Die »Steuerrevolution« von Wolfgang Schäuble

Deutsche Steueroasen

Die Pläne zur Neuordnung der kommunalen Finanzen durch das Bundesfinanzministerium sollen die Konkurrenz zwischen den Kommunen verschärfen. Die Lebensbedingungen in den verschiedenen Regionen der Republik könnten damit noch unterschiedlicher werden.

Wozu Think Tanks gut sein können, zeigte sich, als Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) seine neuen Steuerreformideen präsentierte. Während Schäuble seine Pläne zur Neuordnung des Einkommenssteuerrechts und der kommunalen Finanzen etwas technokratisch damit begründete, er wolle die Finanzierung der Kommunen »auf eine breitere Basis« stellen, blieb es dem unternehmensfreundlichen Kölner Institut der deutschen Wirtschaft (IW) vorbehalten, mit staatsmännischem Gestus höhere Werte in der De­batte geltend zu machen. Für den Steuerexperten des Instituts, Ralph Brügelmann, würde die geplante Reform zu »mehr Demokratie auf kommunaler Ebene« führen. Wegen der geplanten größeren Selbständigkeit der Kommunen bei der Erhebung der Einkommenssteuern müssten sich nämlich deren Regierungen zukünftig »dafür rechtfertigen, wenn sie wegen eines teuren Infrastrukturplans die Steuern erhöhen«, sagte Brügelmann.

Schäubles als so demokratisch geadelte »Steuerrevolution«, wie die Süddeutsche Zeitung die Pläne des Finanzministers nannte, dürften es allerdings schwer haben, in ihrer derzeitigen Gestalt vom Bundesrat gebilligt zu werden. Die geplante Neuordnung sieht vor, zukünftig die Finanzierung der seit Monaten stark angeschlagenen Kommunen auf »drei Bausteinen« aufzubauen. Der erste dieser Bausteine stellt bereits eine erste Niederlage für die Steuerkonzepte der schwarz-gelben Bundesregierung dar. Denn die von beiden Koalitionspartnern ins Auge gefasste Abschaffung der deutschen Besonderheit einer Gewerbesteuer, die derzeit die Haupteinnahmequelle der kommunalen Finanzen darstellt, ist vorerst gescheitert.
Nach Verhandlungen mit den Spitzenvertretern der Gemeinden wie Städtetagspräsidentin Petra Roth (CDU) oder deren Stellvertreter Christian Ude (SPD) ließ Schäuble seine Forderung nach einer Streichung der Gewerbesteuer fallen. Immerhin aber solle die Reform »einen Prozess in Gang setzen, der dieses nicht ausschließt«. Hier zeichnet sich schon der nächste Streit innerhalb der Koalition ab. Volker Wissung, finanzpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag, bezeichnete diesen Kompromiss wütend als »Einknicken«, in dessen Folge »die Betriebe weiterhin in ihrer Substanz belastet« würden. Aus Sicht der FDP ist die Abschaffung der Gewerbesteuer des mit Abstand gewichtigster Faktor der aktuellen Steuerreform.
Auch ein weiterer Baustein von Schäubles Plan stellt wenn auch keine Niederlage, so doch einen Kompromiss mit den kommunalen Verbänden dar. Denn auch bei den Ausgaben möchte Schäuble die Kommunen zukünftig entlasten. So könnte der Bund vor allem bei der Grundsicherung im Alter und für dauerhaft Erwerbsgeminderte einen Teil der Kosten von etwa 3,9 Milliarden Euro übernehmen, die derzeit fast vollständig von den Gemeinden getragen werden müssen. Auch hier könnte Schäuble aber noch die FDP in die Quere kommen. Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle wollte eine Zustimmung zu den Kostenübernahmen ausdrücklich mit der Bereitschaft des Städtetags verbunden wissen, die Gewerbesteuer möglichst bald abzuschaffen, was dieser jedoch vehement ablehnt.

