Der Streit über das Haushaltsdefizit in den USA

Nur am Tee wird nicht gespart

Fast hätte der Streit über das Haushaltsdefizit in den USA zum shutdown, zur vorübergehenden Schließung der meisten Behörden, geführt. Der Konflikt dauert an, im Mai könnte die Regierung zahlungs­unfähig werden.

Die Kontrahenten einigten sich in letzter Minute. Mit einer Übereinkunft zwischen der republikanische Mehrheit im Repräsentantenhaus und Präsident Barack Obama zur Finanzierung der letzten sechs Monate des laufenden Haushaltsjahres wurde am vergangenen Freitag der seit Wochen drohende shutdown, die zeitweilige Einstellung aller als nicht unbedingt notwendig erachteten Regierungsausgaben, abgewendet.
Seit dem Beginn des Haushaltsjahrs im Oktober 2010 operierte die US-Regierung nur auf Basis einer temporären Finanzierung und zuletzt eines um vier Wochen verlängerten vorläufigen Budgets. Gemäß der Übereinkunft soll der Etat in dieser Woche endgültig beschlossen werden. Eingespart werden in den kommenden sechs Monaten 38,5 Milliarden Dollar, gewissermaßen Peanuts, wenn es um einen Haushalt von gut 3,5 Billionen Dollar geht.
Es gab in den USA Dutzende shutdowns seit dem 19. Jahrhundert, nach der Formalisierung der Verwaltungsabläufe bei einem nicht beschlossenen Haushalt im Jahr 1980 kam es 17 Mal zu einer Behördenschließung. Meist ist die Krise bald wieder behoben, doch beim vorläufig letzten shutdown im Jahr 1995 wurde die Regierung drei Wochen lang lahmgelegt. Hunderttausende Verwaltungsangestellte wurden zeitweise entlassen, die Dienstleistungen für die Bürger wurden eingestellt und alle nicht von der Verfassung vorgeschriebenen Ausgaben gestoppt.
Beim damaligen Streit mit Präsident William Clinton gaben die meisten Amerikaner der republikanischen Mehrheitsführung im Kongress die Schuld für den shutdown. Der derzeitige Konflikt aber wird wahrscheinlich Obama schaden, denn er hat dem Drängen nach weiteren Kürzungen nachgegeben und einem Kompromiss zugestimmt, der in mancherlei Hinsicht den ideo­logischen Vorstellungen etwa 70 republikanischer Tea-Party-Abgeordneter im Kongress folgt.
Allerdings waren die Verhandlungen über die Finanzierung der Regierungsgeschäfte bis zum Ende des Etatjahres im September nur der erste haushaltspolitische Machtkampf, eine noch wichtigere Auseinandersetzung wird in den kommenden Wochen anstehen. Nach Angaben von Finanzminister Tim Geithner erreichen die Ausgaben Mitte Mai die gesetzlich festgelegte Schuldenobergrenze von knapp über 14,2 Billionen Dollar. Mit Budgettricks kann die Regierung den Zeitpunkt möglicherweise um zwei Monate hinauszögern. Doch trotz der Reduzierung des Haushalts für 2011 wird die Summe der Schulden in den kommenden Monaten um mehr als 300 Milliarden Dollar über die Obergrenze hinaus steigen. Über 75 Mal hat die US-Regierung seit 1940 die 1917 eingeführte Schuldenobergrenze erhöht, oft mehrmals im Jahr und zuletzt im Februar 2010.
Meist wird die Erhöhung der Schuldenobergrenze als eine Formalität behandelt, denn sie ist eine politische Absichtserklärung und spiegelt nicht die Zahlungsfähigkeit des Staats wider. Doch in diesem Jahr ist ein heftiger Streit zwischen der republikanischen Mehrheit im Repräsentantenhaus und dem Präsidenten zu erwarten. Auch in diesem Konflikt haben die Republikaner die formal stärkere Position, denn ohne die Zustimmung des Repräsentantenhauses zu einer Erhöhung der Schuldenobergrenze wäre es der Regierung trotz des beschlossenen Haushalts nicht mehr gestattet, Geld auszugeben.

