Über Hungerlöhne in der Weiterbildungsbranche

Für eine Handvoll Euro

Die Gewerkschaften fordern für die Weiterbildungsbranche recht kümmerliche Mindestlöhne. Doch selbst diese lehnt das Bundesarbeitsministerium ab.

Wie man auch rechnet, man kommt nicht dahinter: Setzt man für einen durchschnittlichen Monat 160 Arbeitsstunden voraus und einen Bruttostundenlohn von 12,28 Euro (Westdeutschland) und 10,93 Euro (Ostdeutschland), erhält man als Ergebnis ein Bruttogehalt von 1 964,80 Euro (West) und 1 748,80 Euro (Ost). Keinesfalls kommt man auf knapp über 2 000 Euro beziehungsweise 1 800 Euro, wie die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in einer Pressemitteilung von Anfang Oktober behauptete.
In der Mitteilung wird kritisiert, dass das Bundesarbeitsministerium den Vorschlag von GEW, Verdi und dem Bundesverband der Träger der beruflichen Bildung (BBB) abgelehnt hat, 12,28 Euro im Westen und 10,93 Euro im Osten als Mindestlöhne in der Weiterbildungsbranche festzulegen. »Weiterbildner werden mit Almosen abgespeist«, stellt die GEW fest. »Mit dem ›Branchentarifvertrag Weiterbildung‹ wäre eine untere Haltelinie gegen Dumpinglöhne eingezogen worden«, wird Ilse Schaad, die Tarifexpertin der GEW, zu der Ablehnung der Bundesregierung zitiert, den 2009 vereinbarten Branchentarifvertrag für allgemeingültig zu erklären.

Doch hätte der Mindestlohn die Lage der Bildungsarbeiter tatsächlich verbessert? Für ihre Berechnungen gehen sowohl die GEW als auch Verdi davon aus, dass all die Lehrer, Dozenten oder sogenannten Trainer, die in der Weiterbildungsbranche arbeiten, acht Stunden am Tag arbeiten, also unterrichten. Doch wann sollen sie dann ­ihren Unterricht vorbereiten? Abends nach Schulschluss? Sonntagmorgens beim Frühstück? Und wann sollen sie korrigieren?
Tatsächlich gehen ernsthafte Pädagogen davon aus, dass jede gute Unterrichtstunde noch einmal den gleichen Zeitaufwand an Vor- und Nachbereitung erfordert. Aber die Zeiten qualitativ hochwertiger Bildungsangebote sind lange vorbei: Die Hartz-Gesetze der damaligen rot-grünen Regierung sorgten für eine schier unübersichtliche Fülle an Weiterbildungsangeboten privater Bildungsträger, deren beste Kunden die Bundesagentur für Arbeit oder das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) sind. Während letztgenanntes die sogenannten Integrationskurse finanziert und ein Mindesthonorar von 15 Euro für die Integrationslehrer anmahnt, verlangen GEW und Verdi bescheidene Stundenlöhne zwischen zehn und zwölf Euro für Arbeitskräfte, die ein Hochschulstudium absolviert haben.
Von 23 000 bis 25 000 Betroffenen ist die Rede. Sozialversichert sind nur wenige. Der Honorarvertrag hat sich längst durchgesetzt: Die Lehrer arbeiten faktisch scheinselbständig und reichen am Ende jedes Monats eine Honorarrechnung ein, die Wochen später bezahlt wird – meistens. Krankheit? Dringend benötigter Urlaub? Kranken- und Rentenversicherung? Das bleibt das Problem der Lehrkräfte.
Die größte Verantwortung für diese Entwicklung trägt die Bundesagentur für Arbeit, die ihre Kursaufträge an diejenigen Träger erteilt, die am billigsten sind und an den Dozenten sparen. Zehn oder zwölf Euro Stundenlohn wären ein Schnäppchen für den Bundesverband der Träger der beruflichen Bildung, also die Unternehmerseite, mit der die Gewerkschaften ohne Bedenken zusammenarbeiten.

»Mit Unverständnis und Verärgerung« hat der Bundesverband auf die Ablehnung des Tarifvorschlags durch das Bundesarbeitsministerium reagiert. Dieses gab an, es bestünde kein öffentliches Interesse. Aber möglicherweise hat man im Ministerium erkannt, dass die vorgeschlagenen Stundenlöhne Dozenten, die die derzeit noch üblichen 15 oder 16 Euro in der Stunde erhalten, dazu zwingen würden, ihr Einkommen mit ALG II aufzustocken.
Freilich würden sich manche Bildungsarbeiter selbst über die mageren Mindestlöhne freuen. Die GEW berichtet beispielsweise von Dozenten insbesondere im Osten, die für »Honorare von nicht einmal zehn Euro in der Stunde« arbeiteten. Nach Schulschluss gehen sie nicht nach Hause, sondern zum Jobcenter.