Die Innenministerkonferenz in Hamburg

Kontrollieren und sanktionieren

Auf der Innenministerkonferenz in Hamburg wurde über eine Reform des Bleiberechts diskutiert. Wer sich nicht integrieren lassen will, soll in Zukunft dafür bestraft werden.

Zweimal im Jahr treffen sich die Innenminister der 16 Bundesländer, um sich zu beraten und gemeinsam Forderungen an den Bund zu stellen. Behandelt wird auf diesen Konferenzen eigentlich alles, was mit der »inneren Sicherheit« in Verbindung gebracht wird: Terrorismus, organisierte Kriminalität, politisch motivierte Gewalt oder auch Ausländerrecht und Migrationspolitik. Die beiden letztgenannten Themen werden ebenfalls vorrangig unter dem Aspekt der Sicherheit – der nationalen, nicht der der Flüchtlinge – debattiert.
Eigentlich sollte die zweite Innenministerkonferenz (IMK) dieses Jahres erst am Donnerstag voriger Woche in Hamburg beginnen. Wegen der jüngsten Warnungen von Geheimdiensten, dass noch im November ein Anschlag islamistischer Terroristen in Deutschland stattfinden solle, trafen sich die Innenminister schon am Mittwochabend, um über dieses Thema zu diskutieren.
Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) hatte bereits vor den konkreten Terrorwarnungen innovative Vorschläge zur Abwehr islamistischer Anschläge parat. Nachdem Ende Oktober Paketbomben aus dem Jemen abgefangen worden waren, forderte er eine Verfassungsänderung, um den Abschuss von Frachtflugzeugen zu ermöglichen. In Hamburg präsentierte er ein »17-Punkte-Sofortprogramm«, mit dem er die »islamistische Gefahr« eindämmen will. Dazu gehörten unter anderem eine verstärkte Polizeipräsenz in »islamischen« Stadtvierteln, Handy- und Computerverbote für »gefährliche Islamisten« sowie ein Verbot des Aufenthalts in radikalen Moschee-Gemeinden oder »Problembezirken«, wie Schünemann vor der Innenministerkonferenz der Neuen Osnabrücker Zeitung sagte. Wie man »gefährliche Islamisten« erkennt, hatte wiederum kurz zuvor Berlins Innensenator Ehrhart Körting in der Abendschau des Fernsehsenders RBB erklärt: »Wenn in der Nachbarschaft drei etwas seltsam aussehende Menschen eingezogen sind, die sich nie blicken lassen und die nur Arabisch oder eine Fremdsprache sprechen, die wir nicht verstehen«, solle man besser die Behörden informieren, riet der SPD-Politiker. Mittlerweile räumte Körting ein, dass seine Äußerungen »möglicherweile unglücklich« gewesen seien.

Neben der »Terrorgefahr« war das Bleiberecht das zweite große Thema auf der Tagung. Dabei ging es erwartungsgemäß nicht darum, die Residenzpflicht für Flüchtlinge abzuschaffen, wie es derzeit in manchen Ländern diskutiert wird, oder um das Ende der Abschiebungen in das Kosovo, das Amnesty International vor Beginn der Konferenz gefordert hatte. Die IMK hat sich aber zu einer Reform der Bleiberechtsregelung von bislang nur geduldeten nicht-deutschen Jugendlichen durchgerungen. Nach Beschluss der IMK sollen Jugendliche ab 15 Jahren, die seit sechs Jahren in Deutschland die Schule besuchen, künftig ein eigenständiges Aufenthaltsrecht erhalten können, sofern sie nachweislich »gut integriert« sind. Nach Angaben des Flüchtlingsrates Niedersachsen würden aufgrund der Einschränkungen jedoch nur 5 000 der fast 88 000 geduldeten Flüchtlinge von der Neuregelung profitieren. Der Vorschlag Schünemanns, das Bleiberecht an gute Schulnoten oder ein Engagement in Vereinen zu koppeln, wurde dabei vorerst nicht aufgenommen. Jedoch ließen die Innenminister offen, nach welchen Kriterien die »gelungene« Integration festgestellt werden soll und was den Jugendlichen neben der Beherrschung der deutschen Sprache und Kenntnis der deutschen »Leitkultur« zukünftig abverlangt werden soll.
Die Eltern dieser jungen Flüchtlinge könnten in Zukunft ebenfalls ein Aufenthaltsrecht erhalten, sofern sie für den Lebensunterhalt der Familie sorgen und »ausreichende Integrationsleistungen« erbracht haben. Integration wurde somit nun auch offiziell als Bringschuld der Migranten bestimmt. Wer diese nicht nachweisen kann oder will, muss in Zukunft mit »negativen Sanktionen« rechnen, wie Hamburgs Innensenator Heino Vahldieck (CDU) betonte. Die Ideen reichen dabei vom Zwang zur Wiederholung eines Sprach- oder Integrationskurses über Bußgelder bis hin zur Überprüfung des Aufenthaltsstatus – das heißt die Ausweisung. Dafür soll auch der Datenaustausch zwischen Ausländerbehörden und den Kursanbietern und Sozialleistungsträgern verbessert werden, um so einen Überblick über die »Integrationsverweigerer« zu bekommen. »Dass Flüchtlinge erst ausgegrenzt und isoliert und dann als unnützlich bezeichnet und dafür bestraft werden sollen, ist zynisch und menschenverachtend«, hatte Newroz Duman, Sprecherin von »Jugendliche Ohne Grenzen«, bereits vor der Innenministerkonferenz kritisiert. Pro Asyl wies darauf hin, dass Alten, Kranken und Behinderten weiterhin die Abschiebung drohe. Die Diskussion habe gezeigt, dass es »nicht wirklich um eine humanitäre Regelung, sondern um Deutschlands nationale Interessen« gehe, so Pro Asyl in einer Stellungnahme. Der niedersächsische Innenminister Schünemann machte keinen Hehl daraus, dass humanitäre Gründe bei der Reform keine Rolle spielten: Durch die Neuregelung »gehen diese gut ausgebildeten und integrierten Jugendlichen für den deutschen Arbeitsmarkt nicht mehr verloren«, hieß es in einer Pressemitteilung.