Ungeachtet dieses Verhandlungserfolgs der Kommunen und ihrer Verbände ist der zentrale Aspekt der vorgeschlagenen Reform aber zweifellos der Plan, die Einkommenssteuersätze in einen fixierten Teil des Bundes und einen flexiblen, der von den Kommunen erhoben und genutzt werden kann, aufzuteilen. Nach den ersten bekannt gewordenen Konzepten könnte so der Höchststeuersatz von 42 auf 35,7 und der Eingangssteuersatz von 14 auf 11,9 Prozent gesenkt werden. Hinzu käme dann eine von den Kommunen je nach Finanzbedarf zu erhebende Steuer auf die Einkommen, die zwischen den Gemeinden erheblich variieren könnte. Diese Steuer würde die Zuwendungen des Bundes, derzeit 15 Prozent des Einkommenssteueraufkommens, ersetzen und nach dem Willen der Bundesregierung die Eigenverantwortung der Kommunen stärken. Man wolle diesen mehr »Freiheiten bei den Ausgaben gewähren«, sagte ein Sprecher des Finanzministeriums.
Man muss kein Prophet sein, um zu ahnen, was geschähe, wenn diese regionale Flexibilisierung des Einkommenssteuersatzes verwirklicht würde. Die zu erwartende »Steuerschlacht« (Spiegel) um die geringsten kommunalen Zusatzsteuern würde nicht nur die Betriebe und die Spitzenverdiener entlasten, sondern diesen auch das Erpressungsmittel der Abwanderung in die Hand geben. Denn bei der Wahl ihres Wohnortes sind sie wesentlich flexibler als die abhängig Beschäftigten. Kommunen, die diese finanzstarken Bürger anziehen, kämen in die Lage, den Steuersatz zusätzlich zu senken und so zu Steueroasen innerhalb des Standorts Deutschland zu mutieren. Über höhere Lebenshaltungskosten könnten sie sich unliebsame Bewohner ihrer Gemeinden vom Leibe halten und die Sozialausgaben entsprechend verringern. Auf der anderen Seite dürften, wenn das Konzept umgesetzt würde, in Großstädten und strukturschwachen Regionen vor allem im Osten Deutschlands die Steuern am höchsten sein.

Noch katastrophaler könnte sich aber die größere Autonomie bei den Ausgaben durch die Gemeinden auswirken. Nicht nur Einsparungen bei den Löhnen der kommunalen Angestellten wären hier zu erwarten, sondern auch erhebliche Einsparungen bei Kitas, Bibliotheken, öffentlichen Schwimmbädern, der Ausstattung von Schulen und anderen kommunal finanzierten Einrichtungen. Zusätzlich sollen die Kommunen nach dem Willen des Finanzministers auch noch die Entscheidungsgewalt darüber bekommen, ob sie als Mietzuschuss zum Arbeitslosengeld II die reale Miete übernehmen oder eine ortsübliche Pauschale an die Betroffenen überweisen wollen. Dass auch hier die Erwägung der Kostenvorteile für eine weitere Entrechtung der Bezieher von Hartz IV sorgen könnte, wollte nicht einmal der Sprecher des Finanzministeriums dementieren.
Sollten sich die Pläne durchsetzen, würde sich der Konkurrenzkampf der Kommunen, die bereits durch den variablen Hebesatz der Gewerbesteuer über ein Mittel verfügen, miteinander in Wettbewerb zu treten, nicht nur verschärfen, sondern langfristig zu einer Verringerung der Einnahmen führen. Zumeist schlägt sich das in einer Verringerung der durch den Staat zur Verfügung gestellten Leistungen nieder. Die regionalen Unterschiede, die schon derzeit mit Ausnahme Italiens die größte Varianz innerhalb der EU aufweisen, dürften sich bei einer Realisierung des von Schäuble präsentierten Modells weiter vergrößern. Der Angriff auf staatliche Leistungen tritt an die Seite der seit Jahrzehnten zu beobachtenden Verringerung der Löhne, die den Standort Deutschland an die Weltspitze gebracht hat. In den – voraussichtlich eher im Westen und Süden der Republik angesiedelten – Steueroasen dürfte man davon vermutlich nicht viel mitbekommen. So sieht die visionäre und »demokratische« Seite von Schäuble Vorschlags aus.