Die Zahlungsunfähigkeit des Staats zu provozieren, birgt ein viel höheres Risiko, als einen shutdown zu erzwingen, denn dies würde das gesamte Schuldenmanagement über die auch international gehandelten Staatsanleihen gefährden und so nicht nur eine staatspolitische Krise, sondern auch eine erhebliche Destabilisierung der Weltwirtschaft verursachen.
Beim übernächsten finanzpolitischen Machtkampf wird es dann um den Haushalt für das Jahr 2012 gehen. Seit Monaten kündigen sowohl Republikaner als auch Demokraten eine grundsätzliche Auseinandersetzung über die Staatsfinanzen und die Höhe der Staatsverschuldung an. Anders als bei den jüngst abgeschlossenen Verhandlungen, die nur die »voluntativen«, politisch gewollten Ausgaben – etwa zwölf Prozent des Budgets – betrafen, soll es dann um den Gesamthaushalt gehen, inklusive des Militäretats in Höhe von mehr als 550 Milliarden Dollar – hinzu kommen über 100 Milliarden Dollar für die nicht zu den regulären Militärausgaben zählenden Operationen in Afghanistan und im Irak – und der gesetzlich geregelten Zahlungen für den Sozial- und Gesundheitsbereich.
Die Republikaner im Kongress fordern eine radikale Kürzung der Sozialausgaben, die mehr als 40 Prozent des Haushalts ausmachen. Ein seit wenigen Wochen vorliegender Plan Paul Ryans, eines Abgeordneten aus Wisconsin und Lieblings der Tea-Party-Bewegung, betrifft vor allem Medicare und Medicaid, die staatliche Gesundheitsversorgung für Senioren und Arme. Jeweils etwa drei Viertel des Etats sollen gestrichen werden, so könnten in zehn Jahren eine Billion Dollar eingespart werden. Der größte Teil des Haushaltsde­fizits wäre beseitigt, doch die Konsequenzen für ältere und arme Amerikaner wären verheerend.
Über Korrekturen beim Rentenversicherungssystem gibt es in Ryans Plan keine Angaben, andere Republikaner sprechen jedoch von einer Erhöhung des Rentenalters von derzeit 66 auf 70 Jahre sowie von einer weitgehenden Privatisierung des Systems durch die Umwandlung staatlich garantierter Ansprüche in individualisierte Rentenkonten bei privaten Finanzinstitutionen.
Zuletzt war Präsident George W. Bush 2005 mit seinem Vorhaben, das Rentenversicherungs­system zu privatisieren, im Senat gescheitert. Doch scheinen auch die gemäßigten Demokraten im Kongress eine Kürzung der Sozialausgaben zu befürworten, sie lehnen aber Ryans Pläne für Medicare und Medicaid, die in den sechziger Jahren von der Demokratischen Partei eingeführten staatlichen Krankenversicherungsprogramme, ab, vor allem weil diese faktisch eine Rücknahme der erst im vorigen Jahr beschlossenen Gesundheitsreform bedeuten würden.

