Vergessen Sie freie Wahlen

Die Revolution ist nicht kreditwürdig. Die Rating-Agentur Moody’s hat die Bewertung ägyptischer Staatsanleihen von Ba1 auf Ba2 heruntergestuft. Allerdings war auch Hosni Mubaraks Autokratie vor dem Beginn der Proteste nicht investment grade, er lag gleichauf mit den Griechen. Für die tunesische Revolution konnte sich die Geschäftswelt ebenfalls nicht begeistern. Umgehend wurde Tunesien nach dem Sturz Ben Alis von Baa2 auf Baa3 herabgesetzt. Damit liegen die Tunesier zwar immer noch vor den Griechen, doch während liberale Theoretiker nicht müde werden zu betonen, dass Demokratie und Marktwirtschaft untrennbar zusammengehören, scheint der real existierende Markt anderer Ansicht zu sein. Auch viele Liberale, die keine Theoretiker sind, begnügen sich mit dem Markt und halten die Demokratie anderswo für verzichtbar. Als Außenminister Guido Westerwelle im Mai 2010 Ägypten besuchte, lobte er Mubarak als einen »Mann mit enormer Erfahrung, großer Weisheit und die Zukunft fest im Blick«. Von einem Reporter der Zeitung Al Ahram wurde er nach den bevorstehenden Wahlen gefragt. »Ägypten ist durch langjährige politische Kontinuität geprägt«, sagte Westerwelle. Da hat er recht, bereits Gamal Abd al-Nasser hatte bei Abstimmungen geschummelt, sein Nachfolger Anwar al-Sadat nahm sich daran ein Beispiel, und Mubarak setzte diese Tradition fort. Auch die Zukunft hatte er fest im Blick, sein vielversprechender Sohn Gamal nahm bereits Posten ein, die ihn qualifizieren sollten, die politische Kontinuität zu wahren.
Nun, da der Mann mit der enormen Erfahrung eher das Exil in Jeddah als die Zukunft seiner Dynastie im Blick hat, ist die Geschäftswelt unruhig. Tobias Vanderbruck vom Informationsdienst Oil-price.net erläutert, warum: »Vergessen Sie eine demokratische Regierung, freie Wahlen und die Redefreiheit. Die wirkliche Sorge hier ist Öl, oder die Kontrolle darüber.« Fast drei Millionen Barrel Öl werden täglich durch den Suez-Kanal transportiert, und wenn es zu einem Generalstreik kommt, müssten die Tanker den langen Weg um Afrika nehmen. So hat ein jeder seine Sorgen. »Im Geschäftsjahr 2010 unterzeichnete Siemens einen Vertrag mit dem tunesischen Energieversorger STEG«, informiert der Konzern. Gerade noch rechtzeitig, wer weiß, ob das ohne Ben Ali geklappt hätte. »Vier Aufträge für schlüsselfertige luftisolierte Schaltanlagen« kamen vom ägyptischen Energieministerium. Die Autokraten waren gute Handelspartner, nicht zuletzt, weil sie die Verträge niemals vor oppositionellen Querulanten rechtfertigen mussten. Und man kann nie wissen, wie weit so ein Demokratisierungsprozess geht. Womöglich findet jemand die alten Verträge, und dann gibt es vielleicht ähnliche Schlagzeilen wie vor drei Jahren in der Welt: »Ermittlungen gegen Siemens wegen Zahlungen an Saddam-Regime«.