Die Sparmaßnahmen verschärfen die Krise in Griechenland

Griechenland bleibt nichts erspart

In der Euro-Politik hat Deutschland seine Ziele weitgehend durchgesetzt. Doch ein Jahr nach der Verabschiedung der ersten Sparmaßnahmen hat sich die Lage in Griechenland weiter verschlechtert.

Die Akropolis bleibt unverkäuflich. Die Bild-Zeitung titelte im vergangenen Jahr: »Verkauft doch eure Inseln, ihr Pleite-Griechen, und die Akropolis gleich mit«. Dieser Forderung beugte sich die griechische Regierung nicht, doch hat sie zahlreiche Zugeständisse machen müssen, seit die EU Anfang Mai 2010 mit Hilfe eines »Rettungsfonds« den Staatsbankrott des Landes nur knapp verhindert hatte. Der Preis für die vermeintliche Rettung war hoch. Mehrere »Sparpakete« stürzten das Land in eine Rezession, die Steuern wurden erhöht, Sozialausgaben und Löhne gekürzt, die Zahl der Beschäftigten im öffentlichen Dienst wurde radikal reduziert.
Genützt haben die rigiden Maßnahmen nicht viel. Ein Jahr nachdem das griechische Parlament die ersten Sparmaßnahmen verabschiedete, steht es um die Finanzen des Landes noch schlechter als zuvor. Die Schulden stiegen von rund 300 auf nun 330 Milliarden Euro, was 143 Prozent des Bruttoinlandsprodukts entspricht. Rund 13 Milliarden Euro musste Griechenland im vergangenen Jahr an Zinsen zahlen, das sind neun Prozent der gesamten Staatsausgaben. Selbst wenn die Regierung sofort sämtliche Staatsbedienstete entlassen, die Armee auflösen und alle Sozialleistungen einstellen würde, bliebe sie immer noch auf einem enormen Schuldenberg sitzen. Die gesamten Staatseinnahmen des Landes beliefen sich im vergangenen Jahr auf gerade einmal rund 90 Milliarden Euro.

So greift die griechische Regierung zu verzweifelten Mitteln. Es wird alles verkauft, was sich irgendwie zu Geld machen lässt. Infrastrukturanlagen, Glücksspielbetriebe, Energiekonzerne, die griechische Telekom, Grundbesitz – rund 50 Milliarden Euro soll die Privatisierung staatseigenen Vermögens einbringen. Der Schuldenstand soll damit um 20 Prozent vermindert werden. Das Konzept hat die Regierung Mitte April präsentiert. Die Erfassung und Bewertung sämtlicher Liegenschaften, die sich derzeit in staatlichem Eigentum befinden, habe bereits begonnen, teilte das Finanzministerium mit.
Seit der »Rettung« durch den EU-Fonds befindet sich das Land in einer ausweglosen Situation. Die Sparpolitik der griechischen Regierung würgt den Konsum im Inland ab, der drei Viertel der Wirtschaftsleistung ausmacht. Ohne Wachstum fehlen dem Staat wiederum Steuereinnahmen. Allein in den ersten drei Monaten dieses Jahres sanken sie um acht Prozent. In der Folge kann die Regierung das Haushaltsdefizit nicht schnell genug senken, weshalb sie neue Kredite aufnehmen muss. Kaum jemand glaubt, dass es der Regierung unter diesen Umständen tatsächlich gelingen könnte, ihre Sanierungsziele zu erreichen. In der vergangenen Woche stieg der Zins für zweijährige griechische Staatsanleihen auf mehr als 25 Prozent, während vergleichbare deutsche Bonds derzeit mit 1,76 Prozent gehandelt werden. Die Kosten für die Kredite übersteigen die Spar­effekte um ein Vielfaches.
Im Juni müssen die Träger des EU-»Rettungs­fonds«, der Internationale Währungsfonds, die EU-Kommission und die Europäische Zentralbank (EZB), nun einen Bericht vorlegen, ob Griechenland die Schuldenlast noch bewältigen kann. »Sollte dieser Bericht dann zum Schluss kommen, dass die Schuldentragfähigkeit in Zweifel zu ziehen sei, muss man etwas unternehmen«, drohte der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble kürzlich in der Welt. »Dann müssen weitere Maßnahmen ergriffen werden.«

