Erinnern an Peter O. Chotjewitz

Tod eines Anarchisten

Dario Fo und Franca Rame erinnern an unseren kürzlich verstorbenen Autor Peter O. Chotjewitz, der ihre Theaterstücke ins Deutsche übersetzt hat

Franca und ich haben es immer gesagt: Für einen Schriftsteller oder Dramatiker ist es extrem wichtig, mit einem guten Übersetzer zusammenzuarbeiten, wenn man im Ausland bekannt werden will. Wir sind fest davon überzeugt: Ob aus einem Text ein Erfolg oder ein Desaster wird, hängt in den meisten Fällen davon ab, wie gut oder wie schlecht er übersetzt wurde. Wir müssen zugeben, dass wir in unserem langen Leben als Theaterautoren immer Glück hatten, denn in vielen Ländern dürfen wir mit exzellenten Übersetzern arbeiten. Peter O. Chotjewitz, der unsere Komödien, Einakter und Monologe ins Deutsche übertragen hat, war ohne Zweifel einer der besten unter ihnen.
Anfang der sechziger Jahre begann man in verschiedenen europäischen Ländern, unsere Stücke zu übersetzen. Die ersten Sprachen waren Schwedisch und Polnisch. Wir waren begeistert von der Qualität der Texte, denn wir hatten es mit hervorragenden Übersetzern zu tun. Auch die großartigen Schauspielerinnen und Schauspieler der Ensembles, die in diesen Ländern unsere Arbeiten aufführten, haben zum großen Erfolg der Inszenierungen beigetragen. Ähnliche gute Erfahrungen machten wir in den folgenden Jahren in Frankreich und in Großbritannien.
Als wir aber vor 50 Jahren Peter O. Chotjewitz kennen lernten, erkannten wir sofort, dass in diesem Schriftsteller, der im deutschsprachigen Raum bereits durch seine Romane bekannt war, ein wahres Interpretationstalent steckte. Peter gelang es, aus unseren Stücken, die in der BRD sowie in der DDR, in Österreich und in der deutschsprachigen Schweiz aufgeführt wurden, regelrechte Bühnentriumphe zu machen. Das hatten wir so noch nie erlebt. In den USA, in Lateinamerika und sogar in China und Japan wurden seit den siebziger Jahren mehrere unserer Stücke inszeniert. Zum Teil handelte es sich dabei um dieselben Stücke, die in Europa, aber vor allem in der BRD und der DDR, mit großem Erfolg aufgeführt worden waren und sowohl beim Publikum als auch bei der Kritik begeisterte Reaktionen ausgelöst hatten. In New York wurde zum Beispiel in den achtziger Jahren die satirische und gleichzeitig tragische Komödie »Zufälliger Tod eines Anarchisten« am Broadway inszeniert. Es war eine richtige Katastrophe.
Für uns war sofort klar, wo das Problem lag, nämlich in der Übersetzung des Textes und in der Inszenierung. Der Beweis dafür war, dass dieses Stück in Großbritannien und Frankreich, aber vor allem in Deutschland ein großer Erfolg gewesen war. Das Stück wurde in Dutzenden Schauspielhäusern aufgeführt. Acht Jahre lang blieb die Geschichte des Anarchisten, der aus dem Fenster in den Tod stürzte, im Bühnenprogramm des Berliner Ensemble. In Großbritannien waren es nur sechs  Jahre.
Erst einige Jahre später wurde die Komödie in Boston inszeniert, von einer Gruppe schauspielernder Studentinnen und Studenten, und endlich in einer sehr guten Übersetzung.
Aber zurück zu Peter O. Chotjewitz. Er bleibt uns nicht nur als genialer Übersetzer in Erinnerung. Er besaß auch eine weitere eindrucksvolle Begabung: Er war ein direkter Interpret unserer Texte, diese Fähigkeit war einzigartig. Während einer Tournee, bei der unsere Stücke auf die Bühnen vieler deutscher Theater und Universitäten gebracht wurden, verbrachten wir mehrere Monate gemeinsam mit ihm. Zwischen Peter und uns entstand eine beeindruckende Symbiose. Peter hatte die erstaunliche Fähigkeit, durch seine Übersetzung ins Deutsche an Stellen Lacher hervorzubringen, wo uns dies in unserer Sprache gar nicht gelungen war.
Wir können uns nicht an eine einzige von uns geschriebene und von Peter übersetzte Komödie erinnern, die kein Erfolg gewesen wäre. Bei den Proben unserer Stücke in verschiedenen europäischen Ländern kam es nicht selten vor, dass wir mit dem Rhythmus des übersetzten Textes nicht zufrieden waren.
Wir erinnern uns an einen Fall, das war in Luzern, in der Schweiz. Da war eine Diskussion mit dem Übersetzer entstanden, weil wir mit einigen Teilen seiner Arbeit nicht einverstanden waren. Dann erlaubten wir uns, dem Übersetzer den Text, den Peter bereits ins Deutsche übertragen hatte, als Vorlage zu geben. »Da du auch Deutsch kannst, könntest du bitte mit dieser Übersetzung arbeiten, um dein Problem zu lösen?« sagten wir dem Kollegen aus der Schweiz. Wir brauchen wohl nicht zu erzählen, wie die Sache endete. Der Übersetzer reagierte ziemlich empört, er war so gekränkt, dass er das Theater verließ und nie wieder zurückkam.
Es war sehr schmerzhaft für uns, von Peters Tod zu erfahren. Wenn wir sagen, dass wir ihn vermissen, meinen wir es auch so. Er hinterlässt nicht nur eine Lücke, sondern eine große Leere.

Aus dem Italienischen von Federica Matteoni