Zum Desaster der Bayerischen Landesbank

Nur die Verluste verjähren nicht

Wer soll für das finanzielle Desaster der Bayerischen Landesbank zahlen? Der derzeitige Vorstand möchte auch Verantwortliche wie den ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten Günter Beckstein und den früheren Finanzminister Erwin Huber belangen. Ein Gesetz zur Abwicklung von Kreditinstituten könnte die CSU-Politiker jedoch von ihren Sorgen be­freien.
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Der ehemalige bayerische Ministerpräsident Günter Beckstein (CSU) erhielt kürzlich unerfreuliche Post von Gerd Häusler, dem derzeitigen Vorstandsvorsitzenden der Bayerischen Landesbank (Bayern LB). Häusler forderte Beckstein in einem Brief auf, auf die Inanspruchnahme der Verjährungsfrist zu verzichten, sollte der Politiker irgendwann wegen der Verluste der Landesbank haftbar gemacht werden.
Der Grund für den ungewöhnlichen Brief ist ein kürzlich von Attac im Internet veröffentlichtes, bisher größtenteils geheim gehaltenes Gutachten des bayerischen Landtags über die Schadensersatzpflichten der für das Debakel der Bayern LB (Jungle World 6/10) verantwortlichen Personen. Auf etwa 1 300 Seiten wird in dem Dokument detailliert dargestellt, wie der damalige Vorstand und der Verwaltungsrat der Bayern LB, dem auch Beckstein angehörte, den Kauf von Subprime-Krediten in den USA genehmigten, ohne die finanziellen Risiken auf der Grundlage von verlässlichen Informationen einzuschätzen. Das Ergebnis dieser Transaktionen ist bekannt: Der bayerische Staat musste seine Landesbank immer wieder mit großen Summen unterstützen, um ein finanzielles Desaster für das süddeutsche Bundesland zu verhindern.

Häuslers Aufforderung ist bislang einzigartig in der politischen und rechtlichen Aufarbeitung der Verlustgeschäfte der verschiedenen Landesbanken und privaten Institute. Sämtliche ehemalige Mitglieder des Verwaltungsrats sind von Häuslers Vorgehen betroffen. Neben Beckstein werden auch der frühere bayerische Finanzminister Erwin Huber (CSU), der CSU-Landtagsfraktionsvorsitzende Georg Schmid und der Sparkassenpräsident Siegfried Naser (CSU) aufgefordert, die Verjährungsfrist nicht in Anspruch zu nehmen. Darüber hinaus erhielten auch der Landrat von Dachau, Hansjörg Christmann (CSU), und der Oberbürgermeister von Regensburg und Städtetagspräsident Hans Schaidinger (CSU) das Schreiben von Häusler.
Einer der Hauptvorwürfe in dem von Attac öffentlich gemachten Gutachten lautet, dass der Verwaltungsrat seine Genehmigung zum Kauf der Subprime-Kredite ohne ausreichende Informationen erteilt habe. Das Verhalten der Verwaltungsratsmitglieder sei grob fahrlässig gewesen. Der damalige Vorstand habe auch die in der Satzung festgelegten Befugnisse der Landesbank überschritten. Es bestehe eine sehr große Wahrscheinlichkeit, dass sowohl der Vorstand als auch der Verwaltungsrat bei einem möglichen Gerichtsverfahren zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt würden. Der Schaden, den die Pflichtverletzung des Vorstands und des ehemaligen Verwaltungsrats verursacht hat, liegt dem Gutachten zufolge derzeit bei 215 Millionen Euro, könnte sich in der Zukunft aber noch vergrößern.
Es könnten also hohe Forderungen auf Beckstein, Huber und ihre ehemaligen Kollegen aus dem Verwaltungsrat zukommen. Für die Verantwortlichen der Bayern LB stellt sich nun die Frage, wie sie reagieren sollen, wenn die ehemaligen Verwaltungsräte nicht auf die Inanspruchnahme der Verjährungsfrist verzichten wollen. Es bestehen zwei Möglichkeiten: Entweder die Bank schickt noch im Dezember entsprechende Mahnbescheide an die betreffenden Personen, oder sie geht noch einen Schritt weiter und erhebt sofort Klage vor Gericht. Der frühere Finanzminister Erwin Huber zeigt sich jedoch wenig beunruhigt: »Ich setze gar nicht auf den Schutz einer Verjährung, weil wir keine grobe Fahrlässigkeit begangen haben, die eine Schadensersatzpflicht auslösen würde.«