Gut möglich, dass am Ende der vermeintlichen Rettung nur noch eine Umschuldung das Land vor der völligen Pleite bewahrt. Überraschend kommt diese Entwicklung nicht. Bereits zu Beginn der Krise warnten viele Wirtschaftsexperten, dass ohne den Erlass zumindest eines Teils der Schulden Griechenland die Krise unmöglich meistern könne.
Unklar ist eher, weshalb sich der deutsche Finanzminister mit seinem Plan durchsetzen konnte. Im Sommer vergangenen Jahres kämpften die südeuropäischen Regierungen, allen voran die französische, noch vehement gegen Schäubles radikale Sparpolitik. Der französische Präsident Nicolas Sarkozy drohte damals angeblich sogar mit dem Austritt aus der Euro-Zone, falls Griechenland nicht angemessen von den EU-Mitgliedsstaaten unterstützt werden sollte.
Die französische Regierung sah einen wichtigen Grund für die Schuldenkrise in der unterschied­lichen Wirtschaftspolitik der EU-Länder. Insbesondere Deutschland hatte sich mit seiner langjährigen Niedriglohnpolitik einen Wettbewerbsvorteil gegenüber den meisten EU-Staaten verschafft. Dies führte einerseits zu enormen Exportüberschüssen in Deutschland, bedingte aber auch große Handelsbilanzdefizite und eine schwindende Wettbewerbsfähigkeit bei vielen anderen EU-Staaten. Eine europäische Regulierung dieser Politik lehnte die Bundesregierung jedoch vehement ab. Sie sperrte sich auch gegen eine kollektive Lösung der griechischen Schuldenkrise, etwa in Form von Euro-Bonds, also gemeinsamen europäischen Staatsanleihen.
Stattdessen setzte sich Deutschland mit seinen Forderungen nach einem individuellen Vorgehen weitgehend durch. Frankreich hingegen musste sich mit vagen Absichtserklärungen hinsichtlich einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik und der Zusage begnügen, dass sich die EZB an dem »Rettungsfonds« beteiligt. Wenig später verkauften französische Banken ihre griechischen Anleihen an die EZB und konnten auf diese Weise günstig ihre Bilanzen von faulen Wertpapieren säubern. Insgesamt hielten die französischen Institute damals griechische Bonds in Höhe von 80 Milliarden Euro.
Die Krisenländer hatten harte Auflagen zu akzeptieren, im Gegenzug beteiligte sich die Bundesregierung an dem »Rettungsfonds«. Als wirtschaftlich stärkste Macht in Europa konnte Deutschland die Spielregeln bestimmen. Der rigide Sparplan sollte die Finanzmärkte vorerst beruhigen und die Euro-Länder stabilisieren. Erst wenn sich die europäische Wirtschaft von der ­Finanzkrise erholt habe, so die Überlegung, könne über eine Umschuldung gesprochen werden.

Von der Krise erholt hat sich mittlerweile allerdings nur Deutschland. Die Währungs- und Sparpolitik erzeugt eine eigene Dynamik. Krisenländer wie Portugal geraten immer schneller unter Druck, während die Finanzmärkte in den vermeintlichen sicheren deutschen »Standort« investieren. Verstärkt wurde diese Entwicklung durch das rasante Wachstum in den Schwellenländern wie China, Russland oder Indien, die immer mehr deutsche Exportprodukte kaufen.
Ein Jahr nach dem Beginn des griechischen Schuldendesasters ist die Situation schlechter als je zuvor. Anstatt wie geplant bis 2012 den Haushalt sanieren zu können, muss sich Griechenland nun mit einer möglichen Umschuldung beschäf­tigen. Das Land würde dann zwar einen Teil seiner Schulden loswerden, aber die strukturellen Probleme wären nicht gelöst. Stattdessen wird Griechenland zum Dauerkrisenfall. Nach einer Umschuldung wäre es auf unabsehbare Zeit auf ausländische Finanzhilfe angewiesen. Eine ähnliche Entwicklung steht auch Portugal, Irland und vielleicht sogar Spanien bevor.
Doch auch für Deutschland könnten die Probleme wachsen. Kommt es zu dem Schuldenschnitt, würden die griechischen Anleihen in Höhe von 72 Milliarden Euro wertlos, die die EZB übernommen hat. Da Deutschland mehr als ein Viertel der Kapitaleinlagen der EZB hält, müsste der Staat indirekt einen Anteil übernehmen.
Eine Aussicht, die Klaus Regling, dem Geschäftsführer des Euro-Rettungsfonds EFSF, gar nicht gefällt. Seiner Meinung nach heizt die Finanzbranche die Debatte über eine Umschuldung Griechenlands gezielt an, weil sie auf hohe Gewinne spekuliert, wie er dem Handelsblatt sagte. Zwar würde eine Teil­entschuldung des Landes einige Banken dazu zwingen, griechische Staatspapiere in ihren Bilanzen teilweise abzuschreiben. Die dabei entstehenden Verluste würden sich aber »in Grenzen halten«. Dagegen wären die mit einer Restrukturierung verbundenen Provisionen »vielversprechend«.
Von Umschuldungsplänen will zwar auch der griechische Finanzminister Giorgos Papaconstantinou nichts wissen. Dennoch bat er Anfang dieser Woche darum, die Rückzahlungsfristen für die Kredite aus dem Rettungsfonds zu verlängern und die Zinsen zu senken. Faktisch bedeutet sein Vorschlag aber nichts anderes als eine sanftere Art der Umschuldung. Wie auch immer die Debatte ausgeht – viel mehr als die Akropolis wird der griechischen Regierung nicht bleiben.