Die Radikalität der republikanischen Pläne sowie die relativ kompromisslose Taktik bei den Verhandlungen zeigt den Einfluss der rechtslibertären Tea-Party-Bewegung, die seit den Kongresswahlen im November vorigen Jahres im Kongress vertreten ist. Hinsichtlich des Militäretats scheint sich nun eine Allianz zwischen linken Demokraten und Republikanern aus der Tea- Party-Bewegung zu bilden, die tatsächlich Kürzungen in diesem Bereich ermöglichen könnte.
Seit Jahrzehnten wächst der Militärhaushalt unaufhörlich, obwohl der republikanische Präsident Dwight D. Eisenhower bereits am Ende seiner Amtszeit 1961 vor dem Einfluss des »militärisch-industriellen Komplexes« gewarnt hat. Jimmy Carter war der letzte Präsident, der versuchte, die Militärausgaben zu kürzen. Vergeblich, und der Versuch war ein Grund für seine Niederlage gegen Ronald Reagan im Jahr 1981. Seither wurde nicht mehr ernsthaft über solche Kürzungen nachgedacht, insbesondere nach dem 11. September 2001 galt das Thema als Tabu. Es wurde daher als ein großer Schritt in Richtung Sparmaßnahmen gewertet, dass Verteidigungsminister Robert Gates im vergangenen Jahr ankündigte, das Wachstum des Militärhaushaltes auf weniger als ein Prozent im Jahr reduzieren zu wollen.
Mit den Forderungen einiger einflussreicher Politiker aus der Tea-Party-Bewegung nach Kürzungen im Militäretat, der immerhin mehr als 20 Prozent des Gesambudgets ausmacht, scheint die Regel, dass nur »unpatriotische« Linke solche Vorschläge machen, gebrochen worden zu sein. Einer Studie des Congressional Budget Office zufolge werden die Kriege im Irak und in Afghanistan bis zum Jahr 2017 etwa 2,4 Billionen Dollar kosten. Umfragen zufolge wächst in der Bevölkerung die Bereitschaft, die Militärausgaben zu senken.
Bereits in der Debatte zum Militäretat für das Jahr 2011 hat diese Allianz aus linken Demokraten und Tea-Party-Politikern erreicht, dass die Produktion einer Reihe von Waffensystemen, die als nutzlos gelten, eingestellt wird. Dass die Allianz der Hinterbänkler aus beiden Parteien mehr als symbolische Siege erringen kann, erscheint angesichts des angekündigten Widerstandes aus dem militärisch-industriellen Komplex jedoch unwahrscheinlich. Gegen die republikanische Mehrheitsführung, die weiterhin den Wünschen der Industrie folgt, wird sich die Tea Party nicht durchsetzen können.

Dennoch hat die Haushaltdebatte gezeigt, dass die Tea-Party-Bewegung die politischen Verhältnisse verändert hat. Noch in dieser Woche will Obama eine Grundsatzrede halten, in der er nach Angaben seines Beraters David Plouffe seinen Plan zur Reduzierung des Staatsdefizits vorlegen wird. Offenbar will er eine Kürzung der Sozialausgaben und eine Reform des Sozialversicherungssystems ankündigen.
Es scheint, als ob Obama vor der Präsidentschaftswahl 2012 einen Schwenk nach rechts versuchen will, ähnlich wie Clinton vor seiner Wiederwahl 1996, als er ebenfalls mit einer republikanischen Mehrheit im Kongress konfrontiert war. Doch in einem Punkt will Obama dem Vorbild Clintons wohl nicht folgen. Während die meisten Politiker sich allein auf die Senkung der Ausgaben konzentrieren, will Obama auch die Einnahmen erhöhen.
Da die Regierung keine Mehrwertsteuer erhebt, müsste Obama die Einkommenssteuer für Reiche erhöhen und Gesetzeslücken vor allem bei der Körperschaftssteuer schließen. Im Dezember vorigen Jahres stimmte er einer Verlängerung der unter Bush beschlossenen temporären Einkommenssteuersenkung für Reiche um drei Prozent für zwei weitere Jahre zu, eine Maßnahme, die für den Staat in den vergangenen zehn Jahren Einnahmeverluste von knapp einer Billion Dollar bedeutete.
Eine weitere Billion könnte innerhalb von zehn Jahren eingenommen werden, wenn die Körperschaftssteuer reformiert würde. Sie beträgt nominell 35 Prozent, doch die großen Unternehmen zahlen nur etwa 15 Prozent. Die Republikaner im Kongress werden kaum bereit sein, für Steuererhöhungen zu stimmen. Doch wenn Obama die Einnahmen erhöhen will, vertritt er immerhin eine Position, die in den vergangenen Jahren allein linke Exoten wie Bernie Sanders, der einzige Sozialist im Senat, zu formulieren wagten. Geld ist genug da, die Frage ist nur, wer darüber verfügt.