Die einseitige Ausrufung wäre gut für Israel

Viva Palästina!

Die einseitige Ausrufung eines palästinensischen Staats hätte einige Vorzüge – vor allem für Israel.

Im Sommer hatte der israelische Außenminister Avigdor Lieberman eine Idee, die so simpel wie brillant war: Der Gaza-Streifen, so schlug er vor, solle so bald wie möglich eine eigenständige politische Entität werden, die unter internationale Obhut gestellt wird. Konkret hieße das: Israel würde die Seeblockade des Gaza-Streifens aufheben; eine Kontrolle anlaufender Schiffe auf Waffen und andere Gefahrgüter würde dann beispielsweise von der (bekanntlich wenig zimperlichen) französischen Fremdenlegion übernommen. Zudem solle die Europäische Union eine Wasser­entsalzungsanlage, ein Klärwerk, ein Kraftwerk zur Stromerzeugung sowie neue Unterkünfte für die Bewohner in Gaza bauen und Maßnahmen zur Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Situation ergreifen. Israel wiederum würde seine Grenze zum Gaza-Streifen abriegeln und jegliche (Rest-)Verantwortung für den Landstrich endgültig abgeben.

Liebermans Anregung war eine Reaktion auf die ständige Kritik, die am israelischen Staat geübt wird, und sie war konsequent: Israel hat sich bereits vor fünf Jahren aus dem Gaza-Streifen zurückgezogen; dennoch – oder gerade deshalb – folgten ein Raketenhagel, die Entführung des Soldaten Gilad Schalit und fortgesetzte Vernichtungsdrohungen durch die Hamas. Trotzdem liefert Israel weiterhin Strom, Wasser und Hilfsgüter, obwohl es dazu, anders als zu Zeiten der Besatzung, nicht unbedingt verpflichtet ist. Um seine Bürger gleichzeitig vor dem Terror zu schützen, verschärfte es die Grenzkontrollen und blockierte den Seeweg nach Gaza. In Europa hält man das für eine völkerrechtswidrige Kollektivbestrafung – und schweigt sich zu den mörderischen Folgen des Rückzugs für Israel beredt aus.
Wenn aber die Europäer so gut zu wissen glauben, wie mit dem von der Hamas beherrschten Gaza-Streifen zu verfahren ist, dann sollen sie, so fand Lieberman, es doch einfach selbst richten. Sollen sie selbst mit der »demokratisch gewählten« Hamas-Regierung handeln und verhandeln. Sollen sie doch für die Infrastruktur sorgen. Sollen sie sich selbst mit »Free Gaza«-Konvois und anderen vorgeblich humanitären Missionen herumschlagen. Für die Mitglieder der Europäischen Union zöge das allerdings eine gravierende Veränderung nach sich: Sie hätten sich zwangsläufig von der lieb gewonnenen Gewohnheit zu verabschieden, Israel für alles Übel im Nahen Osten verantwortlich zu machen. Wohl nicht zuletzt deshalb wurde Liebermans Vorschlag dann auch wahlweise einfach ignoriert oder barsch zurückgewiesen.
Nun haben der Palästinenserpräsident Mah­moud Abbas und sein Premierminister Salam Fayyad für den Fall eines Scheiterns der Verhandlungen mit Israel angekündigt, im Sommer 2011 einseitig einen palästinensischen Staat auszurufen. Dazu wollen sie die Zustimmung des UN-Sicherheitsrats und der USA gewinnen. Der Staat soll »in den Grenzen von 1967« entstehen, also auch den Gaza-Streifen umfassen – was in erster Linie an der Hamas scheitern dürfte, die an einem solchen Projekt keinerlei Interesse hat, weil sie, anders als Israel, nicht eine Zweistaaten-, sondern eine Kein-Staat-Israel-Lösung anstrebt. Die Grenzkontrollen sollen – diesen Wunsch hatte Abbas bereits im Juli geäußert – von Nato-Truppen übernommen werden. Im Grunde genommen sind die Ideen von ihm und Fayyad ein Pendant zu Liebermans Vorschlägen, wenn man davon ausgeht, dass zumindest fürs Erste nur das Westjordanland zum Staatsgebiet gehört.

Ein von Israel gänzlich unabhängiger, unter internationale Obhut gestellter palästinensischer Staat könnte durchaus einen Fortschritt darstellen – zumal Israel in militärischer, politischer und ökonomischer Hinsicht wenigstens vorübergehend entlastet wäre. Darüber hinaus dürfte man überaus gespannt sein, ob die Palästinenser tatsächlich in der Lage sind, funktionierende staatliche Strukturen aufzubauen. In jedem Fall würden für sie in Hinblick auf das internationale Recht etwas schärfere Regeln gelten als bislang, was für Israel den Vorteil hätte, im Falle von Kriegsdrohungen und -handlungen ganz offiziell gegen einen Staat vorgehen zu können und nicht wie bisher paramilitärische Terroreinheiten bekämpfen zu müssen, die sich keinem Recht verpflichtet fühlen und die kaum jemand außerhalb des jüdischen Staates ernsthaft und mit allen Konsequenzen auf ein Recht verpflichtet.
Vor allem aber hätte der Plan von Abbas und Fayyad den Vorzug, dass das Ritual, Israel die Schuld an sämtlichen Entwicklungen in der Region zu geben, zwar gewiss nicht außer Kraft gesetzt, aber immerhin erschwert würde – wie bei Liebermans Plan auch. Den aber wies Mahmoud Abbas damals empört zurück.