Die Ermittlungen nach dem Terroranschlag am Frankfurter Flughafen

In Sossenheim wohnt der Terror

Er sei ein »Einzeltäter« – so beschreiben die deutschen Behörden den Jihadisten, der auf dem Frankfurter Flughafen kürzlich zwei amerikanische Soldaten ermordete. Dabei stand der junge Mann im Internet mit zahlreichen anderen Islamisten in Verbindung, die zu seiner Fanatisierung beigetragen haben dürften.

Für Bernhard Witthaut, den Bundesvorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei (GdP), bedeutete der Mord an zwei US-amerikanischen Soldaten auf dem Frankfurter Flughafen Anfang März eine »neue Dimension des islamistischen Terrorismus«. Schließlich habe »erstmalig ein islamistischer Terroranschlag auf deutschem Boden nicht verhindert werden können und Todesopfer gefordert«, sagte er kurz nach dem Attentat des 21jährigen Arid U., der als Kleinkind 1991 mit seiner Familie aus dem Kosovo nach Deutschland gekommen und in Frankfurt aufgewachsen war.

Witthauts Behauptung, bei den tödlichen Schüssen auf die Soldaten habe es sich um eine Premiere gehandelt, wurde auch von etlichen Medien kolportiert – dabei stimmt sie nicht: Bereits 1992 wurden im Auftrag des iranischen Geheimdienstes Vevak vier kurdische Exilpolitiker im Berliner Restaurant »Mykonos« erschossen. Schon bei dieser Tat handelte es sich um islamistischen Terror.
Dass dieser mörderische Anschlag derzeit nicht erwähnt wird, liegt womöglich daran, dass die Ermittlungsbehörden U. als »Einzeltäter« ansehen. Diese Einschätzung mag kriminologisch und juristisch richtig sein, ist jedoch irreführend, wenn man die Tat politisch beurteilen will: Zwar hat U. den Anschlag offenbar allein geplant und ausgeführt, wie der bisherige Kenntnisstand der Polizei nahelegt. Er unterhielt im Internet jedoch Verbindungen zu islamistischen Netzwerken, was seine Fanatisierung beschleunigt haben dürfte. Die Rede vom Einzeltäter ist im politischen Sinn aber auch deshalb trügerisch, weil das Konzept des ›führerlosen Widerstandes‹ bei Jihadisten immer häufiger Verwendung findet. Dabei planen und begehen Einzelne oder kleine Gruppen auf eigene Faust Anschläge. Die Täter gehören keiner einheitlichen Organisation an, rechnen sich aber dennoch einem übergeordneten Kollektiv zu, dessen Ideologie sie folgen.
Deshalb mutet das Bild, das sowohl die deutschen Behörden – von der Polizei über die Staatsanwaltschaft bis zum Verfassungsschutz – als auch Politik und Medien von der Organisierung und dem Vorgehen militanter Islamisten haben, teilweise reichlich weltfremd an. Denn um Terroranschläge auszuführen, ist die Mitgliedschaft in einer islamistischen Vereinigung keineswegs vonnöten. Auch in anderen europäischen Ländern kommt es immer wieder zu Anschlagsversuchen vermeintlicher Einzeltäter. In der Stockholmer Innenstadt beispielsweise scheiterte im Dezember ein Selbstmordattentat nur knapp: Der Täter, ein 28jähriger irakischer Immigrant, hatte eine Bombe in seinem Auto und einen weiteren Sprengsatz an seinem Körper platziert, tötete entgegen seiner Planung aber nur sich selbst. Wie U. hatte er zuvor insbesondere über das Internet – und hier vor allem auf seiner Facebook-Seite – Kontakte zu Gesinnungsgenossen geknüpft sowie jihadistische Propaganda, insbesondere zum Irak- und zum Afghanistan-Krieg, konsumiert und verbreitet. Einer islamistischen Organisation gehörte er nicht an.

»Die Stärke der Islamisten liegt in der Einfachheit des Tötens begründet, darin, dass noch der letzte Dorftrottel aus Afghanistan oder dem Sauerland zum Mujahed werden kann, wenn man ihm nur eine Höllenmaschine in die Hand gibt«, schrieb Thomas Uwer Anfang Dezember (Jungle World 48/10), als die deutschen Behörden davor warnten, dass al-Qaida plane, die Kuppel des Reichstags mit einem aufsehenerregenden Anschlag zu zerstören. Jihadisten müssen tatsächlich keinesfalls eine schwierige militärische Ausbildung absolviert haben, selbst unbedarfte Anfänger können töten. Ein solcher war auch U., dem es vor allem der Salafismus angetan hatte, eine besonders rigide Strömung des Islam, deren Anhänger weltliche Verfassungen vollständig durch die Sharia ersetzen sowie einen islamischen Gottesstaat errichten wollen. Der in Deutschland wohl bekannteste Salafist ist Pierre Vogel, ein zum Islam konvertierter früherer Profiboxer, der unter anderem das Handabhacken bei Diebstahl und Raub sowie die Steinigung von Ehebrechern befürwortet (Jungle World 51/2010). Vogel ist einer von etwa 140 Islamisten, die zu U.s Freunden auf Facebook gehören.
Darüber, wie der im Frankfurter Stadtteil Sossenheim lebende U. zum Islamisten werden konnte, rätselt nicht nur die Polizei, sondern auch die Familie des Täters. »Wir sind fassungslos, es gibt keine Erklärung«, sagte U.s Vater, der sich in der Bild-Zeitung bei den Hinterbliebenen der Opfer entschuldigte. In vielen Medienberichten wird U. als schüchtern, nachdenklich, politisch desinteressiert und gut integriert beschrieben.
Erst seit knapp einem Jahr seien auffällige Verhaltensänderungen zu beobachten gewesen: U. zog sich noch stärker als zuvor zurück und begann damit, auf seinem Computer Krieg zu spielen und sich über das Internet mit Islamisten in Verbindung zu setzen. Der unmittelbare Anlass für sein Vorhaben, auf dem Frankfurter Flughafen amerikanische Soldaten zu ermorden, sei ein Youtube-Video gewesen, sagte U. Medienberichten zufolge in einer der ersten Vernehmungen. Dieses Video zeigt, wie US-Soldaten ein irakisches Mädchen vergewaltigen. In der Szene ist jedoch kein tatsächliches Verbrechen zu sehen. Sie entstammt dem Film »Redacted« des amerikanischen Regisseurs Brian de Palma, in dem es um den Krieg im Irak geht.

Bemerkenswert ist aber auch, wie gering hierzulande die Empathie mit den Opfern des Attentats ausfiel. Mehr als die obligatorischen, höchst pflichtschuldig wirkenden Verurteilungen und Beileidsbekundungen von offizieller Seite waren kaum zu vernehmen. Auch deshalb stellt sich die Frage nach dem gesellschaftlichen Klima, in dem sowohl U. als auch andere in der Bundesrepublik lebende Islamisten ihrem »Heiligen Krieg« nachgehen. Die weitverbreiteten antiamerika­nischen Ressentiments, die zumeist mit einer als »Israelkritik« getarnten Abneigung gegen Juden einhergehen, dürften auf die Jihadisten alles andere als abschreckend wirken. Und dass Deutschland ein vergleichsweise ruhiger Aufenthaltsort für Gotteskrieger ist, weiß man spätestens seit den Terroranschlägen des 11. September 2001, die maßgeblich von Hamburg aus vorbereitet wurden.