Die Atomkraftgegner von der CSU

Wenn das der Strauß wüsste

Nicht nur in der bayerischen Bevölkerung wächst der Unmut über den Betrieb von Atomkraftwerken. Selbst in der CSU gibt es mittlerweile Atomkraftgegner.

»Laufzeitverlängerung? Nicht mit uns!« Diesem Slogan können mittlerweile sogar CSU-Mitglieder einiges abgewinnen. Die Ratsfraktion der CSU in Landshut hat sich bereits im Juli mehrheitlich gegen eine Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke ausgesprochen. Zehn Kilometer von der niederbayerischen Bezirkshauptstadt entfernt befindet sich der antiquierte Meiler Isar I. Eigentlich sollte das 1979 ans Netz gegangene AKW bereits im kommenden Jahr abgeschaltet werden. Nach der Einigung zwischen der Bundesregierung und den Atomkonzernen vom September kann Isar I nun noch mindestens bis zum Jahr 2019 weiterlaufen.
Dem AKW wird in einem Dringlichkeitsantrag der CSU attestiert, nicht mehr den derzeitigen Sicherheitsanforderungen zu entsprechen. Der Reaktormantel biete beispielsweise keinen ausreichenden Schutz vor Flugzeugabstürzen und Terroranschlägen. Isar I liegt direkt in der Einflugschneise des Münchener Großflughafens. »Es tut nicht weh, wenn wir Isar I zusperren«, sagt deshalb die Landshuter CSU-Fraktionsvorsitzende Gabriele Goderbauer-Marchner. Der Landshuter Stadtrat hat sich mit deutlicher Mehrheit für den Antrag der CSU ausgesprochen, das AKW im kommenden Jahr abzuschalten. Selbst der mäch­tige CSU-Bezirkstagspräsident Manfred Hölzlein hat sich der Forderung angeschlossen.

Auch der Schweinfurter CSU-Fraktionsvorsitzende Stefan Funk bedauert die generelle Verlängerung der AKW-Laufzeiten. Das Atomkraftwerk Grafenrheinfeld liegt nur zehn Kilometer entfernt vom Stadtzentrum. Wirksame Maßnahmen sind im Katastrophenfall kaum möglich. »Das Kraftwerk ist viel zu nah an der Stadt«, konstatiert der ehemalige Katastrophenschützer Funk. Der Schweinfurter Stadtrat hat deshalb auch mit den Stimmen der CSU gegen eine Laufzeitverlängerung protestiert. Der CSU-Oberbürgermeister Sebastian Remele hofft sogar auf die nächste Bundestagswahl, denn mit einer neuen Regierung könne sich die Atompolitik wieder völlig ändern. »Da ist noch nicht aller Tage Abend«, sagt Remele. In Dachau, Regensburg und Straubing haben die Stadträte auf Initiative oder mit Unterstützung der CSU ähnliche Anträge wie in Schweinfurt und Landshut verabschiedet.
Nicht nur bayerische Kommunen sind zudem von der Politik der Bundesregierung enttäuscht, weil sich nun ihre Investitionen in erneuerbare Energien nicht mehr rechnen. Bundesweit befürchten die Stadtwerke Milliardenverluste aus ihren Ökostromprojekten. Nach Ansicht der Präsidentin des Deutschen Städtetags, Petra Roth (CDU), verbessert »eine Laufzeitverlängerung ohne Ausgleich ausschließlich die Wettbewerbsposition der großen Energieversorger«. Der Leiter der Darmstädter Energiebetriebe beziffert den Schaden für die kommunalen Versorger auf 4,5 Milliarden Euro. Die Stadtwerke in München und Passau fordern deshalb bereits einen finanziellen Ausgleich.

