenbar als so waghalsig gilt, dass sich daran nur fünf Firmen mit jeweils nur kleinen Unternehmensbereichen beteiligen?
»Unternehmen, die bewusst oder unbewusst diskriminieren, verzichten auf die Effizienz, die sie hätten, wenn sie ihre Mitarbeiter allein nach der Qualifikation auswählen würden«, sagt Klaus Zimmermann, Direktor des Instituts zur Zukunft der Arbeit, das das Modellprojekt wissenschaftlich begleitet. Mit dem anonymisierten Bewerbungsverfahren sollen die genannten Unternehmen sicherstellen, dass nicht überholte Ressentiments, Sympathie oder Antipathie die Suche nach Mitarbeitern beeinflussen. Schließlich sollen schlicht und einfach nur die Besten, die Leistungsfähigsten eingestellt werden. Unabhängig davon, ob sie zu Hause Kinder zu versorgen haben oder nicht. Unabhängig davon, ob sie zwanzig oder sechzig sind.
Fragt man bei den beteiligten Firmen nach ihren Motiven für die Teilnahme am Projekt, betonen diese einen anderen Aspekt. »Vielfalt ist der Schlüssel zum Erfolg«, sagt der Pressesprecher der Telekom. »Vielfalt ist bei uns gelebte Firmenkultur«, sagt die Pressesprecherin von Procter & Gamble. Einen Siemens-Manager zitierte der Tagesspiegel mit dem Satz: »Zu weiß, zu männlich, zu deutsch.« Der Belegschaft des deutschen Weltkonzerns mangle es an Diversität. Einen jungen Homosexuellen, eine Muslima mit Kopftuch, eine alleinerziehende Mutter und einen behinderten älteren Herren in einem »bunten Team« zusammenzuwürfeln, gilt heute als erfolgversprechender als eine homogene Abteilung aus Durchschnittsangestellten.

Während anonymisierte Bewerbungsverfahren nur darauf setzen, perönliche Merkmale jenseits der Leistungsstärke auszublenden und die Vielfalt der Belegschaft höchstens dadurch zu erhöhen, dass auf die übliche Diskriminierung von Minderheiten verzichtet wird, setzt »Diversity Management« darauf, Alter, Herkunft, Geschlecht und sexuelle Orientierung nicht einfach auszublenden, sondern ins ökonomische Nutzenkalkül zu integrieren. Statt auf die Qualifikation der einzelnen Bewerber legt »Diversity Management« Wert auf die Vielfalt der Belegschaft, wie Kristina Huke von der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände sagt. Der Kosmetikkonzern L’Oréal etwa wirbt damit, »alle Teams auf allen Hierarchieebenen hinsichtlich Nationalität, Alter und Herkunft so vielfältig zusammenzustellen, wie es der Kundenzusammensetzung entspricht«.
Soll das Produkt möglichst viele und damit verschiedene Konsumenten erreichen, lohnt es sich, schon bei der Entwicklung des Produkts verschiedene Menschen einzuspannen. Soll dagegen nur ein bestimmtes Marktsegment erobert werden, ermöglicht »Diversity Management« auch das Gegenteil. Das nennt sich »diversitätsreduzierende Integration« und ist ein Bestandteil des Instrumentariums moderner Nutzung der »Human Ressources«. So werden Reiseanbieter darauf hingewiesen, dass es lukrativ sein kann, sexu­elle Vielfalt zu respektieren, denn Marktstatistiken halten berufstätige und kinderlose Schwule für zahlungskräftiger als Kleinfamilien.
Zuleich erlaubt es »Diversity Management« den Unternehmen zu betonen, dass sie sich gesellschaftlichen Veränderungen stellen und etwa Homosexuelle nicht diskriminieren. Die Ökonomisierung dessen, was das Individuum einst aus dem Arbeitsleben tunlichst heraushalten musste, um nicht diskriminiert zu werden, wird als »Corporate Social Responsibility« vermarktet. L’Oréal verspricht sich von »Vielfalt« eine Steigerung von Effizienz, Leistungsbereitschaft und Gewinnspanne und koppelt das Verfahren der »anonymen Bewerbung« an »Diversity Management«. Der Konzern behauptet auf seiner Homepage: »Wir leben tagtäglich unsere Grundwerte: Respekt, Integrität, Herausragendes leisten.«
Herausragendes leisten möchte auch Rebecka P., die sich bereits Gedanken darüber gemacht hat, ob sie es nicht auch mal mit einer anonymen Bewerbung versuchen soll. Aber wie genau sähe die dann aus? Wie schreibt man einen Lebenslauf, der nicht zugleich über Alter und Herkunft Auskunft gibt? Und kann man bei einer herkömmlichen Bewerbung das Foto jetzt schon weglassen? Die Presseberichte in den letzten Wochen haben bei Arbeitssuchenden für Verwirrung gesorgt. Wer sichergehen will, wird gewiss noch lange Alter, Herkunft und Geschlecht preisgeben sowie ein Bewerbungsbild aufs Anschreiben kleben müssen, um nicht schon aufgrund einer vom Standard abweichenden Bewerbung von vornherein aussortiert zu werden.

*Name von der Redaktion geändert