Hat das Festival der direkten Demokratie in Thessaloniki besucht

Souvlaki, Bier und Gegenmacht

In Thessaloniki lud die »Antiautoritäre Bewegung« zu einem Festival der direkten Demokratie ein. Der Umsturz lässt aber noch auf sich warten.

Es ist nicht immer leicht, otium und negotium im Leben unter einen Hut zu bringen. Besonders, wenn es um Politik geht. Um so erfreulicher, aus dem verfrühten Berliner Herbsteinbruch der Einladung auf das »Festival der direkten Demokratie« ins griechische Thessaloniki zu folgen – nicht nur wegen der 15°C Temperaturunterschied. Verlockend war es vielmehr, sich nach dem »Aufstand« vom Dezember 2008 und den Generalstreiks dieses Jahres auf eine Ortsbegehung des Olymps vieler europäischer Linker einzulassen. Sollte vielleicht wenigstens der griechische Kapitalismus den Anstand besitzen, sich abzuschaffen, nachdem es der deutsche in Krisenzeiten unhöflicherweise verpasst hatte? Kolportierte nicht der hiesige linke Flurfunk, bei dem Festival solle endlich der Umsturz geplant werden?
»We have a bit of crisis, but it’s nice«, beantwortet einer der ersten angereisten Einheimischen die Frage, wie ihm derzeit Griechenland gefalle. Doch auf dem Campus der Aristotelous-Universität angekommen, wo das Festival stattfinden soll, tauchen erste Zweifel auf. Statt griechischer Revolutionäre sind hier überall versprengte Grüppchen deutscher Linker versammelt. Gesprächsfragmente wie »Ach, aus Berlin« oder »Warum gibt’s hier eigentlich keine Vokü?« evozieren Traumata einheimischer linker Großevents. Erste Erleichterung: Dixiklos statt Kompostklos, ein fünf Meter langer Souvlakigrill und in großen Tonnen mit Eis gekühltes Dosenbier.
Ein Blick auf den Veranstaltungskalender zeigt, dass »Nicht kleckern, klotzen!« das Motto der Veranstalter zu sein scheint. Auf diversen Panels sollen drei Tage lang unterschiedliche Erfahrungen und Theorien zu Selbstverwaltung und direkter Demokratie vorgestellt werden. Die Besetzung der Podien ist international und reicht vom »Griechenland ist überall«-Komitee aus den Niederlanden, der Kölner Antifa und der anarchosyndikalistischen FAU aus Deutschland über Vertreter einer »anderen Ökonomie« aus Spanien und den USA, Solidaritätsbewegungen mit Chiapas und Oaxaca aus Frankreich, libertärem Munizipalismus aus Norwegen bis hin zum Bürgermeister eines selbstverwalteten Dorfs in Andalusien, einer Vertreterin der Landlosenbewegung Movimento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra (MST) aus Brasilien und dem ehemaligen Mitglied der Situationistischen Internationale, Raoul Vaneigem.

