Das bisschen Streik

»Überfallartige Streiks« titelte die Bild. Allerdings kam der Bahnstreik alles andere als überraschend. Schon Tage zuvor hatten die Gewerkschaften GDBA und Transnet angekündigt, dass am Dienstag gestreikt würde. Fleißig hatten die Mitarbeiter von Bild bereits am Montag Notfahrpläne für die Leserschaft erarbeitet und eine Krisenhotline für verzweifelte Berufspendler eingerichtet. Angesichts dieser emsigen Vorbereitung dürfte man auch im Springer-Verlag den Streik, der nach schlappen neun Stunden schon wieder beendet war, nicht wirklich als überfallartig empfunden haben. Aber »überfallartig« klingt zumindest ein bisschen nach Action, geradezu sexy im Vergleich zum Protest gegen Lohndumping und anderen drögen Begriffen aus der Welt der Tarifverhandlungen. Natürlich vergaß man bei Bild auch nicht, mit ein wenig Schadenfreude Richtung Stuttgart zu blicken, wo es Ausfälle im Fernverkehr gab. Da konnten die Stuttgart-21-Gegner mal sehen, wie strapaziös das Leben ist, wenn man es sich mit der Bahn verscherzt. Bei den Kollegen von der Welt gab man sich seriöser, sorgte sich um Fußballfans des FC Bayern München, die den Anpfiff gegen Werder Bremen verpassen könnten, und natürlich um die Volkswirtschaft, schließlich kamen »tausende Pendler wegen der Warnstreiks zu spät«. Doch schien man auch bei der Welt die Actionelemente in der deutschen Streikkultur zu vermissen, deswegen wurde aus dem Bahnstreik, der sich auf Nordrhein-Westfalen und Bayern konzen­trierte, ein »Chaostag auf Deutschlands Schienen«. Trotz kurzer Streikdauer und einer überschaubaren Zahl von teilnehmenden Eisenbahnern entdeckte man Bahngewerkschaften, die beeindruckend »die Muskeln spielen lassen«. Vielleicht war die Wortwahl auch einfach nur Frustkompensation. Da standen frierende Reporterteams auf Bahnsteigen, um für den Liveticker empörte Bahnkunden zu interviewen, und die Befragten sagten immer wieder: »Ach, im Vergleich zu Frankreich ist das nichts.«