Regierungskrise in Italien

Krise in der Bunga-Bunga-Republik

Silvio Berlusconi taumelt von einer Sex­affäre in die nächste, und sein wichtigster Koalitionspartner fordert seinen Rücktritt. Angst vor vorgezogenen Neuwahlen scheint der italienische Premier dennoch nicht zu haben.

»Lest keine Zeitungen mehr!« riet Silvio Berlusconi den Italienern vergangene Woche, nachdem wieder einmal unappetitliche Details über sein Sexualleben an die Öffentlichkeit gekommen waren. Zweifellos ein weiser Rat, angesichts der Tatsache, dass die Geschichten über Sexpartys und minderjährige Frauen, die alte, mächtige Männer in den Villen des Premierministers gegen Bezahlung »erotisch unterhalten«, in den vergangenen Tagen die politische Berichterstattung beherrschten. Eine schäbige Reality-Show mit internationalen Stars wie dem libyschen Staatschef Muammar al-Gaddafi, in dessen Harem Berlusconi das erotische Schauspiel namens »Bunga-Bunga« kennengelernt haben soll.
Alles »medialer Müll«, meinte der italienische Premier, der sich darüber entsetzt zeigte, wie die italienischen Medien mit seinem Privatleben umgehen. Auch die Freilassung eines seiner Partygirls, einer jungen Night-Club-Tänzerin marokkanischer Abstammung – um die sich Berlusconi bemüht haben soll, als diese wegen Verdachts auf Diebstahl in Untersuchungshaft genommen wurde – betrachtet der italienische Premier als »Privatsache«. Ausschließlich aus »Gutmütigkeit« habe er gehandelt, als er vor einigen Monaten höchstpersönlich bei der Mailänder Polizei anrief und die Freilassung des damals noch minderjährigen Mädchens erwirkte, mit dem Hinweis, es sei die Enkelin des ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak.

Gegen diesen vermeintlichen Angriff auf seine Privatsphäre verteidigte sich der italienische Premier nur scheinbar mit Gelassenheit. Nämlich mit der Bemerkung, es besser sei, eine Leidenschaft für schöne Mädchen zu haben, als schwul zu sein. Dass sexistische und homophobe Witze bei seinem »Volk« gut ankommen, weiß der italienische Premier nur zu gut. Die Bemerkung war insofern eine Anbiederung an die rechtskatholische Wählerschaft und gleichzeitig ein Angriff auf die Opposition, insbesondere auf Nichi Vendola, den Vorsitzenden der Partei »Linke Ökologie und Freiheit«, der auch der erste offen schwule Politiker Italiens ist. Doch das Kalkül des Premiers ging offenbar nicht auf. Denn nun zeigte sich auch die katholische Kirche entsetzt über das Bild, das der Regierungschef mit seinem Lebensstil abgibt. Der Erzbischof von Mailand sprach von einer »Verrohung der Sitten«, die Wochenzeitschrift Famiglia Christiana kommentierte, Berlusconi sei mittlerweile »außer Kontrolle« und einfach krank. Und von der Konferenz über die »Werte und Zukunft der Familie« in Mailand wurde der Premier am Montag ausgeladen. Berlusconis Anwesenheit hätte die Teilnehmer »in Verlegenheit bringen können«, erklärte der Vorsitzende des Familien-Forums.
Nicht nur wichtige Teile des rechtskonservativen Milieus distanzieren sich deutlich von Berlusconi. Viel gefährlicher für sein politisches Überleben ist der Präsident der Abgeordnetenkammer und ehemalige Verbündete Gianfranco Fini. Dieser war bereits im Sommer aus der Partei des Premiers ausgeschlossen worden und hatte eine parlamentarische Gruppe namens »Zukunft und Freiheit für Italien« gegründet. Seitdem gilt Fini als der Einzige, der in der Lage wäre, Berlusconi zu Fall zu bringen. Die letzten Skandale nutzte Fini am Sonntag auf dem Gründungskongress seiner neuen Partei, um den Bruch mit Berlusconi zu besiegeln und dem Premierminister ein Ultimatum zu stellen: Er müsse zurücktreten, oder Fini werde seine eigenen Minister aus der Koalition abziehen. Damit ist die Regierungskrise offiziell geworden.

Berlusconi ließ bereits ausrichten, dass er an einen Rücktritt gar nicht denke. Fini möge ihn »dann bitte im Parlament per Misstrauensvotum« herausfordern. Ohne Fini, der über 40 der 630 Abgeordneten verfügt, hätte Berlusconi im Abgeordnetenhaus keine Mehrheit mehr.
Lieber Neuwahlen als Rücktritt, antwortet also der Premier. Woher kommt diese Selbstsicherheit in einer Zeit, in der nicht nur von Regierungskrise, sondern vom »Ende des Berlusconismus« die Rede ist? Berlusconi weiß, dass Finis Partei derzeit nicht stark genug ist, eine Infrastruktur aufzubauen, um für die riesige PR-Maschine der Regierungspartei eine ernsthafte Bedrohung darzustellen. Außerdem besteht für Fini ein Image-Problem. Sollte er der Regierung das Vertrauen entziehen, stände er als »Verräter« da, während sich Berlusconi weiter als Opfer von politischen Verschwörungen stilisieren könnte, was bei seiner Wählerschaft bekanntlich gut ankommt.