Michael Bauer im Gespräch über Laizisten in der SPD und das Verhältnis von Staat und Kirche

»Genossin Nahles will uns ausbremsen«

Vor zwei Wochen hat sich in Berlin ein »Arbeitskreis Laizistinnen und Laizisten in der SPD« konstituiert. 50 Sozialdemokraten, darunter Ingrid Matthäus-Maier und Rolf Schwanitz, der ehemalige Staatsminister im Kanzleramt, beschlossen zehn Forderungen für eine konsequente Trennung von Staat und Kirche. Einer der in Berlin gewählten Sprecher der Gruppe ist Michael Bauer aus Nürnberg. Er ist seit 1993 SPD-Mitglied und seit 2000 Geschäftsführer des Humanistischen Verbands Nürnberg.
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Was war der Auslöser für die Gründung des laizistischen Arbeitskreises?
Anlass war, dass immer deutlicher geworden ist, wie stark der Einfluss der kirchlich orientierten Spitzengenossen in der SPD ist. In erster Linie sind da der Vizepräsident des Bundestages, Wolfgang Thierse, und die Bundestagsabgeordnete Kerstin Griese zu nennen. Thierse ist Mitglied des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken. Frau Griese ist hauptamtlicher Vorstand des Diakonischen Werks. Es gibt in der SPD Arbeitskreise von Christinnen und Christen, von jüdischen Mitgliedern, vielleicht wird es irgendwann auch mal einen für Muslime geben, und da hat sich eine Gruppe von Sozialdemokraten gesagt: Alles schön und gut, aber die Interessen der nichtreligiösen, der konfessionsfreien Menschen in der Partei müssen auch Gehör finden.
Was ist das wichtigste Anliegen Ihres Arbeitskreises?
Dass die nichtreligiösen Menschen gleichberechtigt werden innerhalb der parteilichen Meinungsbildung. Wir fordern die Trennung von Staat und Kirche mit dem Ziel, dass endlich über eine Neuformulierung des Verhältnisses zwischen dem Staat und den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften diskutiert wird.
Sie fordern unter anderem die Streichung sämtlicher kirchlicher Privilegien.
Es geht nicht einfach nur darum, Privilegien zu streichen. Es geht um eine grundsätzliche Reform. Zu unserem Ansatz der Trennung von Staat und Kirche gehören zwei Grundforderungen. Zum einen fordern wir, bei bestimmten Themen eine negative Gleichbehandlung von allen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. Denn angesichts bestimmter Kirchenprivilegien, die sich über die Jahrhunderte aufgebaut haben, kann man sich nur an den Kopf fassen. Dazu gehört, dass deutsche Bischöfe nicht etwa von den Kirchen oder von Kirchensteuereinkünften bezahlt werden, sondern vom Steuerzahler aus dem Staatshaushalt. In Bayern werden sowohl der evangelische Landeskirchenrat mit dem Landes­bischof an seiner Spitze als auch sämtliche katholischen Bischöfe und außerdem Domdignitäre, -kapitulare, Pfarrhäuser und so weiter aus dem Staatshaushalt aus allgemeinen Steuermitteln ­finanziert. Was hat so eine Regelung im 21. Jahrhundert noch zu suchen?
Zum anderen fordern wir aber auch eine positive Gleichbehandlung. Zum Beispiel bei der Klinikseelsorge. Die Pfarrer, die in staatlichen Krankenhäusern wie Universitätskliniken arbeiten, werden zu einem erheblichen Teil aus Steuermitteln bezahlt. Dafür gibt es Planstellen in den Haushalten der Kliniken. Und das ist ja vielleicht auch gar nicht so schlecht, dass in Krankenhäusern, wo es viel Leid gibt, wo viele existentielle Fragen aufkommen, dass dort auch eine Unterstützung aus religiöser oder anderer weltanschaulicher Sicht stattfindet. Aber wenn man das sagt, dann muss man alle Weltanschauungen gleich behandeln. Dann kann es nicht sein, dass nur die evangelischen und katholischen Patienten in den Genuss einer solchen Subventionierung kommen, nicht aber die nichtreligiösen, die jüdischen oder muslimischen. Um genau solche Fragen will sich der Arbeitskreis kümmern und dazu sozialdemokratische Politikformulierungen anbieten.
