Arbeitskampf im American Football

Mindestlohn versus Marktwirtschaft

Der Streit im American Football geht weiter – und ein Ende ist nicht abzusehen.

Arbeitskämpfe laufen meist nach dem gleichen Schema ab: Forderung, gefolgt von Ablehnung, Streik, Verhandlung, und schließlich eine Einigung irgendwo in der Mitte. Dass es auch anders geht, zeigen in den USA gerade die amerikanische Football-Liga NFL mit ihren Franchises auf der einen und ihren in der NFLPA organisierten Spielern auf der anderen Seite.
Dort hat sich die Situation in den vergangenen beiden Monaten so zugespitzt, dass die Kontrahenten gleich mehrere völlig voneinander unabhängige Klagen an verschiedenen Gerichten angestrengt haben. Verhandlungsgespräche finden nur noch statt, wenn sie von einem der Gerichte angeordnet werden – und das geht letztlich nur in der knappen Zeitspanne zwischen Verhandlung und Urteilsverkündung.
Dabei hat das Ganze bereits 2008 angefangen. Die Eigentümer der Clubs, die – typisch für den amerikanischen Profisport – eigentlich Unternehmen sind, kündigten das Collective Bargaining Agreement, kurz CBA, zum Ende der Saison 2010. Dieses CBA ist eine Art Tarifvertrag, nur wesentlich komplizierter und umfangreicher, als man das aus anderen Branchen gewohnt ist. So werden dort neben Draft, Vereinswechsel und Mindestlöhnen für die Spieler auch die Anzahl der Spieltage inklusive der Freundschaftsspiele zur Vorbereitung der Saison bis hin zu Dopingtests geregelt, genauso wie eine untere und eine obere Grenze für die Gehälter, die ein Verein für alle seine Spieler ausgeben darf. Diese Obergrenze lag für jede Saison bei 57 Prozent der Einnahmen der Liga – auf die Durchschnittswerte aus allen Vereinen gerechnet.
Den Eigentümern war das zu viel. Schließlich müssen aus den restlichen Einnahmen nicht nur Coaches, Ärzte, Scouts und sonstiges Vereinspersonal bezahlt werden, sondern auch Ausrüstungsgegenstände, Trainingsgeräte und -gelände. Auch das Marketing und vor allem neue Stadien müssen finanziert werden. Die Eigentümer argumentieren daher, dass neue Stadien mehr einbringen und auch das Marketing indirekt Geld in die Kassen der Spieler bringt, aber diese Investitionen nur aus dem Anteil der Clubbesitzer bezahlt werden. Außerdem ergebe sich durch die Verwendung des Durchschnittswerts das Problem, dass Teams in kleinen Märkten prozentual viel mehr von ihren Einnahmen für Spieler ausgeben müssen als die Teams in den großen Märkten wie New York oder Dallas. Doch diese Durchschnittswert-Berechnung ist wichtig für die Liga – sie garantiert, dass sich die ganz großen Stars auf alle Teams verteilen und jeder eine Chance hat, den Super Bowl zu gewinnen, und das macht die Liga insgesamt so spannend. Was passiert, wenn es diese Gehaltsobergrenze nicht gibt, sieht man im Baseball. Dort gibt es zwei bis vier Teams, die vorne mithalten können – ganz ähnlich wie in europäischen Fußballligen –, und dementsprechend viele Fans hat die Sportart in den vergangenen Jahren in den USA verloren.
So weit der Ausgangspunkt. Zum großen Streit ist es nun gekommen, da die Spielergewerkschaft die Eigentümer aufforderte, ihre Bücher offenzulegen. Wenn daraus der Beginn einer Benachteiligung der finanziell schlechter gestellten Teams hervorgehe, sei man zu finanziellen Zugeständnissen bereit.
Die Clubs ließen sich nicht darauf ein. Und da das alte CBA nach der Kündigung 2008 am 4. März auslief und ohne ein neues CBA auch keine Regelungen für Spielerwechsel und andere Transaktionen mehr vorhanden waren, lief alles auf ein Aussperren der Spieler durch die Clubs hinaus, bis irgendwann ein neues CBA vereinbart würde.
