Das alte Mädchen und die Problemkinder

Von der Schwierigkeit, vornehm zu sein

Angela Merkel, das alte Mädchen, muss sich mit den Problemkindern der Familie herumschlagen: dem schlechten Schnösel Guido, einem Deppen, der gern ein Schnösel wäre, und dem Wadelbeißer-Dackel Horst. Doch einen gibt es, der beherrscht die Kunst der Politik, auf die richtige Art etwas Besseres zu sein. Ein neues Kapitel der Deutschland-Saga.

Jessas, was ist jetzt wieder mit denen los? Dauernd schimpfen sie nur über ihre Nachbarn: Lauter Ausländer, die nix lernen wollen und von denen sie ausgegrenzt werden, mit Kopftüchern laufen die rum, da traut man sich ja abends gar nicht mehr auf die Straße. Aber das macht nichts, man sieht ja auch im Fernsehen, wie es ist auf der Welt. Heutigentags.
Und außerdem muss die Familie schauen, wo sie bleibt. Das ist auch nicht immer leicht, so wie es da zugeht, das sage ich Ihnen. Da will der eine das und der andere dies und die dritte wieder was ganz anderes. Ich glaub’, die schimpfen bloß auf die Nachbarn, weil sie selber so viel Ärger miteinander haben.

Der Guido, zum Beispiel. Der passt doch einfach gar nicht richtig in die Familie. Ich meine, nicht wegen dem, Sie wissen schon. Sondern weil er es halt so mit dem Geld hat, immer mit seiner Wirtschaft. Schauen Sie sich den Filialleiter von unserer Raiffeisenbank an. Wenn da ein Volksfest ist, da redet der doch auch nicht von Zinsen und Gewinnmargen. Da hat er ein volkstümliches Gewand an, und da trinkt er ein Bier. Da ist er eben kein Schnösel mehr. Aber der Guido? Der ist immer ein Schnösel, der kann nicht einmal aufhören, ein Schnösel zu sein, wenn er um die Welt reist. In China: Schnösel. In Indien: Schnösel. In Amerika: Schnösel. Am schlimmsten aber ist es, wenn einer auch mitten beim Volksfest noch ein Schnösel bleibt.
Dagegen der zu Guttenberg. Gutti, wie wir sagen. Das ist auch ein Schnösel. Das ist vielleicht ein größerer Schnösel als der Guido. Aber was für einer! Der kann es halt. Weil Schnösel muss man können. Ein guter Schnösel ist einer, der seine ganze Umgebung verschnöselt, so dass man es fast gar nicht merkt. Nicht so: Hier ich, und ihr da! Sondern: Wir alle Schnösel! Vereinte Schnösel! Immobilienblase? Finanzkrise? Hartz IV? Afghanistan? Wird fachgerecht verschnöselt. Eben auf nette Art, wie im Fernsehen. Da macht es nichts, wenn du ein Bier trinkst. Und das Gewand passt natürlich immer zu einem Adeligen, weil der muss ja nichts, der kann alles. Und hat immer das richtige Gesicht zum Ernst der Lage. Natürlich mit der richtigen Schnöselfrau. Schauen Sie, die jagt jetzt in der Bild-Zeitung und im Fernsehen Kinderpornos. Haben Sie da was dagegen? Sind Sie vielleicht für Kinderpornos? Und so einen Rechtsstaatsscheiß? Also, dann brauchen wir gar nicht weiterreden.
Früher haben die Adelsfrauen für die Kirche gespendet oder junge Künstler gefördert. Oder eine Fuchsjagd veranstaltet, das war aber gegen den Tierschutz. Jetzt jagen die Adelsfrauen Kinderpornos, das ist auch gut und macht doch mehr Spaß. Ich meine, Spaß ist jetzt ein falsches Wort. Aber Sie verstehen schon, wir sind halt beieinander und wissen, gegen wen wir sind, und müssen nicht immer nur gegen die Ausländer, weil: Das sind ja vielleicht auch bloß Menschen. So wie Füchse halt. Aber wenn da ein Pädophiler, so heißt das, ein Pädophiler bei Aldi an der Kasse … Das müssen wir uns nicht gefallen lassen, dazu haben wir die Stephanie zu Guttenberg im Fernsehen. Und das Buch hab’ ich auch schon. Gleich mit dem Sarrazin gekauft. Vielleicht lese ich das im Urlaub.