In der SPD gibt es bereits heftigen Widerspruch. Sogar Ihre Homepage wurde gesperrt. Wie kam es dazu?
Die Homepage ist nur umgezogen und war deshalb vorübergehend nicht erreichbar. Aber es stimmt, dass die Generalsekretärin An­drea Nahles, die ja selbst ein Buch geschrieben hat über ihre katholische Frömmigkeit, uns untersagt hat, den Namen SPD zu verwenden, ebenso wie den Begriff »sozialdemokratisch«. Anscheinend versucht die Genossin Nahles über den Weg des Markenrechts Dinge auszubremsen, die ihr nicht gefallen. Das nehme ich mit einem gewissen Amüsement zur Kenntnis. Wir haben die Homepage darum umbenannt in »laizistische-sozis.de« und sind auf eine andere Domain umgezogen.
Wolfgang Thierse und andere haben sich sehr kritisch zu Wort gemeldet. Da hieß es auch, Ihre Forderungen seien ein Schritt zurück hinter das Parteiprogramm von Godesberg. Kerstin Griese bemängelte, Ihre Forderungen widersprächen in einigen Punkten dem Grundsatzprogramm der SPD. Was sagen Sie dazu?
Das beeindruckt mich nicht. Thierse und Griese sind Kirchenfunktionäre. Und es ist nicht erstaunlich, dass es einem Kirchenfunktionär nicht gefällt, wenn gefordert wird, dass überprüft werden muss, was die Kirchen seit 200 Jahren an Staatsleistungen erhalten.
Die eher nichtreligiöse Arbeiterbewegung, aus der die SPD historisch stamme, müsse sich den Kirchen eher zu- statt abwenden, argumentiert Thierse. Diesen Weg aufeinander zu dürfe man nicht in Frage stellen.
Darum geht es ja auch nicht. Wir wollen ja nicht die Kirchen abschaffen oder den Leuten ihren Glauben ausreden. Und wir sagen auch nicht, das habe alles keinen Platz in der SPD. Aber es kann ja wohl auch nicht sein, dass andersherum nichtreligiöse Menschen keinen Platz in der SPD haben sollen. Die SPD ist eine Volkspartei, die das gesamte Spektrum der Gesellschaft repräsentieren sollte. Und 40 Prozent der Menschen in Deutschland sind nun mal nicht religiös.
Aber 73 Prozent der SPD-Mitglieder bekennen sich zum Christentum.
Das Ergebnis dieser Umfrage bezweifle ich. Wenn man nach der Zustimmung zu konkreten christ­lichen Glaubensinhalten fragen würde, würden wohl eher nicht 73 Prozent »Ja« ankreuzen.
Sie meinen, die meisten von ihnen sind einfach nur Mitglied der Kirchen?
Das würde ich vermuten, ja. Wenn man sich den Osten anschaut, mag es größere Verzerrungen geben im Verhältnis zwischen SPD und Bevölkerung. Dort ist die SPD zu weiten Teilen sehr stark von der evangelischen Kirche geprägt. Und dann muss man sich dazu die Wahlergebnisse anschauen. Wenn in Thüringen oder Sachsen die SPD als dritt- oder fast schon viertstärkste Partei bei Landtagswahlen abschneidet, stellt sich die Frage, ob man die 80 bis 90 Prozent Konfessionsfreien in diesen Ländern mit dem jetzigen Kurs wirklich erreicht.
In Berlin, wo ebenfalls nur eine Minderheit christlichen Glaubens ist, hat Frank-Walter Steinmeier von der SPD noch 2009 das Bürgerbegehren »Pro Reli« für die Stärkung des konfessionellen Religionsunterrichts unterstützt.
Das kann ich mir auch nicht erklären, was ihn da umgetrieben hat.
Wie viele Unterstützer haben Sie inzwischen?
Das sind jetzt schon rund 500, vor allem über ­Internetforen, da sind auch diverse Mandatsträger dabei. Und es werden jeden Tag mehr.
Derzeit wird im Rahmen der Integrationsdebatte ständig über christlich-jüdische Werte geredet, auf denen unsere Gesellschaft basiere. Würden Sie dem widersprechen?
