Unser Mann in der Liebig

Berlin Beatet Bestes. Folge 82. Berlinska Dróha: »Zrudny Koncak« (2010).

Am 2. Februar wurde Berlins letztes besetztes Haus, die Liebig 14, geräumt. Obwohl ich mich in meinem Bigbeatland-Strip oft mit dem Thema beschäftigt habe, war ich selbst nie Hausbesetzer. Das hatte vor allem damit zu tun, dass ich als Heran­wachsender, wie alle Comiczeichner, ein asozialer Stubenhocker war. Später nervte ich meine WG-Mitbewohner, weil ich oft wochenlang nicht mein Zimmer verließ. Schon damals war mir klar, dass so ein Verhalten mit der Idee von kollektivem Wohnen nicht vereinbar ist. Gerhard Seyfried hat es vor 30 Jahren irgendwie geschafft, Comiczeichner und Besetzer zu sein, aber eigentlich sind die meisten Comiczeichner, die ich kenne, introvertierte Eremiten. Das komplexe System Comic, in dem der Zeichner auch noch Autor, Regisseur und Schauspieler ist, erfordert es geradezu, sich vollständig darin aufzulösen.
Paul von Berlinska Dróha hat dagegen viele Jahre im Hausprojekt Liebigstraße 14 gewohnt. Als Leser der Jungle World kannte er meine Zeichnungen und fragte mich, ob ich nicht Lust hätte, ein Cover für die nächste Platte seiner Gruppe zu zeichnen. Berlinska Dróha, sorbisch für »Berliner Straße«, sind Paul an der Geige und Uta am Klavier. Beide stammen von den Sorben ab, einer nationalen Minderheit, die seit über 1 000 Jahren in der Ober- und Niederlausitz, in Sachsen und Brandenburg lebt. Das Besondere ist, dass das Duo politische Folksongs mit sorbischen Texten verknüpft. In »Zrudny Koncak« geht es zum Beispiel um einen Nazi namens Koncak, der eines Tages entdeckt, dass er sorbische Wurzeln hat. Am Ende des Liedes zieht ihn der Wassermann, die berühmteste sorbische Sagengestalt, in die Tiefe des Sees. Als wäre das nicht seltsam genug, ist dies auch ein absurdes Produkt. Folksongs werden eigentlich nicht mehr auf Vinyl gepresst. Dennoch hatte ich Paul dazu geraten, eine Single zu machen: auf wertigem Material für die Ewigkeit, wie eine etwas teure Visitenkarte. Das auf dickem Karton gesiebdruckte Cover passt noch am ehesten in die Punk-Abteilung der Plattenläden. Die filigranen und gut komponierten Songs machen diese Platte allerdings zu einer absoluten Ausnahme. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich zum letzten Mal so schöne Musik auf einer modernen Single gehört habe. Letztes Jahr, als die Liebig 14 ihre Mietverträge verlor, lud Paul mich ein, im Rahmen eines Soli-Festivals in einem der Räume eine »Big­beatland«-Ausstellung zu machen. Wie meine Strips im besetzten Haus ankommen würden, wusste ich nicht, und ich war dann überrascht, wie viele Leute meine Comics kannten. Ich verbrachte einen sehr netten Abend in der Liebigstraße, und auch Paul und Uta spielten bei Kerzenschein vor einem begeisterten Publikum. Diese Platte ist nicht zuletzt ein Vermächtnis der Liebig 14.