Kritik an der deutschen Exportpolitik vor dem G20-Gipfel

Der Exportstreber stellt sich dumm

Vor dem G20-Gipfel, der nächste Woche in Seoul stattfindet, wächst die Kritik an Deutschlands Exportorientierung.

China hat weltweit den größten Leistungsbilanzüberschuss. Deutschland hat den größten Leistungsbilanzüberschuss je Einwohner. Der Überschuss beider Länder zusammen entspricht ungefähr dem gigantischen Defizit der USA. Es gibt aber auch einen Unterschied zwischen beiden Ländern: Als Schwellenland kann China für sich die Unterbewertung des Renminbi als Stra­tegie seiner aufholenden Entwicklung reklamieren. Deutschland als führendes Industrieland hat dieses Argument nicht.

Für die deutsche Regierung ist das Ungleichgewicht offenbar ein Ausdruck der natürlichen deutschen Überlegenheit. Sie entsteht nach Meinung von Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP), weil es Deutschlands Stärke sei, Produkte besser zu gestalten und damit die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Andere Länder, meinte Brüderle mit Blick auf die USA, könnten sich dagegen nur helfen, indem sie »beliebig viele Konjunkturpakete und Liquidität« in die Märkte pumpten. In Brüderles Metaphorik bleibt unerwähnt, dass es ohne das »Pumpen« des »Hinterbänklers« keinen »Klassenbesten« geben würde. Nur so konnte der deutsche Exportstreber in den vergangenen zehn Jahren Überschüsse im Wert von über 1,4 Billionen Euro anhäufen. Das führt bei den Handelspartnern zu weniger Wirtschaftsleistung und Arbeitsplätzen, dafür aber zu mehr Schulden. Die USA haben das erkannt. »Kein Land sollte davon ausgehen, dass es seinen Weg zum Wohlstand mit Exporten nach Amerika pflastern kann«, sagte Präsident Barack Obama bereits im Juni auf dem G20-Gipfel in Toronto.
Seitdem hat sich die Situation in den USA weiter verschlechtert, langsam beginnt die hohe Arbeitslosigkeit den Glauben an den American Dream zu untergraben. Deshalb wurde Timothy Geithner beim Treffen der Finanzminister, das den G20-Gipfel in Seoul vorbereitete, konkreter. Er schlug einen Automatismus vor, der von einer bestimmten Grenze an den Überschussländern verbindliche Maßnahmen zur Steigerung der Binnennachfrage abverlangt.

Doch die Bundesregierung stellt sich weiterhin taub und will sich die Fahrt mit der »Wachstumslokomotive Deutschland« durch das Wirtschaftswunderland nicht verderben lassen. Außerdem hat man die Eurozone nicht umsonst zum perfekten Brückenkopf für die deutsche Exportinvasion ausgebaut. Zum einen können sich die Euro-Südstaaten gegen das deutsche »Lohn- und Sozial­dumping« (Jean-Claude Juncker) nicht mehr durch Wechselkursanpassungen verteidigen. Zum anderen führen die Defizite dieser Länder dazu, dass die Handelsbilanz der Eurozone trotz der gewaltigen Überschüsse Deutschlands ausgeglichen ist. Der deutsche Exportjunkie hat sich damit hinter einem für seine Verhältnisse unterbewer­teten Euro verschanzt. Wie nützlich das ist, zeigt aktuell der verzweifelte Kampf der japanischen Zentralbank gegen den unaufhaltbaren Anstieg des Yen. Doch die amerikanische Regierung ist nicht unbedingt auf eine deutsche Kooperation angewiesen. Das gerade verkündete Ankaufprogramm für Anleihen durch die amerikanische Zentralbank ist geeignet, den Kurs des Dollars beliebig stark abzuwerten. Denn durch die sehr niedrigen Zinsen in den USA ist es attraktiv, dort Kredite in Dollar aufzunehmen, gegen andere Währungen einzutauschen und in anderen Ländern auf Shoppingtour zu gehen (sogenannte Carry Trades). Dabei lockt nicht nur der Zinsunterschied, sondern auch noch der Gewinn durch die zu erwartende Aufwertung der anderen Währungen. Im Ergebnis werden dadurch amerika­nische Waren auf dem Weltmarkt billiger und deutsche teurer.
Das ganze Taktieren hat weniger mit Markt- oder Planwirtschaft zu tun, sondern ist der reinen Machtpolitik der jeweiligen Regierung geschuldet. Anderslautende Äußerungen von Brüderle, der den USA den »Rückfall in planwirtschaftliches Denken« vorwarf, sind lediglich rhetorische Blendgranaten im Währungskrieg. Das amerikanische Spiel wird dabei jedoch lediglich durch die Gefahr des Verlustes des Dollars als Leitwährung begrenzt. Und Totgesagte leben bekanntlich länger.