Für Beckstein und Huber könnte es dennoch ernst werden. Grundsätzlich sind alle Manager und Verwaltungsratsmitglieder der Bayern LB durch eine Haftpflichtversicherung vor möglichen Schadensersatzforderungen geschützt. Ob diese Versicherung jedoch auch dann für den Schaden haftet, wenn die Verwaltungsratsmitglieder die Verjährungsfrist freiwillig nicht geltend machen wollen, ist fraglich. Derzeit wird geprüft, ob ein Haftpflichtschutz für Beckstein, Huber und die anderen ehemaligen Verwaltungsratsmitglieder auch dann noch besteht, wenn diese freiwillig auf die Verjährungsfrist verzichten.
Der Leiter der parlamentarischen Kontrollkommission für die Bayern LB, Ernst Weidenbusch (CSU), versucht, den politischen Schaden zu begrenzen. Er kündigte wegen der Verbreitung des geheimen Gutachtens eine Strafanzeige gegen Attac an, angeblich seien so Bankgeheimnisse an die Öffentlichkeit geraten und die Interessen des Freistaates gefährdet worden. Attac antwortete in einer Pressemitteilung, es dürfe keine Bankenrettung geben, ohne dass die Ursachen der Krise offengelegt würden. »Wenn Geld von Steuerzahlern eingesetzt wird, muss sich auch die Geschäftspolitik einer Bank ändern«, schreibt die Organisation.
SPD und Grüne gehen davon aus, dass wegen der Verluste beim Kauf der Subprime-Kredite in zwei bis drei Jahren zusätzliche Ausgaben von etwa 1,6 Milliarden Euro auf den Freistaat Bayern zukommen könnten. Um diese Summe könnte sich die mögliche Schadensersatzforderung an die ehemaligen Verwaltungsratsmitglieder also noch erhöhen. Unter Umständen besteht jedoch für die früheren Verantwortlichen eine Möglichkeit, sich nicht die Blöße zu geben, die Verjährungsfrist in Anspruch zu nehmen, und dennoch den Schutz der Haftpflichtversicherung zu behalten. Im neuen »Gesetz zur Restrukturierung und geordneten Abwicklung von Kreditinstituten« wird die Verjährungsfrist deutlich verlängert. Ende November hat der Bundesrat der Vorlage zugestimmt.

Sollte das Gesetz noch vor Ablauf dieses Jahres in Kraft treten, dürfen Beckstein, Huber und andere aufatmen. Die Bayern LB könnte erst einmal auf eine Klage verzichten, da die Angelegenheit nicht mehr so schnell verjähren würde. Die Haftpflichtversicherung hätte keine Möglichkeit mehr, ihren Versicherungsschutz zu verweigern, da Beckstein und Huber selbst aus Sicht der Bank nicht mehr auf die Inanspruchnahme der Verjährungsfrist verzichten müssten. Nun fehlt noch die Unterschrift des Bundespräsidenten, dann tritt das Gesetz in Kraft. Christian Wulff erhebt bisher keine großen Einwände und dürfte sich zu einem schnellen Handeln entscheiden. Zwar haben die Versäumnisse des Verwaltungsrats bei der Kontrolle der Bayern LB einen immensen finanziellen Schaden verursacht. Doch für die Kollegen aus der CSU dürfte Wulff sich dennoch erbarmen.