Also: Der Gutti ist ein Guter, auch wenn er ein Schnösel ist. Nein, gerade weil er ein Schnösel ist, ein guter Schnösel. Ein schlechter Schnösel ist einer, der so für sich selber dahinschnöselt. Ein guter Schnösel aber sagt: »Schau her, so leicht wird man ein Schnösel!« Solche Schnösel sind unheimlich sympathisch, und sie haben eine Power und eine Powerfrau. Der Gutti, das ist ein Schnösel, den man gern in der Familie hätte. Der sagt nix Falsches und hat keine falschen Freunde. Braucht er ja auch nicht, da in seinen Schlössern.
Ich sage Ihnen, das ist so schwierig geworden, mit dem Vornehmsein. Oder bloß anständig reden! Das anständige Reden, das hat die Angela ihrer Familie nicht beibringen können. Ums Verrecken nicht. Also bei uns, da hätte man uns Kindern das Maul mit Seife ausgewaschen. Aber jetzt wollen sie alle volkstümlich sein. Die größten Schnösel wollen am meisten volkstümlich sein. Da lache ich ja. Und die größten Deppen wollen Schnösel sein. Da lache ich erst recht.
Und da denke ich jetzt an den Markus Söder. Der wäre auch gern ein Schnösel. Aber der ist einfach zu blöd dazu. Weil ein Schnösel, der muss ja immer irgendwas wissen, was die anderen nicht wissen. Oder so tun. Der hat immer so ein paar Worte parat, so »systemrelevant« oder »demographischer Wandel«. Und schauen tut der gute Schnösel, als täte er dir richtig zuhören, wüsste aber schon, was du sagen willst. Aber der Söder, der weiß noch nicht einmal das, was alle anderen wissen. Und darum ist er natürlich dauernd beleidigt. So wird das nie was mit dem Schnösel. Schnösel, wie gesagt, muss man können. Schimpfen auch. Schauen Sie doch den Horst an. Wenn der auf die Ausländer schimpft, das hört sich doch an wie ein Dackel, der dem Kind vom Postboten in den Wadel beisst, weil er sich beim Postboten nicht traut. Bloß freuen, wenn Frauchen sich ärgert, das tun sie gern, die Wadelbeißer-Dackel.
Aber ehrlich, der Horst kann einem ja auch leid tun. Der wäre gern so, wie einmal ein anderer gewesen ist. Aber das ist so, wie wenn ein Taschendieb sich gleich Al Capone nennen wollte. Und der Horst, der will auf gar keinen Fall ein Schnösel sein. Und das ist auch falsch. Weil: Was willst du ohne Schnöseligkeit in einer Schnöselwelt? Ganz ohne Schnöseligkeit kommst du heutzutage höchstens ins Reality-Fernsehen.

