»Hitler und die Deutschen«. Eine Ausstellung in Berlin

Er war doch auch nur ein Mensch

Die Berliner Ausstellung »Hitler und die Deutschen. Volksgemeinschaft und ­Gewalt« rückt den Führer in den Mittelpunkt und stellt jede Menge Hitler-­Nippes aus.

Der mit dem Schnurrbart, der große Reden schwang – wie hieß der denn noch gleich? Nee, der andere, nicht der von der Bundesbank, der nicht beim türkischen Gemüsehändler kaufen will. Adolf Hitlers Zukunftsentwurf vom 1 000jährigen Reich wurde schon 1945 schwer belacht – kein Wunder, der Traum von der deutschen Weltherrschaft lag in Trümmern. Aber niemand sollte über den – nach Jesus und Elvis Presley – drittprominentesten Untoten der Weltgeschichte allzu viele Witze reißen: Mag der Nationalsozialismus in seiner Herrschaftsform ad acta liegen – die Ideen von damals scheinen – gerade in Europa – nicht beerdigt.
Der Mann treibt nach wie vor sein Unwesen. Als Popstar sowieso. Es gilt mittlerweile auch als unerlässlich in der Biografie eines jeden deutschen Schauspielers, einmal den Hitler – oder wenigstens Goebbels, Blondi, Göring – gespielt zu haben. Dann kommt auch schon An­dreas Baader.
Da schien es an der Zeit, diesen wirkmächtigen deutschen Politiker mit einer Einzelausstellung zu bedenken. So richtig – das Leben Hitlers auf der großen Stellwand – ist das nämlich bislang noch nicht versucht worden. Dabei lagern große Mengen Gerümpel und Kostbarkeiten rund um Hitler in den bayrischen Staatsarchiven und nicht zuletzt im Deutschen Historischen Museum in Berlin.
Und eben dieses Museum ehrt den Mann nun mit einer großen Einzelausstellung. Ja, und auch das Grundschulfoto von ihm ist dabei.
Darf man das? Muss man das? »Ja, aber …«, antwortet Berlin. Einfach so die Personality-Show mit Best-of, das sei zu heikel, denn: Nachahmungsgefahr! Faszination! »Hitler und die Deutschen. Volksgemeinschaft und Gewalt« ist daher die Schau überschrieben. Das klingt nicht nach Führerverkultung.
Wieso aber gibt es diese Ausstellung gerade jetzt? Ein rundes Jubiläumsdatum gibt es zurzeit nicht. Die Erklärung ist einfach: Die Archive sind rappelvoll. Und: Man muss die Leute halt immer aufklären, denn der Nationalsozialismus Hitlerscher Prägung ist weiter gefährlich. Denn Hitler mag zwar gestorben sein, aber besonders tot ist er nicht.
Auf diesen Umstand – andauernde Präsenz bei angeblicher Nichtanwesenheit – haben die Aussteller am ehesten reagiert. Wer reinkommt in die 1 000 Quadratmeter große Schau, gespickt mit 600 Exponaten, sieht dies: drei große historische Aufnahmen, die mit einer gerasterten 3D-Grafik abgedeckt sind. Je nachdem, wie man schaut, blickt der Führer zurück. Als junger Mann, als Nazi-Chef und als Totenkopf.
So, was gibt es noch? Nippes und ganz große Themen. Automodelle von damals, der Reichsparteitag als Modell zum Zusammenbasteln im Rabattangebot. Uniformen, Schlagstöcke, Ölbilder, handgewebte Teppiche voller Hakenkreuze. Große Erklärungen sind bei der aktuellen Museumspädagogik nicht mehr so angesagt. »Die liest doch kein Mensch«, beschreibt Museumsdirektor Hans Ottomeyer die heutigen didaktischen Schwierigkeiten.
Der Historiker sei in erster Linie ein Bücherwurm und Aktenfreak, erklärt Ausstellungskurator Hans-Ulrich Thamer. »Iconic turn« werde das genannt, was die Geschichtsforschung anhand solcher Großprojekte durchmache. Bedeutet: Wissen geht 3D. Der haptische Charakter des echten Objekts sei dabei nicht zu unterschätzen.
