Über die Frauenproteste in Italien

Würde ist ein Konjunktiv

Die Kampagne für die »Würde der Frauen« war erfolgreich, aber auch umstritten. Italienische Feministinnen kritisierten das konservative Frauenbild, das daraus entstanden ist.

Werden es am Ende die Frauen sein, die Berlusconi zu Fall bringen? Diese Frage stellten sich viele Kommentatoren der internationalen Medien nach den letzten Entwicklungen im Zuge der Prostitutionsaffäre um den italienischen Premierminister. Ist die junge Karima El-Marough, die mittlerweile volljährige, angebliche Nichte des nun gestürzten ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak, die gefährlichste Frau für den mächtigsten Mann Italiens? Geht die viel größere Bedrohung von den Hunderttausenden italienischen Bürger­innen aus, die am 13. Februar für die »Würde der Frauen« und gegen das Bunga-Bunga-Regime in ganz Italien demonstrierten? Oder werden Berlusconi vielmehr Giulia Turri, Orsola de Cristoforo und Carmen D´Elia zum Verhängnis, die drei Richterinnen in dem Schnellverfahren, das am 6. April beginnen soll?
Dass Berlusconi vor Gericht erscheint, gilt als unwahrscheinlich, dass er vor dem Prozess zurücktritt, als praktisch unmöglich. Die Antwort auf all diese Frage ist daher ein klares Nein.
Trotzdem wird derzeit viel geredet über Italiens »Frauen«. Sie empören sich über das Verhalten des italienischen Premierministers und seinen senilen Männlichkeitswahn. Sie sind schockiert über die Mädchen seines Harems, die in vielen Fällen ihre Treue und Liebe zu Berlusconi öffentlich bekunden und im Fernsehen erzählen, er sei ein »guter, großzügiger Mann«. Und sie wollen, dass dieser politischen und medialen Darstellung, die seit Jahren ein entwürdigendes Frauenbild propagiert und das politische Leben des Landes lähmt, ein Ende gesetzt wird. Es sind diese Frauen, die in den linksliberalen Medien an das »andere Italien« appellierten und zu einer »Revolte des Anstands« aufriefen.

Damit haben sie es nicht nur geschafft, Hunderttausende von Frauen und Männern auf die Straßen zu bringen, sondern auch eine heftige Debatte auszulösen. Dem Appell der Tageszeitung La Repubblica mit dem Titel »Se non ora, quando« (wann, wenn nicht jetzt) schlossen sich viele Politikerinnen, Schriftstellerinnen, Schauspieler­innen und andere prominente Frauen an. Die Kampagne hatte eine klare Botschaft: »Italien ist kein Bordell«. Den Slogan fanden nicht wenige italienische Feministinnen problematisch. Wogegen wird damit eigentlich protestiert? Die Frage ist berechtigt, denn das Frauenbild, das vom »anderen Italien« im Rahmen dieser Kampagne präsentiert wurde, ist nicht weniger fragwürdig als das der Showgirls mit großen Brüsten und aufgespritzten Lippen, deren Karriere im Berlusconi-Land sogar mit einem politischen Amt enden könnte.
Die Mehrheit der italienischen Frauen, heißt es im Aufruf von La Repubblica, »arbeitet entweder im Beruf oder zu Hause, schafft Reichtum oder ist auf Arbeitssuche, studiert, bringt Opfer, um sich beruflich zu behaupten, kümmert sich um die emotionalen und familiären Beziehungen, sorgt für Kinder, Ehemänner und ältere Familienmitglieder.« Der Lebensstil des Premierministers legitimiere eine Verhaltensweise, die nicht nur diese Frauen beleidige, sondern auch »das gesellschaftliche Zusammenleben und das bürgerliche, ethische und religiöse Bewusstsein unseres Landes« gefährde, heißt es weiter. Den Verfasserinnen und Verfassern geht es offenbar um die Würde ganz bestimmter Frauen, die sie zur »Mehrheit« erklärt haben, und um die Verteidigung eines Wertesystems, in dessen Mittelpunkt nach wie vor die heilige mamma steht.
Dass dieses Bild kritisiert wurde, war eine gute Sache, bei der Debatte fühlte man sich jedoch teilweise zurück in die siebziger Jahre versetzt. War der italienische Feminismus nicht schon mal weiter?

Kritisiert wurde der wertkonservative Charakter der Mobilisierung, die die »gute«, arbeitende und pflegende Frau zum moralischen Vorbild stilisierte und die »unmoralische« Prostituierte verurteilte. Aber auch die wichtigste These der Kampagne wurde in Frage gestellt. Nämlich, dass es im Berlusconi-Gate überhaupt um die verletzte Würde der Frauen gehe. Italien habe vielmehr ein Männerproblem, meint etwa Ida Dominijanni, es sollten die Männer sein, die sich von der Darstellung von Macht, Geld und Männlichkeit in ihrer »Würde« verletzt fühlen. Dass sich so viele Frauen einer Kampagne angeschlossen haben, die sie als Opfer darstellt, sage einiges über den Zustand des italienischen Feminismus aus.
Auch andere bekannte Publizistinnen, Intellektuelle sowie Studentinnen, prekären Arbeiterinnen, feministische und LGBT-Gruppen einer jüngere Generation teilen diese Kritik. Entwürdigend für die italienischen Frauen seien nicht die Sexparties von Silvio Berlusconi, sondern das Fortbestehen uralter Rollenbilder in einer nicht vollständig säkularisierten Gesellschaft, der Alltagssexismus und die häusliche Gewalt, sowie die unterbezahlte feminisierte Arbeit, die viele Frauen in eine Position der sozialen und familiären Abhängigkeit zwingt und aus ihnen erst recht Opfer macht.
Die moralische Empörung der desperate house­wives wird Berlusconi nicht stürzen. Sie hat aber immerhin gezeigt, dass sich daraus eine politische Debatte entwickeln kann, die in einem Italien nach Berlusconi unabdingbar sein wird.