Nun gibt es in den USA eine Besonderheit, die es einzelnen Arbeitnehmern und damit auch Football-Spielern verbietet, arbeitsrechtlich oder kartellrechtlich gegen die Arbeitgeber vorzugehen, wenn eine für sie zuständige Gewerkschaft existiert. Deshalb setzte die NFLPA im März eine seit Wochen vorbereitete Aktion in Gang: Sie legte den Status einer Gewerkschaft ab, und zehn der bekanntesten Spieler konnten daraufhin eine arbeits- und kartellrechtliche Klage einreichen. Kurz darauf sperrte die Liga ihre Spieler aus und klagte vor einem anderen Gericht, dass das Ablegen des Gewerkschaftsstatus der NFLPA nicht rechtens sei, da die NFLPA erstens immer noch gewerkschaftlich agiere – sie zahlt allen Spielern 60 000 Dollar Verdienstausfall und finanziert den Prozess der zehn Spieler – und außerdem von Anfang an nicht habe verhandeln wollen.
Den ersten Prozess vor zwei Wochen gewannen die Spieler. Die Aussperrung sei nicht rechtens, da die NFLPA keine Gewerkschaft sei. Das Gericht beschloss, dass der Lockout sofort aufgehoben werden müsse, obwohl die Frage, ob die NFLPA nicht doch noch eine Gewerkschaft sei, bei einem noch anstehenden zusätzlichen Termin geklärt werden soll. Doch dieses Urteil hielt genau vier Tage. Dann genehmigte das Berufungsgericht den Besitzern, die Aussperrung aufrechtzuerhalten, zumindest so lange, bis es den ersten Urteilsspruch überprüft haben wird. NFL und NFLPA sind also wieder dort, wo sie bereits Anfang März waren, und wegen der verschiedenen Prozesse steht zu befürchten, dass es in den kommenden Wochen oder Monaten für jeden Schritt nach vorne auch den zugehörigen Schritt zurück geben wird.
Gewinnen jedoch die Spieler, muss die Liga kartellrechtliche Konsequenzen fürchten, die einzelnen Clubs müssten auf Absprachen zu Gehaltszahlungen verzichten. Noch schützt die Clubs davor ein Gesetz aus dem Jahr 1970, als sich die American Football League und die National Football League zusammenschlossen. Dieses Gesetz besagt, dass die neue NFL nicht kartellrechtlich belangt werden kann – Gesetze aber können verändert oder aufgehoben werden. Doch – als ob der ganze Fall nicht schon skurril genug wäre – vertreten beide Seiten in den Prozessen in ihrer Argumentation auf einmal ganz unvermutete Standpunkte. Die Clubs – also die Arbeitgeber – erklärten beispielsweise, dass es für alle Beteiligten besser sei, nicht den Gesetzen der freien Marktwirtschaft zu folgen, dass feste Preisbindungsregeln – nämlich bei den Gehältern der Spieler – wichtig seien, um mit der gesamten Branche erfolgreich am Markt bestehen zu können. Die Spieler dagegen argumentieren, dass die bisherigen Regelungen falsch seien, freie Marktwirtschaft sei die bessere Lösung. Und das, obwohl sie damit nicht nur einst mühsam erkämpfte und für die gesamte Liga bestehende Unterstützungsprogramme und die Gesundheitsvorsorge für gegenwärtige und ehemalige Spieler aufs Spiel setzen, sondern auch noch die Mindestlöhne verlieren, die derzeit für unerfahrene Spieler bei etwa 300 000 Dollar im Jahr liegen. Selbst die für die Spieler günstigsten Gehaltsprognosen gehen davon aus, dass mindestens 90 Prozent der Spieler niedriger dotierte Verträge unterschreiben müssten, um einen Verein zu finden, wenn sich die NFLPA durchsetze. Manche Experten befürchten sogar, dass Collegespieler praktisch kostenlos zu haben wären, wenn sie nur so eine Chance hätten, ihren Traum von der Profikarriere zu erfüllen. Zum Vergleich: In der NFL sind ca. 1 800 Spieler während der Saison unter Vertrag, es gibt aber mehr als 1 000 College-Teams, wenn man alle fünf Spielklassen berücksichtigt. Theoretisch könnte man also die gesamte NFL mit jeweils zwei Absolventen aus jedem der College-Football-Teams auffüllen – Interessenten für einen Platz in einem Profi-Team gibt es immer genug.