In diesem Sinne ist der Besuch der Ausstellung wie ein Kurzaufenthalt in der Realität der dreißiger und vierziger Jahre des vorigen Jahrhunderts. »Hitler und die Deutschen« will mit der Vergangenheit in die Gegenwart strahlen, dem Publikum zeigen, wie so eine radikale Nützlichkeits- und Ausgrenzungslogik in der Politik einmal aussah, denn damit ist sie erschreckend aktuell.
Was hat bloß dazu geführt, dass er, der Führer, an die Macht kam? Die Erklärungsversuche füllen so viele Bücher, Filme und Sonntagsreden, dass man es bisher immer noch nicht letztgül­tig herausgefunden hat. Derzeitiger Stand der Forschung: Es gab mehrere Gründe. »Alle gesellschaftlichen Gruppen haben mitgewirkt an der Vernichtungspolitik des Dritten Reiches«, ist sich Thamer sicher.
Dazu die chaotische Situation in der Weimarer Republik, die ja eine Demokratie war, und so etwas haben wir heute ja wieder. Ist die also nicht brandgefährlich, die Demokratie?
Konsequenterweise ist die Hitler-Show keine Ausstellung zur Person Hitlers allein. Der Großteil des 1 000-Quadratmeter-Reiches ist: Gewaltherrschaft, Zwangsarbeit, KZ-Aufenthalt, Mord.
Besonders gut geraten: Ein dem Laufpublikum zugewandtes Transparent, das von der Decke hängt und die Hinter- und Beweggründe des Hitler-Attentäters Georg Elser erklärt. Auf der Rückseite gibt es dann ein paar Infos zu den Akteuren des 20. Juli.
Mit den Nachwirkungen und der weltweiten Popularität Hitlers möchte man sich auch aus­einandersetzen. Wie standen die Deutschen, die ihm zugejubelt hatten, nach 1945 zu ihm? Einerseits konnten sie ihm die Schuld in die Schuhe schieben. Andererseits hervorragend Zeitungen verkaufen. Sage und schreibe 46 Spiegel-Titel haben die Aussteller nebeneinander gehängt, auf denen Hitler Titelthema ist. Das zeugt von einem gewissen Humor.
Dass der Mann untot ist, beweisen auch die Parodien, die man interaktiv per Youtube-Video abspielen kann. Helge Schneider als Hitler, Harald Schmidt als Hitler und so weiter. Ein Wunder, dass man im Museumsshop noch keinen Hitler-Nippes kaufen kann?
Der Führer kriegt seine Personality-Show zu einem schrägen Zeitpunkt. Eugenik, Biologismus und die Exklusion anderer – die Hauptzutaten nationalsozialistischer Politik – feiern fröhliche Urstände. Der Volkszorn in Deutschland artikuliert sich nicht gegen die Auflösung der solidarischen Krankenversicherung, sondern gegen Bevölkerungsgruppen. Die Finanzkrisen jagen über den Globus, in ganz Europa ist der Rechts­populismus auf dem Vormarsch. Die Politik ist unübersichtlich, Angst vor wirtschaftlichen und sonstigen Veränderungen grassiert und wird von oben und von der Seite ordentlich geschürt. Vermeintliche Unübersichtlichkeit, davon erzählt die Berliner Ausstellung, lässt den Wunsch breiter Bevölkerungsteile nach geraden Linien und Erklärungsmustern wachsen.
Ja, die Leute von der Deutschen Historischen Deutungsanstalt haben recht: Es gibt nicht die eine Erklärung, den einen Faktor. Man kann sich aber angesichts der ausgestellten Utensilien und Vorgänge immer besser vorstellen, wie die vielen Gründe gut miteinander zusammenarbeiten.

»Hitler und die Deutschen. Volksgemeinschaft und ­Gewalt.« Bis zum 6. Februar 2011 im Deutschen Historischen Museum Berlin