Nicht vollständig. Natürlich gibt es christlich-jüdische Werte, die in die Tradition unserer Kultur eingeflossen sind, das ist selbstverständlich. Es sind aber nicht die einzigen Werte, die unsere Gesellschaft ausmachen. Dazu gehören auch Werte aus Humanismus und Aufklärung, wie Selbstbestimmung und Toleranz. Abgesehen davon würde es mich interessieren, was genau solch ein »christlich-jüdischer Wert« sein soll. Wenn damit die Menschenwürde und die Menschenrechte gemeint sind, dann muss man darauf hinweisen, dass der Vatikan, als Repräsentant der katholischen Kirche, die entsprechende europäische Charta bis heute nicht anerkannt hat. Also offensichtlich handelt es sich bei diesen Werten zumindest nicht unbedingt um katholische Werte.
Christian Wulff hat seine Rede zum Tag der Deutschen Einheit mit den Worten »Gott schütze Deutschland« beendet. Man hat den Eindruck, dass die Konservativen ihren Verlust an politischen Inhalten mit einem wachsenden Bezug auf religiöse Werte kompensieren.
Den Eindruck kann man tatsächlich gewinnen. Es gibt solche Äußerungen ja plötzlich auch von der Bundeskanzlerin, die bis dahin gar nicht für so etwas bekannt war und die jetzt erklärt, sie sei besorgt über eine Säkularisierung, und dass man in Deutschland dem christlichen Menschenbild zu folgen habe. Das ist zum einen überaus arrogant gegenüber anderen Religionen und Weltanschauungen. Zum anderen ist das aber auch einer Repräsentantin eines Staatswesens der heutigen Form nicht angemessen. Deutschland hat keine Staatskirche, wir haben auch keinen Monarchen, der einer Kirche vorsteht, wie das in manchen skandinavischen Ländern noch der Fall ist. Wir sind eine demokratische Republik, und in so einer Republik – das ist eine ursozialdemokratische Vorstellung – zählt jeder Bürger und jede Bürgerin mit seinen oder ihren Vorstellungen gleich.
Für Ihre Forderungen fänden sich bestimmt auch Unterstützer in anderen Parteien. Gibt es Bemühungen um eine Vernetzung mit der FDP, den Grünen, der Linkspartei?
Wir diskutieren das. Bei der FDP, bei den Grünen und den »Linken« gibt es sogar schon Parteitagsbeschlüsse, die nahezu identisch oder jedenfalls kompatibel sind mit weiten Teilen unserer Forderungen. Ich gehe davon aus, dass wir uns in ­irgendeiner Form mit Menschen aus anderen Parteien unterhalten und vielleicht sogar einen gemeinsamen Forderungskatalog formulieren werden. Ich persönlich würde das begrüßen.
Sie selbst sind Geschäftsführer des Humanistischen Verbandes in Nürnberg. Inwiefern steckt der Verband hinter der Gründung des SPD-­Arbeitskreises?
Überhaupt nicht. Initiiert worden ist der Arbeitskreis von einer Gruppe aus Baden-Württemberg über ein parteiinternes SPD-Forum im Internet. Da gab es so großen Zuspruch, dass der Arbeitskreis auch in der „wirklichen Welt“ gegründet wurde. Der Humanistische Verband hat damit nichts zu tun, er ist überparteilich. Wir haben das natürlich bemerkt und haben unseren Mitgliedern gesagt, wer in der SPD ist, könne sich ja überlegen, ob er da mitmachen wolle. Mehr nicht, und der Humanistische Verband dominiert den Arbeitskreis auch nicht.
Was tun Sie, wenn der Parteivorstand die Gründung des Arbeitskreises als SPD-Gliederung ablehnt?
Das würde ich bedauern. Da würde mich die Begründung dann sehr interessieren. Damit wäre die Sache aber nicht aus der Welt. Es gibt ja noch andere Gremien und Verbände in der Partei, etwa Landesverbände, wo man dann weitermachen könnte. Wir werden den Diskussionszusammenhang auf jeden Fall erhalten und unsere Ideen in die Partei tragen. Ich habe den Eindruck, Sigmar Gabriel war nicht gut beraten, unsere Bestrebungen in dieser barschen Form, in der er es getan hat, abzulehnen. Unsere Ansichten gehören zur Identität der SPD, die SPD ist keine klerikale Partei, und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass es eine Mehrheit gibt, die das wollen würde.