»Vor ein paar Jahren wäre ein Zusammentreffen so vieler unterschiedlicher Bewegungen und Strömungen nicht denkbar gewesen«, begeistert sich einer der Podiumsteilnehmer. Doch leider bietet das Programm wenig Raum für Debatten und Austausch. Nicht nur, dass Welten zwischen den Vorträgen der Leute mit praktischen Ansätzen und Erfahrungen und den ausufernden Theorievorträgen liegen. Auch scheinen gerade einige der theoretischen Vorträge eher aus der Mottenkiste denn aus der Zukunftswerkstatt zu stammen. So erscheint es wenig praxisnah, in Zeiten der Wirtschaftskrise, und gerade in einem Land wie Griechenland, damit hausieren zu gehen, dass »De-growth« – die Schrumpfung der Wirtschaft und Rückkehr zur ländlichen Subsistenzökonomie – ein Konzept für den Ausweg aus der Krise sein soll. Wie man dieses Konzept den Leuten verkauen wolle, lautet denn auch eine der wenigen Nachfragen aus dem Publikum. »Wir müssen zugeben, dass dies eine eher provokante These ist. Und sie ist eine Idee aus dem globalen Norden«, wiegelt Federico Demaria von der Autonomen Universität Barcelona ab.
Auch der US-amerikanische Ökonom und Znet-Mitarbeiter Peter Bohmer weiß wenig Bahnbrechendes beizutragen. Gleich in zwei Panels ergeht er sich in stundenlangen Welterklärungen. Spätestens bei seiner Vorstellung des deutschen Krisenmanagements als gesellschaftspolitischem Ideal bleibt manchem Zuhörer der Mund offen stehen. Fazit von zwei mal gut eineinhalb Stunden: eine bizarre Mischung aus Chávez und Merkel – die Besteuerung von Finanztransaktionen und der Austritt aus der Währungsunion würden Griechenland wieder auf die Beine bringen. Das Problem sei nämlich »nicht der Neoliberalismus, sondern der Kapitalismus«, so Bohmer. Ein Umstand, den Hugo Chávez längst verstanden habe.
Weit aufschlussreicher sind die Vorträge über die Situation in Brasilien und Spanien. So berichtet Marisa Fatima de Luz vom MST von den Problemen, unter denen die hungernde Landbevölkerung infolge der Nutzung des Ackerlandes nicht für Nahrung, sondern für Biokraftstoffe leiden müsse. Und zeigt sich sogleich verwirrt über den mangelnden Sinn fürs Praktische so manch anderer Redner. »Das erste, was wir bauen, wenn wir ein Stück Land besetzen, ist eine Schule«, so die Lehrerin und Bildungsbeauftragte, die ihre Schulbildung selbst an den Schulen der MST erworben hat. Der Bürgermeister des andalusischen Dorfs Marinalenda, Juan Manuel Sanchez Gordillo, erzählt, wie dort Ländereien besetzt und gemeinsam bearbeitet sowie eine Landarbeitergewerkschaft gegründet wurde, die nicht nur die Lokalbevölkerung, sondern vor allem die migrantischen Landarbeiter unterstütze. Jeder, der ein Haus baue, bekomme Grund und Material kostenlos von der Gemeinde gestellt. Die massive Arbeitslosigkeit sei im Dorf selbst überwunden worden, indem man die notwendige Arbeit und deren Früchte auf alle umverteilt habe. »Dies ist ein Projekt, das jeder an jedem Ort dieses Universums realisieren kann. Wenn wir das geschafft haben, kann es jeder. Man braucht nur ein paar Leute, einen Willen und Organisation«, resümiert Gordillo vor gut 1 000 Zuhörern im überfüllten Hörsaal. Auf dem Abschlusspanel »Direkte Demokratie und gesellschaftlicher Umsturz« referiert der aus Iran stammende und seit 1977 in Frankreich lebende Soziologe Behrouz Safdari über die Revolte in seinem Herkunftsland. »Die Revolte lässt sich nicht in politische Kategorien einordnen, aber sie ist basisdemokratisch. In einem Land, in dem Frauen, die ihren Schleier nicht oder falsch tragen, mit Säure angegriffen oder der Schleier ihnen am Kopf festgetackert wird, geht es um reine Freiheiten – nicht um Ideologien!« erklärt er den erstaunten Politniks.
Allabendlich dann, umsonst und draußen, gibt es Konzerte für Partyhungrige. Anstelle der Garagenband von nebenan – die man wegen ihrer politischen Überzeugung ungeachtet jeden Sinns für Ästhetik gut zu finden verpflichtet ist – spielen einige der bekanntesten Musiker Griechenlands wie Thannasis Konstantinou.

Den krönenden Abschluss bildet die Großdemonstration gegen die wirtschaftspolitische Linie Griechenlands für das nächste Jahr, die der griechische Premierminister Giorgios Papandreou anlässlich der jährlichen Internationalen Messe in Thessaloniki exklusiv vor Vertretern der Wirtschaft verkündet. Und während drinnen Papan­dreou vor ausgewählten Vertretern verspricht, alles für die griechische Wirtschaft zu tun, protestieren draußen Zehntausende. Wer jedoch von den Organisatoren des Kongresses für die Demonstration einen schwarzen Mob, der die Stadt in Brand setzt, erwartet hat, muss enttäuscht die Heimreise antreten. In dem etwa 2000 Teilnehmer zählenden, mit schwarz-roten Fahnen umringten Block laufen Antifas neben Rentnern, Kindern und Arbeitern. Zuvor hatten sich die Organisatoren von einer Strategie der blinden Militanz abgegrenzt. »Wir sind ein Teil der Gesellschaft und nicht gegen die Gesellschaft. Wir wollen unsere Ideen offen in die Gesellschaft tragen, damit die Krise nicht in Straßenhooliganismus und sozialer Barbarei endet, wie wir sie bei den Ausschreitungen in Athen letzten Mai gesehen haben«, fassen Danis und Panagiotis von der »Antiautoritären Bewegung Thessaloniki« ihr Selbstverständnis zusammen. Es bringt auch die Erfahrung dieses Festivals auf den Punkt.