Trotzdem wiegelt der frühere bayerische Wirtschafts- und Finanzminister Erwin Huber ab. Die Landshuter CSU sei bereits seit langem gegen die AKW Isar I und Isar II. »Das regt bei uns in Niederbayern keinen auf«, behauptet der aus der Region stammende ehemalige CSU-Parteivorsitzende. Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer ist ähnlicher Ansicht. »Wenn das Kraftwerk – wie behauptet – nicht sicher wäre, müssten wir es ja sofort abschalten«, sagte er den Medien. Sofort abschalten – keine schlechte Idee, denn nach heutigen Standards dürfte der Betrieb von Isar I nicht genehmigt werden. Die dünnen Stahlbetonwände und der kleine Sicherheitsbehälter würden bei Störfällen zu einem schnellen Austritt von Radioaktivität führen. Daran ändern auch die 800 Millionen Euro nichts, die das Unternehmen Eon angeblich in die Nachrüstung des ältesten noch laufenden Reaktors in Deutschland investiert hat. Eon gehört zu den vier großen Atomkonzernen, denen die Bundesregierung mit den neuen Vereinbarungen ein Milliardengeschenk gemacht hat.
Für den Landshuter CSU-Stadtrat Rudolf Schnur geht es deshalb auch um grundsätzlichere Fragen. »Isar I muss nächstes Jahr vom Netz gehen, wenn man die Glaubwürdigkeit der Politik erhalten möchte«, ermahnt er seine eigenen Parteifreunde. »Man kann nicht einen Atomkonsens beschließen und nach zehn Jahren kommt man und sagt, wir ändern wieder alles.« Allerdings ist Rudolf Schnur auch davon überzeugt, dass die Atomlobby auf die Bundesregierung in Berlin »weit mehr Einfluss hat als ein paar Bürger oder Volksvertreter«. Der Appell der Landshuter CSU-Rebellen an Kanzlerin Angela Merkel, Umweltminister Norbert Röttgen und Ministerpräsident Horst Seehofer dürfte wirkungslos bleiben.
Nicht nur in der CSU, sondern auch in der Bevölkerung regt sich Unmut. Seit einigen Wochen gibt es jeden Montag Mahnwachen und Kund­gebungen vor Isar I. Der Protest ist sehr bürgerlich und wird von Privatpersonen organisiert. »Dieser Reaktor bedroht die ganze Umgebung«, sagt eine Frau auf der sogenannten Montagswache. Eine andere pflichtet bei: »Wir haben einfach Angst.« Die Organisatorin Mira Neumeier freut sich über die wachsende Zahl der Teilnehmer: »Beim ersten Mal waren es 19, beim zweiten Mal 49, und nun sind es wieder doppelt so viele.« Anfang Oktober, kurz vor der Neuwahl des Oberbürgermeisters, forderten bereits 1 500 Bürger­innen und Bürger auf einer Demonstration in Landshut, Isar I sofort abzuschalten.
Auch die grüne Landtagsfraktion protestierte während ihrer Herbstklausur in Landshut vor dem AKW. Der energiepolitische Sprecher der Grünen im Landtag, Ludwig Hartmann, sagte: »Es ist höchste Zeit, dass auch die CSU in München und Berlin zur Kenntnis nimmt, dass die Menschen vor Ort die Nase voll haben von der Atomenergie und ihren unkalkulierbaren Risiken.« Von den positiven Meinungsumfragen und den wachsenden Protesten euphorisiert, glaubten die Grünen sogar, ihr Kandidat Thomas Keyßner könne die Landshuter Kommunalwahl gewinnen und in das Rathaus der Stadt einziehen – als erster grüner Oberbürgermeister in Bayern. Doch Keyßner landete mit 26 Prozent wie schon in der Wahl 2004 lediglich auf Rang zwei. Der amtierende CSU-Oberbürgermeister Hans Rampf errang mit 61 Prozent einen unerwartet deutlichen Wahlsieg und triumphierte in den Medien: »Ganz offenkundig habe ich als Person die Wähler überzeugt, die Atomdiskussion um Isar I hat keine Rolle gespielt.«

Angesichts des derzeitigen Atomstreits und des Verlusts der absoluten Mehrheit bei den Landtagswahlen von 2008 bereits das Ende der Vorherrschaft der CSU in Bayern auszurufen, wäre sicherlich verfrüht. Aber die politische Lage wird sich nicht so schnell beruhigen. Mit einer kilometerlangen Menschenkette protestierten am vorvergangenen Wochenende in München 50 000 Menschen gegen die Atompolitik der Bundesregierung. Die Menschenkette verlief entlang zentraler Institutionen der Atompolitik in Bayern, von der CSU-Zentrale vorbei am Sitz des Energiekonzerns Eon über die bayerische Staatskanzlei bis zum Umweltministerium. Neben Anti-Atom-Ini­tiativen und Naturschutzverbänden organisierte eine große Koalition aus Grünen, SPD, der Linkspartei, Freien Wählern und ÖDP die größte bayerische Anti-Atom-Demonstration seit den Tagen von Wackersdorf. Dass sich auch einige CSU-Mitglieder unter die Demonstranten gemischt haben, ist nicht unwahrscheinlich.