Ein weiteres Thema war die Vorratsdatenspeicherung. Die IMK forderte den Bund auf, die automatische sechsmonatige Speicherung von Verbindungsdaten wieder einzuführen. Das Bundesverfassungsgericht hatte im März die Praxis für verfassungswidrig erklärt, nach Ansicht der Innenminister sei eine »Schutzlücke« entstanden. Die Vorstellung, dass Daten von Kriminellen und Terroristen inzwischen verloren gegangen seien, mache ihm »Angst«, sagte Innensenator Vahldieck, der früher Leiter des Hamburger Verfassungsschutzes war. Auch die Prostitution soll zukünftig strenger kontrolliert werden. Neben »Auswüchsen wie Flat-Rate-Clubs« seien in der Straßenprostitution »vermehrt osteuropäische Frauen vertreten«, die ihrer Arbeit »ohne Einhaltung von hygienischen Mindeststandards« nachgehen würden, wie in der Pressemitteilung der IMK zu lesen war.
Auf ihrer Tagung Ende Mai hatten die Innenminister eine »offene Ächtung der politisch links motivierten Gewalt durch alle Teile der Gesellschaft« gefordert und eine Arbeitsgruppe beauftragt, bis zur Herbstkonferenz einen Vorschlag zur Bekämpfung der »linken Gewalt« vorzulegen. Die Innenminister von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen hatten den Vorschlag gemacht, Parteien die staatlichen Zuschüsse zu streichen, wenn sie den »öffentlichen Frieden« gefährden. In ihrem Antrag wird zwar konkret die Verherrlichung des Nationalsozialismus angeführt, aber auch der Aufruf zur Gewalt soll darunter fallen. Eine fehlende Abgrenzung zu »linksextremistischen Gewalttätern« war in der Vergangenheit ein beliebter Vorwurf an die Linkspartei. Eine detaillierte Auflistung der Themen, die auf der Innenministerkonferenz besprochen wurden, wird erst im Laufe dieser Woche bekanntgegeben. Ob »linke Gewalt« auf der Tagesordnung stand, ist bisher noch nicht bekannt.
Ein anderes Thema hingegen schaffte es nicht ins Programm: 3 000 Menschen hatten sich in einer an die Innenminister gerichteten Online-Petition von Amnesty International für die Kennzeichnungspflicht von Polizisten ausgesprochen und gefordert, das Thema zusammen mit »rechtswidriger Polizeigewalt« auf die Tagesordnung zu setzen – ohne Erfolg. Stattdessen wurde, wie schon auf der Konferenz im Frühjahr, wieder über »Gewalt gegen Polizeibeamte« und die Ausweitung des Widerstandsparagraphen auf alle Diensttätigkeiten geredet. Bisher gilt er nur bei Zwangsmaßnahmen.

Die Konferenz der Innenminister wurde von vielfältigen Protesten und Aktionen begleitet. Bereits am Wochenende vor der Konferenz gab es zwei Demonstrationen in Hamburg. Am Samstagnachmittag forderten rund 1 000 Demons­tranten »Bewegungsfreiheit für alle«, abends gingen dann über 2 000 Menschen – mit einer »aggressiven Grundstimmung« (Polizei) – unter dem Motto »Hamburg unsicher machen – IMK versenken« auf die Straße. Im Aufruf wurde die Tagung als »zentrales Instrument kapitalistischer Herrschaftssicherung« kritisiert, die das Ziel habe, einen »autoritären Sicherheitsapparat« aufzubauen. Am Mittwoch voriger Woche, während in den Medien über den Vorschlag diskutiert wurde, das Bleiberecht von guten Schulnoten abhängig zu machen, verkündeten 1 500 Menschen, darunter viele Flüchtlinge und Migranten in der Hamburger Innenstadt: »I love Bleiberecht!«
Andere hatten bereits in den Wochen zuvor ihren Unmut über die Konferenz zum Ausdruck gebracht. Unbekannte zerstörten das Auto des Vorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei, Generalbundesanwältin Monika Harms wurde nachts von Feuerwerkskörpern in ihrem Garten geweckt und das Haus von Hamburgs Innensenators Heino Vahldieck (CDU) wurde mit Farbbeuteln beworfen. Vahldieck sagte, er könne den Sinn dahinter nicht erkennen: »Feige nächtliche Farbattacken auf ein Wohnhaus bringen uns keinen Schritt voran.« Das sehen die »autonomen Gruppen«, die sich zu den Attacken bekannt haben, wahrscheinlich anders.