Der Stoiber war vielleicht ein Depp, aber er war ein besserer Schnösel. Der Horst sieht aus, als würde ihm der Anzug nicht passen, aber eine Lederhose auch nicht. Und dieses Grinsen dauernd! Das schaut ja aus, als hätte er sich einmal eine Riesenwatschen eingefangen, und dann ist es ihm stehengeblieben, das Grinsen.
Ach ja, das alte Mädchen, das muss sich schon mit ein paar Problemkindern herumschlagen. Aber sie kommt ja aus einer Pfarrerfamilie, protestantisch und alles, und sie ist eine Wissenschaftlerin gewesen. Irgendwas mit Atomen oder Maschinen. Deswegen ist sie ja auch gegen diese Präimpdingsda, wegen der Gene und der Zellen und so. Designer-Babies! Also, der Gutti, das könnte ich mir schon vorstellen, dass das ein Designer-Baby war. Aber die anderen? Ich will ja nichts sagen. Jetzt hat man zum Beispiel gedacht, der Roland hätte eine gute Anstellung in der Wirtschaft und könnte die Familie in Ruhe lassen. Aber nichts. Nachher wird der noch Bundeskanzler. Und dann schaut der auch im Ausland so.
Das alte Mädchen hat die Zügel gar nicht mehr so fest in der Hand, denkt man. Aber das täuscht. Sie weiß ja, wie die Buben sind. Wenn sie sie ein bisschen spielen lässt, hauen sie sich gegenseitig, und wenn es dann richtig weh tut, kommen sie zurück. Und dann ist das alte Mädchen da, mit ihren Schwestern.
Die Ursula. Ich weiß, ich weiß, die hat so ein bisschen eine unangenehme Stimme. So wie die, die immer die Namen von den Schwätzern aufgeschrieben hat, wenn der Lehrer aus dem Klassenzimmer gehen hat müssen. Aber man muss sie ja nicht mögen, mein Gott. Hauptsache, es ist eine Ordnung.
Also der Horst, das ist wirklich so ein Problemkind. Dauernd sucht er Streit, dauernd wiegelt er die Leute auf. Und dann steht er da. Weil man kann doch nicht der Kasperl und ein Musterknabe gleichzeitig sein, oder? »Rechts von uns darf es keine Arschlöcher geben«, sagt er, der Horst. »Ja, gut«, sagt die Familie. »Dann machst halt du das rechte Arschloch.« (Da hören Sie, was ich meine. Ich hätte doch früher nicht dauernd »Arschloch« gesagt. Und schon gar nicht zu einem wie dem Horst. Also, das ist eine Verrohung, gerade in der Sprache. Ich meine: Wo kommt denn das her? Das wird man doch noch mal fragen dürfen!)
Gutti dagegen, das ist ein Kind nach Muttis Geschmack. Der kommt aus der Oberstadt. Die ganze Familie hat was davon. Es ist nämlich so: Eine richtige gute Familie in der Politik, das ist eine bessere Familie. Es ist nicht mehr so wie früher in der Demokratie. Da war die große Familie in Regierung und Parlament so was wie wir selbst, nur eben politisch. Also tüchtig und gewählt und mit Englisch-Kenntnissen und Krawatten und so. Aber so ist das nicht mehr.
Der Gazprom-Gerd und der Turnschuh-Fischer, der Onkel Bräsig – und wie hieß der noch einmal, der mit seiner Gräfin im Schwimmbad? Das waren Leute, die sind von unten gekommen, und dann haben sie einen Mordsspaß gehabt mit den feinen Anzügen und den Düsenflugzeugen und Kaviar zum Frühstück und alles, aber so ist das heute nicht mehr. Die waren so stolz darauf, wie sie nach oben gekommen sind, dass sie uns da unten wie das Letzte behandelt haben. Und wie ihnen das Spaß gemacht hat, das Regieren und das Verantworten. Die Angela, die hat keinen Spaß beim Regieren, das darf die gar nicht, schon wegen ihrer Religion. Der Roland, der lässt wahrscheinlich einen Kaviar nicht stehen, aber der hat es auch nicht nötig, den täten sie überall nehmen, wo es um ein Geld geht. Den Gutti sowieso.

Wir brauchen feinere Leute, weil: Wir sind uns selber nicht mehr fein genug. Manchmal wundere ich mich über mich selber. Meine Mutter hätte mich schön verhauen, wenn ich so geredet hätte, wie heute alle reden. Und wie wir immer so herumlaufen! (Also, ich bin ja gegen Kopftücher, wegen der Demokratie und dem Christentum. Obwohl meine Oma, die ist ja nie ohne Kopftuch aus dem Haus gegangen. Manchmal beneide ich die Türken richtig, ehrlich wahr, weil es ist zwar das falsche, aber die können wenigstens noch wissen, was sich gehört.)
Also, das mit dem Volk, das regiert, das ist ein Schmarrn. Aber das darf man natürlich nicht laut sagen. Deswegen sage ich es so: Politiker müssen was Besseres sein. Irgendwie. Und genau das ist die Kunst in der Politik: Auf die richtige Art was Besseres sein. Ich weiß gar nicht, ob man so was lernen kann, wenn man nicht protestantisch ist wie die Angela oder ein Designer-Baby wie der zu Guttenberg. Gutti, wie wir sagen.